ARD-Doku: Der Dreißigjährige Krieg im Alltag der Menschen

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Bild: Destina - Fotolia.com
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„Glauben, Leben, Sterben“ veranschaulicht den Dreißigjährigen Krieg anhand von Spielszenen. Zugrunde liegen Berichte von Zeitgenossen. Dazu liefern Experten Analysen, bei denen der Vergleich mit dem Geschehen im Nahen Osten heute im Mittelpunkt steht.

„Einer Wöchnerin, die aus Angst geboren hatte, wurde das Haupt gespalten und das Kind an die Mauer geschmettert.“ So schildert der Jesuitenpater Jeremias Drexel, Hofprediger des katholischen Herzogs Maximilian von Bayern, in seinem privaten Tagebuch eine winzige grausige Episode inmitten des gnadenlosen Gemetzels im südböhmischen Písek am 30. September 1620. Das katholische Heer, das die im heutigen Tschechien gelegene Stadt damals völlig zerstörte und viele Einwohner tötete, befand sich auf dem Marsch nach Prag. Mit dem Ziel, eine Rebellion des protestantischen Adels niederzuwerfen und den vertriebenen Habsburger-Kaiser Ferdinand II. wieder als König von Böhmen einzusetzen.

Dort, in der Prager Burg, hatte am 23. Mai 1618 mit dem erzwungenen Fenstersturz von drei Katholiken begonnen, was sich in Kettenreaktionen zu einem Flächenbrand in der Mitte Europas ausweitete – dem Dreißigjährigen Krieg. Es war der letzte große Glaubenskampf des Abendlands und eines der schlimmsten Massaker in seiner Geschichte: Ein Drittel der Bevölkerung kam dabei um.
 
Die veränderten Machtverhältnisse prägen Deutschland bis heute. Jedoch haben die Katastrophen des 20. Jahrhunderts dem 1648 beendeten Krieg wohl eher einen Schattenplatz im Bewusstsein der meisten zugewiesen. Zum 400. Jahrestag des Ausbruchs wollen nun zahlreiche Medienbeiträge das Geschehen wieder präsenter zu machen. Mit ihrem Dokufilm „Glauben, Leben, Sterben“ (Montag, 25. Juni, 22.30 Uhr) bereiten ARD-Sender das Thema betont allgemeinverständlich auf.
 
„Wie kann ich mich Menschen annähern, deren Ängste, Glaubensvorstellungen und Überzeugungen uns heute so fremd sind? Ich will sie ja nicht als rückständige Idioten zeigen, sondern ihnen gewissermaßen auf Augenhöhe begegnen“, erklärt der Autor und Regisseur Stefan Ludwig („Der zornige Buddha“) im Presseheft.
 
So sei er auf die Idee gekommen, eine Reporterfigur, die man nur als Stimme aus dem Off (von Adele Neuhauser, Wiener „Tatort“) wahrnimmt, in die Vergangenheit reisen zu lassen. Und fünf damalige Menschen, die alle schriftliche Spuren hinterlassen haben, ihre Erlebnisse und Perspektiven schildern zu lassen: neben dem Prediger Drexel (Raphael von Bargen) die Bäuerin Marta Küzinger (Katharina Haudum), die Nonne Klara Staiger (Monika Bujinski), den Söldner Peter Hagendorf (Robert Zimmermann) sowie Hans de Witte (Daniel Kamen), Bankier des Feldherrn Wallenstein.
 
Ergänzt werden die anschaulichen, in Farbe gedrehten Spielszenen um Schwarz-Weiß-Bilder von Schauplätzen, wie sie sich heute darstellen, sowie um Aussagen internationaler Experten. Für den Berliner Konfliktforscher Herfried Münkler oder auch den Marburger Historiker Christoph Kampmann zählt vor allem die Frage nach der Vergleichbarkeit jener Ereignisse mit den Auseinandersetzungen im Nahen Osten heute.
 
Ihre entsprechenden Aussagen in der – in Zusammenarbeit mit den Religionsredaktionen von BR, MDR, SWR und ORF geschaffenen – Produktion von Metafilm (München) wirken allerdings recht allgemein. Einig scheint man sich darüber, dass es sich bei beiden kriegerischen Gemengelagen weniger um Fehden fanatisch Gläubiger als um Konfrontationen mit handfesten geopolitischen Interessen handelt.
 
Als vorbildlich wird am Ende der Westfälische Friede von 1648 dargestellt, der 150 Jahre lang Wirkung zeigen sollte. Die Verhandlungsteilnehmer hatten in vierjährigem Ringen in den Städten Münster und Osnabrück ein Vertragswerk geschaffen, das die Bedürfnisse aller kriegsmüden Parteien und der ausgebluteten Bevölkerung minuziös respektierte.
 
„Es wurde genau festgelegt, welche Konfession wo Kirchen aus Stein oder aus Holz bauen darf, wer wo Glocken läuten darf und dass etwa der dritte Stadtschreiber von Dinkelsbühl evangelisch sein muss“, erläutert Filmemacher Ludwig, „einfach, weil jeder Angst hatte, vom anderen wieder dominiert zu werden.“ Fazit seines TV-Beitrags: Aus der damaligen Zeit können Menschen von heute viele Lehren ziehen.
 
Die Dokumentation „Glauben, Leben, Sterben“ von Stefan Ludwig läuft am Montag (25. Juni) um 22.30 Uhr im Ersten. [Ulrike Cordes]

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  • Inhalte_Fernsehen_Artikelbild: Destina - Fotolia.com

10 Kommentare im Forum

  1. Wenn sich jemand über Gebührenverschwendung der Öffis aufregt hat er hier wieder einen triftigen Grund gefunden.
  2. Den Beitrag hast du aber gelesen bzw weißt, dass der dreißigjährige Krieg ein Glaubenskrieg unter Christen war? Daher ist ein Vergleich zu heute so weit vielleicht gar nicht von der Hand zu weisen Man kann/sollte sowas nicht 1:1 vergleichen, weil dies immer schwierig ist. Aber heute ist das Geschehen im Nahen Osten im Prinzip nichts anderes.
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