Astronaut Gerst: Meiner Generation fehlen Abenteuer [Interview]

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Bild: © jim - Fotolia.com
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Im neuen Jahr wird er seinem Kindheitstraum ein ganzes Stück näher kommen: Für den deutschen Astronauten Alexander Gerst bringt 2012 viele weitere Trainings für seinen Einsatz auf der Raumstation ISS im Jahr 2014.

Mit Christian Fahrenbach sprach der in Künzelsau (Baden-Württemberg) geborene 35-Jährige über den zweitbesten Job der Welt, welches Studium besonders gut auf eine Astronautenlaufbahn vorbereitet und warum die Menschen alles daran setzen sollten, zum Mars zu fliegen.
 
Ins All fliegen, das ist ein ewiger Traum der Menschheit – und für Sie erfüllt er sich. Was ist die eine Charaktereigenschaft, die es braucht, um seine Träume zu verwirklichen?
 
Alexander Gerst: Ich versuche als Botschaft immer weiterzugeben, dass es sich lohnt, seine Träume zu verfolgen – auch wenn man glaubt, sie nicht erreichen zu können. Ich kannte als Wissenschaftler ja auch die Wahrscheinlichkeit, Astronaut zu werden: 1 zu 10 000. Das ist nicht besonders hoch. Ich wollte es aber zumindest einmal ernsthaft versucht haben.
 
Warum wurden gerade Sie als Astronaut ausgewählt?
 
Gerst: Letztendlich müssen Sie das die Kommission fragen, die mich ausgewählt hat. Generell wird darauf geschaut, dass man vielseitig ist und keine großen Schwächen hat. Es hilft nichts, wenn man Supermann im Kopfrechnen ist, aber dafür zwei linke Hände hat. Geschaut wird also weniger darauf, dass man viele Dinge besonders gut kann, sondern dass man möglichst keine Sachen schlecht kann. Und eine ganz wichtige Eigenschaft ist Teamfähigkeit.
 
Gehört dazu auch der Wille, etwas hinter sich zu lassen? Immerhin haben Sie auf der Erde viel über Vulkane geforscht – werden Sie das im All nicht vermissen?
 
Gerst: Doch, die fehlen mir schon. Meine Kollegin hat es mal so ausgedrückt: Sie hat den zweitbesten Job gegen den besten Job der Welt ausgetauscht. Ich sehe es so: Ich habe erst meine Faszination für das Innere der Erde ausgelebt und kann mich nun auch noch dem Weltall zuwenden. Aber man kann von dort oben ja auch Vulkane sehen, ich bin sie zum Glück also nicht ganz losgeworden.
 
Ein Geophysiker im All, fühlen Sie sich da nicht wie ein Exot?
 
Gerst: Nein, gar nicht. Das Training ist so ausgelegt, dass wir Generalisten sind. Wir müssen also nicht nur wissenschaftliche Experimente durchführen, sondern zum Beispiel auch die Systeme der Raumstation steuern, reparieren, oder im Raumanzug Außenarbeiten durchführen. Das äußert sich in einer längeren Ausbildungszeit, das Missionstraining dauert zweieinhalb Jahre. Es gibt deshalb auch keine einzelne Fachrichtung, die besonders gut für Astronauten geeignet ist. Man kann Pilot sein, Mediziner oder Ingenieur, oder aus naturwissenschaftlichen Fachgebieten kommen.

Und was steht für 2012 auf dem Trainingsplan für Ihre Mission?
 
Gerst: Für mich geht das Missionstraining weiter. Das heißt zum Beispiel Training im Raumanzug, Roboterarmtraining und Training auf Systemen der Raumstationen wie dem Lebenserhaltungs- oder dem Kommunikationssystem, aber auch Überlebenstraining in der Wildnis, falls wir einmal mit der Kapsel an einem unvorhergesehenen Ort notlanden müssen.
 
2014 kommt die große Mission. Wie sieht dann Ihr Tagesablauf aus?
 
Gerst: Wir führen wissenschaftliche Experimente aller Art in der Schwerelosigkeit durch. Viele davon tragen dazu bei, Krankheiten zu heilen, oder neue Technologien und Materialien zu finden, zum Beispiel neue Legierungen für Motoren oder Herzbypassoperationen. Wir arbeiten an Krankheiten wie Osteoporose, Arteriosklerose oder Schlaganfällen. Wir sind im Prinzip der verlängerte Arm der Wissenschaftler und Ingenieurteams am Boden. Gemeinsam mit diesen Teams führen wir im Orbit sowohl Experimente, als auch die Wartungsarbeiten durch.
 
Was kann die Menschheit von den Raumfahrern lernen?
 
Gerst: Auf jeden Fall die internationale Zusammenarbeit, das hat mich von Anfang an begeistert. Die Raumstation ist von 100 000 Menschen aus mehr als 14 Ländern zusammengebaut worden. Ich finde es faszinierend und ermutigend, dass wir trotz kultureller Unterschiede und verschiedenen politischen Perspektiven so erfolgreich zusammenarbeiten können. Wir sitzen alle zusammen in einem Boot da oben, und das ist auch die Perspektive, die viele Astronauten zurück auf die Erde bringen: Wir sitzen auch hier unten alle in einem Boot!
 
Aber trotzdem ist das Thema Raumfahrt weltweit ein wenig in den Hintergrund getreten. Wie erklären Sie sich das?
 
Gerst: Nun, die Faszination für die Raumfahrt ist immer noch da, die sehe ich jeden Tag bei Schulklassen und vielen Zuschriften. Die Entscheidung für große Projekte wird aber nicht von diesen Leuten getroffen, sondern sie ist hauptsächlich politisch motiviert. Ich finde es schade, dass meine Generation aufgewachsen ist, ohne dass die Menschheit ein wirklich großes Abenteuer erlebt hat. Etwas, das vorher als nahezu unmöglich galt, und dass die Menschen sowohl fasziniert als auch zusammenbringt, wie zum Beispiel die Entdeckung der Pole oder die Mondlandungen.
 
Was könnte eine solche Anziehungskraft entwickeln?
 
Gerst: Das bisher größte Abenteuer der Menschheit wäre ein Flug zum Mars. Von ihm können wir lernen, wie wir die Erde davor bewahren, dasselbe Schicksal zu erleiden wie der Mars, und sich von einem bewohnbaren Planeten in eine lebensfeindliche Wüste zu verwandeln. Und vielleicht erfahren wir, ob es im Universum noch weiteres Leben gibt. So etwas fasziniert die Menschen. Sobald wir als Menschheit den Schritt wagen und uns wieder weiter hinaus ins All bewegen, wird diese Faszination wieder aufleben.
 
Vielen Dank für das Gespräch.[Interview: Christian Fahrenbach]

Das Interview gibt die Meinung des Interviewpartners wieder. Diese muss nicht der Meinung des Verlages entsprechen. Für die Aussagen des Interviewpartners wird keine Haftung übernommen.

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  • Technik_Raumfahrt_Artikelbild: © jim - Fotolia.com

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