Beklemmender Kieler „Tatort“ über das Reizthema Islamismus

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Bild: Destina - Fotolia.com
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Der „Tatort“ hat schon immer aktuelle Themen aufgegriffen. Im neusten Fall des Kieler Kommissars Borowski wird die Frage nach den Beweggründen für die Konvertierung eines jungen Mädchens zum Islam und die Radikalisierung gestellt.

„Liebe Mama, wenn Du das hier liest, werde ich nicht mehr da sein“, schreibt die 17-jährige Julia. Die Kieler Schülerin aus einem bürgerlichen Haushalt ist zum Islam konvertiert, sie will nach Syrien und einen ihr nur vom Skypen bekannten IS-Kämpfer heiraten. In der Kieler Innenstadt treffen Julia feindselige Blicke. Ein Passant spuckt vor der schwarz verhüllten Muslimin auf den Boden. In der tristen Hinterhof-Moschee, die Julias religiöser Zufluchtsort wurde, findet der „Tatort“-Krimi „Borowski und das verlorene Mädchen“ an diesem Sonntag (20.15 Uhr) im Ersten schließlich sein tragisches Ende.
 
Die in einem religiösen Irrweg scheiternde Identitätsfindung einer Jugendlichen und die islamistische Parallelwelt einer Salafisten-Gemeinde bilden den Rahmen dieser plakativen Psycho- und Sozialstudie. Der Hintergrund ist real. „In Deutschland sind etwa 9000 Salafisten aktiv“, sagt Marwam Abou Taam, Islamwissenschaftler, Politologe und Terrorismusexperte beim Landeskrminialamt Rheinland Pfalz. Er hat das „Tatort“-Team fachlich beraten. Knapp 900 Personen sind nach seinen Angaben aus Deutschland ausgereist, davon um die 180 Frauen.

Der Grimme-Preisträger und Doku-Drama-Spezialist Raymond Ley („Eichmanns Ende“, „Eine mörderische Entscheidung“) lässt in dem fiktiven Fernsehkrimi eine dokumentarische Herangehensweise und „dokumentarische Farbe“, wie er selber sagt, spüren. Kein Postkarten-Idyll, sondern nüchtern realistisch sind die Spielorte gefilmt. Zwischen einigen Szenen sind Texttafeln mit blutroter Schrift eingeblendet, anfangs „Ich habe Schuld auf mich geladen“ und wenig später „Euer Leben ist nicht mein Leben“.
 
Julia (beeindruckend: Mala Emde) bricht mit ihrer Familie, mit ihren Freundinnen auf der Schule. Das Verhältnis zur Mutter ist ohne Vertrauen. Denn sie saß am Steuer, als ihr Vater bei einem Unfall starb. Ihren Bruder, mit dem sie sich nicht versteht, bezichtigt Julia bei der Polizei des Mordes an einer Mitschülerin. Diese wird tatsächlich am Morgen danach tot in der Kieler Förde gefunden.
 
Das ist der eine Handlungsstrang, der Mord, den Kommissar Borowski (wie immer sympathisch ruhig-ironisch Axel Milberg) und seine Kollegin Sarah Brandt (mit viel Empathie: Sibel Kekilli) aufklären wollen.
 
Doch im Mittelpunkt steht das Hineingleiten in die islamistische Parallelwelt, in der Julia Halt sucht. „Ich will nicht mehr die sein, die ich bin, ich will nicht mehr da sein, wo ich bin“, sagt die Heranwachsende in ihrer Entwicklungskrise. Und während sie durchs Kieler Rotlichtviertel geht, sagt sie im inneren Monolog: „Ich werde einen Gott finden, der meine Wunden heilt“. Später sagt sie: „Ich habe die Antworten auf alle meine Fragen im Islam gefunden.“
 
Dieser „Tatort“ nimmt den Zuschauer mit in die von religiösem Fanatismus, Hass auf den Westen und Gruppenzwängen geprägte Welt der Hinterhof-Moschee – in der Frauen nichts zu sagen haben.
 
Als Gaststar spielt Jürgen Prochnow („Das Boot“) Kesting, den Leiter einer Staatsschutz-Abteilung. Borowski, der den Mordfall zu lösen hat, und Kesting kommen sich dabei in die Quere. Denn für den Staatsschutz, der die Moschee observiert, geht es um übergeordnete Sicherheitsinteressen. Eine in die Gemeinde eingeschleuste V-Person wird ermordet. Das Schicksal der konvertierten Schülerin ist für Kesting nicht entscheidend. Er will sie ohne ihr Wissen instrumentalisieren, um an wichtige Mittelsmänner des IS heranzukommen. Julia zerbricht am Ende an einer Welt, in der sie niemandem mehr trauen kann.
 
Nach diesem 999. „Tatort“ wird Borowski alias Axel Milberg bereits nächsten Sonntag (13.11.) erneut im Einsatz sein. An der Seite von Kommissar-Kollegin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) werden beide im 1000. Jubiläums-„Tatort“ eine alptraumhafte Fahrt im „Taxi nach Leipzig“ mit einem durchgeknallten früheren Elitesoldaten als lebensmüden Fahrer durchstehen. Nach seinem Einsatz in Afghanistan will der Soldat sich an seiner Ex-Freundin rächen will, die einen Kameraden heiraten möchte. Der Titel „Taxi nach Leipzig“ ist übrigens der gleiche des ersten „Tatort“-Krimis aus dem Jahre 1970 – damals mit Kommissar Paul Trimmel (Walter Richter), als es noch die Bundesrepublik, die DDR und die Mauer gab.

[Matthias Hoenig/buhl]

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7 Kommentare im Forum

  1. Ich sage nur heute ---> Sky 3 D. Den Tatort will ich nicht sehen. Das Thema erzeugt schon in der Ankündigung einen gewissen Brechreiz bei mir.
  2. Ja, es ist schon irgendwie eigenartig das Produktionen die dieses Thema behandeln angekündigt werden als wären sie der Renner des Jahres !!
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