Ein guter Krimi macht noch keinen guten Verbrecher

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Bild: © Romolo Tavani - Fotolia.com
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In TV-Krimis und Polizeiserien wimmelt es nur so von DNA-Analysen, Fingerabdrücken und Autopsien. Beeinflussen die Medien damit die Vorgehensweise der Verbrecher – und damit auch die Arbeit der Ermittler?

Eine Gruppe Jugendlicher sieht einen Film mit dem Haudrauf-Held Bud Spencer, geht raus auf die Straße und schlägt einen Mann zu Boden. Das Opfer stirbt. Die Jugendlichen ziehen ihre Kleidung aus und verbrennen sie – um ihre Spuren zu verwischen. „Die Jungs haben daran gedacht: Wie kann man uns drankriegen?“, erinnert sich der Soziologe und Kommunikationswissenschaftler Jo Reichertz. Die Ermittler hätten große Schwierigkeiten bei dem Fall gehabt. Nur aufgrund eines Geständnisses wurden die jungen Männer verurteilt.

Der Fall sei ein gutes Beispiel dafür, wie die Berichterstattung über reale oder fiktive Kriminalfälle die Gesellschaft beeinflusst, sagt Reichertz, der viele Jahre zu diesem Thema geforscht hat. „Diese Jugendlichen haben unüberlegt gehandelt, hysterisch, verschreckt, irrational. Aber trotzdem griffen sie auf Wissen zurück, das aus TV-Serien kommt, das sie im Internet erworben haben oder das ihnen jemand erzählt hat.“ Sie hätten gewusst, dass die DNA des Opfers auf ihrer Kleidung sie hätte überführen können.
 
Dass Fernsehserien mit kriminalistischem Inhalt das Verhalten von Verbrechern prägen: Forscher nennen diese Wirkung CSI-Effekt. Serien wie „CSI: Den Tätern auf der Spur“ haben ihren Fokus auf forensischen Beweisen, weniger auf Zeugenbefragungen und der Kombinationsgabe der Ermittler. Laut Reichertz ist es dabei nicht so wichtig, ob die Jugendlichen selbst solche Serien konsumiert haben. „“CSI“ speist in den gesellschaftlichen Diskurs Wissen ein, etwa dass man bei einer Tat Handschuhe tragen sollte.“
 
Auch eine neue Studie sieht keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Konsum von forensischen Serien und der Fähigkeit, Verbrechen zu vertuschen. Psychologen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) um Andreas Baranowski ließen Testpersonen in einer Reihe von Experimenten unter anderem einen Laptop stehlen und einen Mordschauplatz reinigen. Es ging darum, ob die Probanden Finger- und Fußabdrücke zurücklassen und sich von einer Überwachungskamera filmen lassen. Das Ergebnis: Die Serien-Fans waren nicht die erfolgreicheren Verbrecher. Auch beim Wissenstest schnitten sie nicht besser ab.
 
Die kriminalistischen Serien sorgten in der Bevölkerung auf jeden Fall für eine große Erwartungshaltung, sagt Carina Jasmin Englert, die sich für ihre Promotion an der Universität Duisburg-Essen mit dem CSI-Effekt beschäftigte. Schon wenn bei jemandem im Keller eingebrochen und eine Bohrmaschine entwendet würde, poche der Bestohlene auf DNA-Analysen und Untersuchungen mit Spezialgeräten. „Polizeibeamte müssen dann immer wieder erklären: Die ganzen Methoden, die es gibt, können wir hier nicht anwenden“, sagt Englert, die heute für das hessische Landespolizeipräsidium arbeitet. „Medien und Realität – da gibt es eine Diskrepanz.“
 
Englert beobachtet bei den Ermittlern in Deutschland und den USA – das Land, aus dem „CSI“ stammt – unterschiedliche Strategien. „In den USA zeigt man auch ganz neue technische Methoden, die noch nicht ausgereift sind. Und zwar um abzuschrecken und zu vermitteln: Wir finden euch auf jeden Fall.“ In Deutschland versuche die Polizei eher, nicht alle ihre Möglichkeiten in den Medien offenzulegen, um den Verbrechern immer einen Schritt voraus zu sein.
 
Die Aufklärungsrate bei Kapitalverbrechen wie Mord und Totschlag lag im Jahr 1990 in Deutschland bei 90 Prozent. In den vergangenen Jahren bewegte sie sich zwischen 95 und 96 Prozent, worauf die Mainzer Forscher um Baranowski hinweisen. Das spreche dafür, dass forensische Wissenschaftler schnell neue Verfahren entwickelten oder verbesserten.
 
Die Kriminologin Britta Bannenberg merkt an, dass in einigen Sendungen auch Verfahren dargestellt würden, die gar nicht möglich seien. So kann über ein am Tatort gefundenes Haar nicht in Sekundenbruchteilen Alter, Geschlecht und Ernährungsstil ermittelt werden. „Da werden abenteuerliche Dinge aus winzigen Spuren gewonnen. Das ist alles Quatsch“, sagt Bannenberg. Berufskriminelle und Mehrfachtäter wüssten hingegen sehr genau, wie sie vorzugehen hätten. Bandenmitglieder tauschten sich untereinander aus und lernten voneinander – sie bräuchten keine TV-Serien.
 
Massenmedien erreichten allerdings eine viel größere Zahl an Menschen als die Erzählungen der Kriminellen untereinander. „Wird so noch mehr potenziellen Tätern ein Hinweis gegeben? Ja, das regt sicherlich den ein oder anderen an“, meint Bannenberg. Sie sieht das Problem nicht so sehr darin, dass Medien Hinweise auf Vertuschungsmethoden geben. „Das eigentlich Problem liegt auf einer anderen Ebene: Die Medienberichterstattung regt tatgeneigte Menschen an.“ Terroristen etwa hätten zwar vielleicht schon den Entschluss gefasst zu töten – lernten aber durch mediale Berichterstattung, wie sie am meisten Schaden zufügen können.

[Doreen Fiedler]

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