Haften Betreiber des Anonymnetzwerks Tor für illegale Uploads?

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Bild: © Victoria - Fotolia.com
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Wer im Netz anonym bleiben will, nutzt die Verschlüsselungskette im Tor-Netzwerk. Die Betreiber von Tor-Übergangsknoten ins offene Netz, können aber leicht ermittelt werden. Müssen sie haften, wenn Unbekannte über den Kanal Gesetze verletzen? Das prüft der BGH.

Journalisten und Menschenrechtler nutzen es, aber auch Kriminelle und sogar Terroristen: Auf Anonymität bedachte User gehen unter anderem über ein sogenanntes Tor-Netzwerk ins Internet, bei dem Verbindungsdaten über eine lange Kette von Zwischenstationen hinweg verschleiert werden. Haftet der Betreiber eines Rechners, der das offene Netz und das anonyme Tor-Netz miteinander verknüpft (Tor-Exit-Node), für alle Rechtsverletzungen, die andere darüber begangen haben? Damit befasst sich erstmals an diesem Donnerstag (ab 12.00 Uhr) der Bundesgerichtshof in Karlsruhe (Az. I ZR 64/17). Wann ein Urteil fällt, ist noch nicht bekannt.

Worum geht es vor dem BGH?
 
Ein Produzent und Vermarkter von Computerspielen hat einen Mann verklagt, über dessen Internetanschluss 2013 in einer Tauschbörse das Spiel „Dead Island“ zum Herunterladen angeboten wurde. Die Firma mahnte den Anschlussinhaber ab und forderte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Zwei Jahre zuvor hatte sie ihn schon wegen anderer Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing über seinen Internetanschluss anwaltlich abgemahnt. Der Mann, der fünf offene WLAN-Hotspots und zwei Übergangsknoten zum Tor-Netzwerk (Tor-Exit-Node) betreibt, weist die Verantwortung für illegale Uploads von sich. Verschiedene Tor-Nutzer hätten Zugriff auf seinen Internetanschluss.
 
Wie urteilten die Vorinstanzen?
 
Das Landgericht und das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf gaben der Firma Recht: Der Mann hafte als „Störer“ – egal, ob die Rechtsverletzung über seinen offenen WLAN-Hotspot oder den Tor-Exit-Node ging. Er habe es pflichtwidrig unterlassen, seinen Internetanschluss gegen die missbräuchliche Nutzung durch Dritte zu schützen. Gegen das OLG-Urteil hat der Anschlussinhaber Revision beim BGH eingelegt.
 
Welche Bedeutung hat der Fall?
 
Auf den ersten Blick geht es nur um einen weiteren Filesharing-Fall. Nach Einschätzung von Christian Solmecke, Internet-Experte der Kölner Kanzlei Wilde Beuger Solmecke, dürfte der BGH aber etwas dazu sagen, ob Betreiber eines Tor-Exit-Nodes für alle Rechtsverletzungen als sogenannte Störer in Haftung genommen werden können – denn nur sie sind über ihre IP-Adresse ermittelbar. „In der Sache wird also damit auch über die Zukunft des Tor-Netzwerkes entschieden.“
 
Inwiefern könnte der Betreiber haftbar gemacht werden?
 
Nach bisheriger Rechtslage konnte ein Anschlussinhaber wegen der sogenannten Störerhaftung in die Pflicht genommen werden. „Störer“ war demnach, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – „in irgendeiner Weise willentlich oder adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechtes beiträgt“. Dies hatte der BGH in seinem Filesharing-Urteil „Sommer unseres Lebens“ entschieden. Da der Beklagte zu einer Zeit abgemahnt wurde, als noch das alte Recht galt, muss der BGH nach diesen Maßstäben entscheiden.
 
Wie ist das heute?
 
Aus dem ab Herbst 2017 gültigen Telemediengesetz (TMG) lässt sich aus Sicht des Experten keine Haftung ableiten. Zur neuen Rechtslage gibt es jedoch noch kein BGH-Urteil. Solmecke hofft, dass die höchsten deutschen Zivilrichter sich nun auch dazu äußern.
 
Was könnte das für Tor-Exit-Node-Betreiber bedeuten?
 
Wenn der BGH eine Störerhaftung für sie annimmt, bestünde für die Betreiber immer die Gefahr, als letztes Glied in der Reihe über die IP-Adresse ermittelt zu werden und für illegale Inhalte in Haftung genommen zu werden. „Das kann dazu führen, dass zumindest in Deutschland weniger Tor-Exit-Nodes betrieben werden“, so Anwalt Solmecke. Die Aktivisten müssten zumindest mit dem rechtlichen Risiko leben, für die Vergehen von Tor-Nutzern belangt zu werden.
 
Welche Folgen hätte das für die Nutzer eines Tor-Netzwerks?
 
Seien es Kriminelle oder Menschen, die ein solches Netzwerk als Möglichkeit der freien Meinungsäußerung in autoritären Regimen nutzen: Der Karlsruher Richterspruch dürfte sie nicht gefährden. Tor-Netzwerke werden weltweit betrieben. Ein Signal, das durch sie geleitet wird, ist mehrfach verschlüsselt – jede Station im Tor-Netzwerk kennt nur Vorgänger und Nachfolger, aber nicht den ganzen Weg des Signals. Die Bandbreite des Tor-Netzwerks hängt aber auch von der Zahl der Knotenpunkte ab. Je mehr Tor-Server online sind, desto schneller und vor allem sicherer wird das Netz. Deutsche Tor-Aktivisten sind besonders eifrig und stellen einen signifikanten Teil der weltweiten Kapazitäten. Das könnte sich nach einer Verurteilung im aktuellen Fall ändern.

[Susanne Kupke]

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