Medienexperte zum Abhörskandal: „Enormer wirtschaftlicher Druck“

1
24
Bild: © Phongphan Supphakank - Fotolia.com
Bild: © Phongphan Supphakank - Fotolia.com

Im Abhörskandal um die Boulevardzeitung „News of the World“ kritisieren Medienexperten das britische Pressesystem. Es herrsche ein enormer wirtschaftlicher Druck, sagte Kommunikationswissenschaftler Frank Esser von der Universität Zürich. Journalisten der „News of the World“ sollen systematisch illegal Handys angezapft haben.

Herr Esser, was sagt der Abhörskandal über die britische Presse aus?
 
Frank Esser: Er zeigt vor allen Dingen die besonderen wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse auf dem englischen Pressemarkt, die sich natürlich von denen, die wir hier in Kontinentaleuropa haben, unterscheiden. In keiner anderen Stadt werden auf so wenigen Quadratkilometern so viele nationale Zeitungen produziert wie in London. Das führt zu einem Wettbewerb, der bis an die Gurgel geht. Der wirtschaftliche Druck ist enorm.
 
Und wie sieht es rechtlich aus?
 
Esser: Die Privatsphäre ist in England sehr viel schwächer geschützt als in den meisten europäischen Ländern. Es gibt im englischen Rechtswesen traditionell keinen Anspruch darauf, von der Presse in Ruhe gelassen zu werden. Das gilt weder für öffentliche Personen noch für Privatpersonen. Das ändert sich erst langsam unter dem Einfluss von EU-Recht. Aber die nationale Rechtsprechung Englands ist unverändert zurückhaltend, wenn es um Medien geht. Die Presse erkämpfte dort ihre Freiheit sehr früh, und jeder politische Versuch, sie stärker zu reglementieren, führt zu einem Aufschrei der Branche. Vieles ist rechtlich im Graubereich belassen. Und täglich versuchen die journalistischen Spürhunde, diesen Graubereich noch etwas mehr auszuweiten.

Wird der Skandal den britischen Boulevard verändern?
 
Esser: Die größte Gefahr für die britischePresse ist die öffentliche Meinung. Wenn die sich nun durch einensolchen Fall entschlossen wehrt, dann kann auch die Politik nicht mehrzurück, die eigentlich hinter den großen Verlagshäusern steht. DieseVerfehlung der „News of the World“ ist auf jeden Fall einSchlüsselereignis für den britischen Journalismus. Erfahrungen ausanderen Ländern zeigen, dass solche gravierenden Grenzverletzungen oftder Auslöser für gesetzliche Initiativen waren.
 
Wie bewerten Sie Murdochs Schritt, „News of the World“ zu schließen?
 
Esser:Das ist für den News Corp.-Konzern überhaupt kein Problem. Murdochkönnte morgen alle seine vier britischen Zeitungen zumachen – das würdeman in der Bilanz seines globalen Multimedia-Konzerns kaum merken. Die“News of the World“-Schließung war für ihn ein Fingerschnippen. In einpaar Monaten wird es einfach die „Sun am Sonntag“ geben und dann werdendie unbelasteten Journalisten weiter beschäftigt. Dass er die Zeitungzugemacht hat, war vermutlich mehr durch den Rückgang der Anzeigenkunden und seine weiteren Expansionspläne motiviert als durch ein hohes moralisches, selbstkritisches Bewusstsein.
 
Vielen Dank für das Gespräch.[Interview: Christine Cornelius]

Das Interview gibt die Meinung des Interviewpartners wieder. Diese muss nicht der Meinung des Verlages entsprechen. Für die Aussagen des Interviewpartners wird keine Haftung übernommen.

Bildquelle:

  • Medien_Maerkte_Artikelbild: © Phongphan Supphakank - Fotolia.com

1 Kommentare im Forum

  1. AW: Medienexperte zum Abhörskandal: "Enormer wirtschaftlicher Druck" Das entschuldigt natürlich alles
Alle Kommentare 1 im Forum anzeigen

Kommentieren Sie den Artikel im Forum