„Melancholia“: ästhetische Science-Fiction [Kinokritik]

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Bild: © Romolo Tavani - Fotolia.com
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Mit „Melancholia“ legt Lars von Trier einen ästhetischen Science-Fiction-Film vor. Im Werk über eine kaputte Gesellschaft zeigen Stars wie Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg und Kiefer Sutherland starke Leistungen.

Die Augen in Kirsten Dunsts bleichem Gesicht blicken stumpf nach innen, während vom Himmel tote Vögel fallen. Ein prächtiger Rappe versinkt im Gras, Kulturgüter wie Pieter Bruegels Gemälde „Die Jäger im Schnee“ von 1565 gehen zugrunde. Dazu ertönt wehmütig Wagners „Tristan“-Vorspiel. Und das alles, weil der Planet „Melancholia“, bislang hinter der Sonne versteckt, mit der Erde kollidiert. Nichts weniger als die Welt geht bereits im Vorspann von „Melancholia“ unter – dem hoch ästhetischen, im Kern brandaktuellen Science-Fiction-Film des dänischen Regie-Provokateurs und Autors Lars von Trier (55, „Antichrist“). Bei der Präsentation des Werks im Mai in Cannes sorgte der Regisseur dann jedoch erstmal mit Äußerungen zu einem ganz anderen Thema für Schlagzeilen.
 
Auf einer Pressekonferenz hatte Trier schwadroniert, er habe erst spät herausgefunden, dass er deutsche Wurzeln habe – also „in Wirklichkeit ein Nazi“ sei und Hitler verstehe. Für seine Worte, die er später als „dänischen Humor“ bezeichnete und die in den Medien meist extrem verkürzt wiedergegeben wurden, erhielt der Erfinder des realistischen „Dogma“-Kinos von der Festivalleitung kurz darauf Hausverbot. Israel und Argentinien bestellten den Film ab. Inzwischen hat der Regisseur, der mit einer Jüdin verheiratet ist, Bedauern über seine von ihm nun als „idiotisch“ bezeichneten Bemerkungen geäußert.
 
Verbales Schlagen auf die PR-Trommel gehört allerdings auch zum Stil des Regisseurs, der im Jahr 2000 für sein Musical-Melodram „Dancer in the Dark“ mit Björk in Cannes die Goldene Palme gewonnen hatte. Typisch für ihn ist auch die Arbeit mit internationalen Stars, um seinen Arthouse-Produktionen auf beiden Seiten des Atlantiks Interesse zu verschaffen. So auch in „Melancholia“: Hollywoods Dunst („Spider-Man“, „Marie Antoinette“) wurde in Cannes mit der Silbernen Palme als beste Darstellerin geehrt. Neben ihr geben auch Charlotte Gainsbourg („Antichrist“), Kiefer Sutherland, Charlotte Rampling, Stellan Skarsgard, John Hurt und Udo Kier mit starken Leistungen der „Melancholia“ ein Gesicht.

Vor allem aber ist von Triers Film – bei aller Kritisierbarkeit seiner Mittel – die pointierte Gesellschaftsanalyse eines Künstlers, der wie ein Esoteriker menschlich-persönliches und naturhaft-kosmisches Geschehen in Verbindung setzt. Der Himmel gerät aus den Fugen, weil es im irdischen Miteinander nicht stimmt. Und Dunsts Figur Justine, eine melancholische Braut, die sich bei der Hochzeit von ihrem Mann trennt, verfügt über die Gabe, das zu sehen.
 
Im ersten Teil zeigt der Regisseur an vielen Details der prunkvoll geplanten Feier in einem einsamen Schloss die Differenz von Wunsch und Wirklichkeit, Schein und Sein – die Stretch-Limousine des jungen Paars ist zu lang für den Waldweg, die Brautmutter (Rampling) schreit: „Ich glaube nicht an die Ehe“, der Boss (Skarsgard) der jungen Werberin Justine verfolgt zynisch seine Geschäfte. Leider gelingen Trier diese Passagen allzu konventionell.
 
Intensiver gerät ihm der zweite Teil, in dem er sich auf vier Personen der Familie, darunter Justines vitale Schwester (Gainsbourg) und deren kleinen Sohn, konzentriert. Hier, in diesem Mikrokosmos, liegt am Ende sogar ein Hauch von so etwas wie Hoffnung. Augenfällig an der ganzen Produktion ist ihre gelackte, an Werbung erinnernde Ästhetik, die symbolträchtig und bedeutungsschwer daherkommt – im Kontrast dazu oft aufgenommen mit wackeliger, handgeführter „Dogma“-Kamera. Manche Betrachter mögen solche Bilder als gefällig kritisieren, andere sie aber als atemberaubend schön empfinden.Kinokritiken der Woche – Archiv
[Ulrike Cordes]

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