„Musikantenstadl“ zwischen Jugendwahn und Tradition

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Bild: Destina - Fotolia.com
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Beim „Musikantenstadl“ soll ab Herbst einiges anders werden: Das Format soll jünger werden, Moderator Andy Borg muss seinen Posten räumen. Doch im Kampf um jugendliche Frische droht das „Stadl“ mit den Tradition zu brechen. Ob ein Spagat gelingt?

Andy Borg hat Galgenhumor entwickelt. Am Montagabend macht er seinem Publikum in München, wo seine „Musikantenstadl“-Tournee Station macht, ein Geständnis: „Ja, ich brauche seit einigen Monaten eine Lesebrille – was soll ich machen?“ Mit 54 Jahren ist er aus Sicht der Senderverantwortlichen zu alt für den „Stadl“ und darf die TV-Show darum nur noch zweimal moderieren. Dafür, dass sein Nachfolger noch nicht bekannt ist, hat Borg folgende Erklärung: „Vielleicht ist der noch gar nicht geboren.“ Die Namen, über die bislang spekuliert würde, kämen keinesfalls infrage. „Alle zu alt.“
 
Der „Musikantenstadl“ soll jünger und moderner werden – so etwas wie ein „Stadl 2.0“, wie es in einer Mitteilung des Bayerischen Rundfunks hieß. Hintergrund sind wohl die sinkenden Quoten. Schalteten 1994 im Jahresschnitt noch 7,53 Millionen Menschen (Marktanteil: 25,9 Prozent) den „Stadl“ ein, waren es 2004 noch 5,73 Millionen (19,2 Prozent) und 2014 sogar nur noch 3,96 Millionen (13,6 Prozent).

„Vor 20, vielmehr 21 Jahren, war nicht nur die Fernsehlandschaft, sondern auch das Lebensgefühl ein anderes, was sich auch in diesen Zahlen spiegelt“, heißt es vom BR. Auch beim Konzert der „Stadl“-Tour in München bleiben viele Plätze leer.
 
Helene Fischer statt Capri-Fischer? Wie genau die Verjüngung funktionieren soll, dazu halten sich die Sender noch bedeckt – nur soviel ist klar: Andy Borg muss weg. Das Münchner Publikum der „Stadl“-Tour teilt Borgs Meinung darüber weitgehend: „Das ist ein großer Käse“, sagt der 78-jährige Hans aus München, der mit seiner Frau Margit in die Kleine Olympiahalle gekommen ist, um Borg und den Stargast des Abends, Patrick Lindner, zu sehen. „Wir finden’s sehr schade. Die ganzen Volksmusik-Sendungen verschwinden.“
 
Veränderungen habe es im „Musikantenstadl“ immer schon gegeben, sagt der Musiksoziologe Michael Weber von der Uni Wien, der sich unter anderem unter der Überschrift „Der Musikantenstadl, die unerforschte Visitenkarte Österreichs?“ wissenschaftlich mit der Sendung befasst hat. „Dass neue Musikformen aufgenommen wurden, das ist nichts Neues“, sagt er.
 
Und es ist kein Phänomen, das allein den „Musikantenstadl“ betrifft. Entwicklungen wie diese gibt es auch im Radio – zum Beispiel im hohen Norden der Republik. Dort versuchen die Senderverantwortlichen von NDR 1, dessen Durchschnittshörer etwas über 60 Jahre alt ist, seit geraumer Zeit, jünger zu werden, ohne die traditionellen Hörer gänzlich zu vergraulen.
 
„NDR 1 Niedersachsen wird sich, wie schon seit einigen Jahren erfolgreich durchgeführt, auch weiterhin um einen Spagat bemühen: Das Traditionspublikum (das eher Schlager favorisiert) zu halten und gleichzeitig nachwachsende Hörer (eher orientiert in Richtung Oldies/Pop) zu gewinnen“, sagt NDR-Sprecher Martin Gartzke.
 
Für die Musikauswahl bedeutet das: Weil die gemeinsame Schnittmenge nicht sehr groß ist, setzt der Sender auf „Titel, die mindestens wechselseitig toleriert werden“. Ganz reibungslos funktioniert das freilich nicht. „Es gibt per Brief, Mail und Telefon regelmäßig Beschwerden von Hörern, denen die frühere Musikfarbe besser gefallen hat“, sagt Gartzke. Bei rund zwei Millionen Hörern am Tag liege die Zahl der Beschwerden aber „im unteren Promillebereich“.
 
Musiksoziologe Weber sieht durchaus ein Potenzial für ein jüngeres Publikum auch im „Stadl“. „Es gibt in vielen Bereichen – angefangen bei der dörflichen Blasmusik – sehr viel junges Publikum, das bislang in der Sendungsgestaltung nicht direkt adressiert worden ist“, sagt er. Auch in der visuellen Gestaltung müsse sich einiges ändern – das „Stadl“-Ballett beispielsweise komme bei jungen Leute wahrscheinlich nicht unbedingt gut an. „Und diese berühmten karierten Tischdecken – das könnte man schon alles etwas modernisieren.“
 
Ob das wirklich sein muss, daran haben nicht nur die treuen „Stadl“-Fans ihre Zweifel, sondern auch Andreas Gabalier. „Ich weiß nicht, ob man den „Musikantenstadl“ krampfhaft verjüngen muss“, sagt der selbst ernannte „Alpen-Elvis“, der direkt allen Spekulationen um ihn als möglichen Borg-Nachfolger ein Ende setzte. „Damit würde man wahrscheinlich die traditionellen ‚Musikantenstadl‘-Seher verschrecken“, sagt er über ein neues Konzept. „Sie wollen nun mal so einen wie den Marc Pircher sehen, der jodelt. Ich glaube nicht, dass man so erfolgreiche Geschichten krampfhaft radikal ändern muss.“
 
Während in der Kleinen Olympiahalle zu Patrick Lindner geschunkelt wird, steht in der großen Halle Katy Perry auf der Bühne. Ihr Konzertticket gegen eins für den „Stadl“ tauschen will die 32-jährige Anna aus Landsberg zwar nicht, aber sie könnte sich schon vorstellen, in eine Show zu gehen. „Wenn die Helene und der Gabalier da sind“ zum Beispiel – „und dann mit zehn Mädels. Zum Junggesellenabschied vielleicht“. [Britta Schultejans/Cordula Dieckmann/fm]

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