No One Lives

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„Hannibal Lecter trifft Jason Bourne“

Zunächst: Eine Frau flieht durch den Wald. Dann: Ein Pärchen will Gewaltverbrechern entkommen, die sie gekidnappt haben. Und zum Schluss: Ein Gemetzel durch eine zuvor unterschätzte Bedrohung. Klingt nach drei verschiedenen Filmen des gleichen Genres, ist aber nur einer.

Um Ryûhei Kitamuras Gewaltorgie in seiner Gänze erfassen zu können, sollte man folgendes wissen: Der japanische Regisseur hat sich auf zwei Arten von Filmen spezialisiert. Zum einen auf Horror-Slasher, wie „The Midnight Meat Train“ (2008) und zum anderen auf actionreiche Fantasy-Slasher wie etwa „Versus“ (2000) oder auch „Azumi“ (2003). Zwischendurch hat er auch einmal „Godzilla Final Wars“ (2004) gedreht, aber das kann eher als ein für ihn atypisches Werk betrachtet werden. Sollte sein neustes Werk „No One Lives“ also wieder in die typische Schiene fallen, so dürfen wir uns hier auf einen gnadenlosen Horror-Film mit extremen Dekonstruktionen gefasst machen.

Durch den Fleischwolf

Und tatsächlich enttäuscht „No One Lives“ in dieser Hinsicht in keinster Weise und setzt eher noch einen oben drauf, anstatt an blutigen Effekten zu sparen. Das hat man selbstredend schon tausendfach in anderen mehr oder minder guten Torture-Porns gesehen und ist beileibe nichts mehr Neues. Das Alleinstellungsmerkmal dieses Films liegt daher beim Spiel mit der Erwartungshaltung des Zuschauers, die hier das Kapital der Handlung bildet.
 
Daher sei auch nur der Einstieg der Geschichte verraten: Eine schreiende Frau (Adelaide Clemens) rennt panisch durch den Wald und scheint von etwas gejagt zu werden. Sie löst eine Falle aus, die sie am Fuß verletzt, doch ihr immenser Überlebenswille lässt sie weiterlaufen. Trotz ihres Geschicks gerät sie letzten Endes doch noch in eine Fußschlinge und ritzt kopfüber am Baum hängend „Emma Alive“ („Emma lebendig“) in die Rinde – Eine Nachricht, die alsbald von der Öffentlichkeit entdeckt wird und eine Medienlawine mit diversen Konsequenzen ins Rollen bringt.

Liebe als Perversion

Szenenwechsel: Ein Liebespaar fährt mit Auto und Anhänger eine Landstraße entlang und möchte offensichtlich in eine neue Gegend ziehen. Sie scheinen ein seltsames Verhältnis zueinander zu haben und den Begriff „Liebe“ mit jeweils etwas anderem zu verbinden. Zudem scheint ein schreckliches Geheimnis auf beiden zu lasten.
 
Noch ein Szenenwechsel: Eine Familie kehrt aus dem Urlaub zurück und erwischt eine Verbrecherbande, die gerade ihr Haus ausräumt. Der Heißsporn unter den Gangstern tötet sie ohne mit der Wimper zu zucken und macht damit überdeutlich, wie gefährlich diese Leute sind. In einer Spelunke trifft die Gang auf das Paar, wobei der Psychopath Flynn (Derek Magyar) mal wieder nicht an sich halten kann. Er macht die beiden an und entschließt sich sie kurz darauf in seine Gewalt zu bringen, sie zu foltern und ihnen ihre Kontozugangsdaten zu entlocken. Und dass, obwohl ihn der Boss Hoag (Lee Tergesen) schon mehrmals ermahnt hat, keine auffälligen Dinge zu tun. Überhaupt scheint der Bandenchef ein Problem damit zu haben, seine Autorität durchzusetzen. Ständig spricht er Drohungen aus, ohne sie jemals zu verwirklichen. Und genau das wird wirklich allen zum Verhängnis, als Flynn eine große „Überraschung“ aus dem gekidnappten Auto zieht.

Möge der Fieseste überleben!

Insgesamt könnte man den zu einem Survival-Schocker mutierenden Thriller auch als ein recht bizarres Beziehungsdrama sehen, das sich auf einem höchst mörderischen Niveau bewegt. Der gewaltige Twist des Films wird leider schon in der 20. Minute offenbart, was dem Spiel zunächst die Spannung nimmt. Der anschließende Überlebenskampf ist zwar unterhaltsam, zumal hier irgendwie niemand so richtig Opfer spielen will, aber dennoch fehlt es dem Ganzen an Konsistenz und echten Spannungsmomenten. Ein bisschen „Rambo“, ein bisschen „Terminator“ und ein wenig „Sieben“ erwarten den geneigten Zuschauer, der besser keinen empfindlichen Magen haben sollte, wenn er sich dieses Schlachtfest ansieht. Zartere Gemüter sollten daher zur gekürzten FSK-18-Fassung greifen, in der einige der fiesesten Gewaltszenen herausgeschnitten wurden.
 
Was die technische Bildqualität anbelangt, so lässt sich das grobkörnige, matschige und sehr, sehr dunkle Bild eindeutig der visuellen Intention Kitamuras zuschreiben. Konturen und Details sind oftmals verschwommen, es sei denn der Kontrast ist so hoch, dass die Schatten harte Kanten entstehen lassen. Ungesättigte oft ins Bräunliche tendierende Farben versorgen Fans des letzten „Silent Hill“-Films immer wieder mit Déjà-vu-Erlebnissen, wenn Hauptdarstellerin Adelaide Clemens in eben diesem Rostlook kämpferisch in die Kamera schaut. Ausgelöste Guerilla-Fallen, Schusswechsel und die Mechanismen der Folterinstrumente greifen auf eine akkurate Audioquell-Ortung zurück, der 3D-Sound bewegt sich im passablen Bereich. Neben einer guten Klangqualität sorgt auch die Dynamik für spannende Momente. Im Bonusbereich befindet sich eine kurze B-Roll und 12 kurze Interviews mit der Besetzung und der Filmcrew, bei denen leider die deutschen Untertitel fehlen.
(Falko Theuner)

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