„Tagesschau“-App bedroht Qualitätsjournalismus – oder rettet ihn

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Bild: © Phongphan Supphakank - Fotolia.com
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Der Vorstandsvorsitzende des Axel Springer Verlags, Mathias Döpfner, hat die Klage gegen die „Tagesschau“-App mit dem „Überschreiten einer roten Linie“ gerechtfertigt. FAZ-Blogger Stefan Niggemeier kontert nun: es gibt gar keine rote Linie.

Dürfen die Öffentlich-Rechtlichen kostenlos Applikationen für Smartphones und andere mobile Endgeräte anbieten? Diese Frage scheint eine Grundsatzdebatte zur Legitimation des gebührenfinanzierten Rundfunksystems heraufzubeschwören. Nachdem acht deutsche Verlage in der vergangenen Woche gegen die kostenlose „Tagesschau“-App geklagt haben, hat Springer-Chef Döpfner am Freitag in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ seinen Standpunkt vertreten. Beide Verlage gehören zu den Klägern.
 
Der Springer-Chef sprach in dem Gespräch von einer roten Linie, die ARD und ZDF überschritten hätten. Diese bestehe darin, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in einem Markt mit Bezahlkultur – den Apps für mobile Geräte – etwas kostenlos anbieten. Damit würden sie nicht nur gegen den Rundfunkstaatsvertrag verstoßen, sondern auch die privaten Verlage schädigen. Diese könnten sich nämlich nicht durch „Zwangsgebühren“, wie Döpfner sich ausdrückt, finanzieren, sondern müssten sich im Wettbewerb behaupten.
 
ZDF-Intendant Markus Schächter hatte bereits im März erklärt, dass Apps wie die ZDF-Mediathek oder eine mögliche App zu „heute.de“ auch zukünftig kostenlos bleiben würden, weil die Öffentlich-Rechtlichen ihr Gesamtangebot aus rundfunkrechtlichen Gründen nicht kommerziell vermarkten dürfen. Einzelne Inhalte um andere Features erweitert, beispielsweise „Markus Lanz kocht“, würden jedoch bereits kostenpflichtig angeboten (DIGITAL FERNSEHEN berichtete).
 
Döpfner argumentierte in dem Interview weiter, dass eine kostenlose App darüber hinaus auch den Qualitätsjournalismus sowie den Markt der Zeitungsverlage gefährde. „Die Zukunft des markengebundenen Qualitätsjournalismus liegt weltweit in den digitalen Vertriebskanälen“, spitzte er die Konkurrenzsituation in der digitalen Medienwelt zu. Außerdem äußerte er: „Wenn Gratisangebote der Öffentlich-Rechtlichen den Privaten das Geschäftsmodell in der digitalen Welt zerstören, wird es in den nächsten zehn Jahren Zeitungspleiten geben“.
 
Döpfner zog das fatalistische Fazit, dass durch eine kostenlose „Tagesschau“-App das Geschäftsmodell der privaten Verleger zerstört werde, da sich eine qualitativ gleichwertige, kostenpflichtige App nicht gegen eine kostenlose durchsetzen können. Der Springer-Chef ging sogar noch einen Schritt weiter und kündigte an, bei einem Scheitern vor deutschen Gerichten gegebenenfalls Beschwerde bei der Europäischen Wettbewerbskommission einzulegen, um das Duale Rundfunksystem an sich auf seine Gültigkeit überprüfen zu lassen.

Journalist Stefan Niggemeier, der als Autor auch für die ebenfalls zu den Klägern gehörende „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt, nahm in einem Blogeintrag am Montag die Argumentation des Springer-Vorstandsvorsitzenden auseinander. Wenn die „Tagesschau“-App eine rote Linie überschreite, sei das beim Internetangebot tagesschau.de schon längst passiert, weil dieses schon seit Jahren kostenlos zugänglich ist.
 
Niggemeier verlieh der Vermutung Ausdruck, dass die privaten Verleger argumentieren müssten, „dass es erst die App der ‚Tagesschau‘ war, durch die die ARD eine endgültige Grenze überschritten hat, weil sie es versäumt haben, schon gegen das Internet-Angebot tagesschau.de vorzugehen“. Auch Döpfners Definition der „roten Linie“ wertete Niggemeier in seinem Beitrag kritisch: „Die Grenze soll davon abhängen, welche Refinanzierungsmodell die Mehrheit der Unternehmen in einem noch extrem jungen und beweglichen Markt wie dem der Nachrichten- und Medien-Apps wählt“, rüffelte Niggemeier.
 
Ebenso wenig sei gewährleistet, dass durch das Verbot einer kostenlosen „Tagesschau“-App wirklich die privaten Verlage und der Zeitungsjournalismus gerettet würden, konstatierte der Journalist. Ein durchaus legitimer Lösungsansatz für das Szenario, das der Springer-Chef mit dem Untergang der privaten Verlage skizziere, sei daher gerade eine Gratis-App der Öffentlich-Rechtlichen.
 
Mit einer solchen Applikation lasse sich „durch verlässlich und von allen gemeinsam finanzierte Medien eine umfassende Grundversorgung“ sicherstellen, „selbst wenn die privaten Anbieter in schlechten Zeiten oder aus grundsätzlichen Problemen das nicht in befriedigendem Maße tun können“, zeigte Niggemeier eine andere Seite der Gleichung auf.
 
Letztendlich führte der Journalist noch zwei Beispiele an, die der Argumentation Döpfners widersprechen. So stellt der zur RTL-Gruppe gehörende Nachrichtensender N-TV ebenfalls eine Gratis-App zur Verfügung. Wenn Döpfner mit seiner „Alles-oder-nichts-Argumentation“ Recht habe, trage auch diese App zum „Tod des Qualitätsjournalismus“ bei. Zum anderen berichtete Niggemeier von der „Welt HD“-App, die er selbst abonniert hatte. Sein Abo sei seit fast einem Jahr abgelaufen und die App funktioniere (gratis) noch immer.
 
Im Rahmen der Konferenz der ARD-Intendanten in Würzburg hat BR-Intendant Ulrich Wilhelm am Dienstag zur Rückkehr in ein Miteinander appelliert. Es mache keinen Sinn, „uns gegeneinander in Stellung zu bringen“, sagte der Intendant des Bayerischen Rundfunks und frühere Regierungssprecher. Die Information sei den Zeitungen und den öffentlich-rechtlichen Sendern gemeinsam anvertraut, „wir sind hier in einer Interessengemeinschaft“. Diese dürfe mit Blick auf Demokratie nicht vernachlässigt werden.
 
Update 15.00 Uhr: Aussage von BR-Intendant Ulrich Wihelm hinzugefügt[js]

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5 Kommentare im Forum

  1. AW: "Tagesschau"-App bedroht Qualitätsjournalismus - oder rettet ihn Bild und Qualität? Ich lach mich schlapp.
  2. AW: "Tagesschau"-App bedroht Qualitätsjournalismus - oder rettet ihn Wenn die Bild für ihre App 3 € pro Monat haben will und Handys sogar von ihrer mobilen Webseiten aussperren, braucht sie sich meiner Meinung nach nicht beschweren. Andere kriegen es ja auch kostenlos hin so eine App anzubieten und sterben nicht gleich den Kostentod... Das man für die PDF Bild Geld verlangt ist ja völlig in Ordnung. Aber nicht für die eigentliche App.
  3. AW: "Tagesschau"-App bedroht Qualitätsjournalismus - oder rettet ihn Die Bild hat mit Qualitätsjournalismus nichts am Hut.
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