Youtube-Kritik zeigt Schwächen der Politik im Umgang mit dem Web

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Bild: © Victoria - Fotolia.com
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Die wütende Abrechnung eines 26 Jahre alten Studenten auf Youtube hat die Union vor der Europawahl kalt erwischt. Die unbeholfene Reaktion auf die Kritik wirft ganz grundsätzliche Fragen zur Kommunikation mit Jugendlichen und jungen Erwachsen auf.

Rezo ist einer der erfolgreichsten Musik-Videoblogger in Deutschland, aber die Schwelle von mehr als fünf Millionen Abrufen überschreitet er mit den Videos auf seinen beiden Youtube-Kanälen nur hin und wieder. Seine Generalabrechnung mit der Politik von CDU, CSU, SPD und AfD sprengt dagegen alle Rekorde. 12,7 Millionen Mal wurde das 55-Minuten-Video mit dem Titel „Die Zerstörung der CDU“ inzwischen abgerufen. Das ist mehr als die durchschnittliche Reichweite der „Tagesschau“. Und auch wenn man in der Online-Welt bleibt: Das populärste Nicht-Musik-Video 2018 in Deutschland erreichte 6,6 Millionen Abrufe. Youtube-Star Bibi Claßen von Bibis Beauty Palace gab damals in dem Clip ihre Schwangerschaft bekannt.
 
Im Gegensatz zu dem harmlosen Bibi-Video hinterließ der Rant – die Wutrede – des 26-Jährigen mit dem blau gefärbten Haar in der Politik tiefe Spuren. In der Altersgruppe der Wähler zwischen 18 und 24 Jahren stimmten 35 Prozent für die Grünen. Das ist auch die Altersgruppe, die besonders häufig das Rezo-Video abgerufen hatte.
 
Weit weniger wirkungsvoll fiel der Versuch der Jungen Union aus, in den Sozialen Netzwerken junge Wähler für die Union zu mobilisieren. Unter dem Hashtag #JU4EU traten zwar auch Influencer wie Yvonne Pferrer, die über eine Million Instagram-Abonnenten hat, in einem Hoodie der Nachwuchsorganisation auf. Doch die Posts entfalteten keine virale Wirkung.

Auf das Zerstörungs-Video von Rezo wurden dagegen nicht nur die Online-Experten im Konrad-Adenauer-Haus schnell aufmerksam. Die Christdemokraten kritisierten die Wutrede als einseitig, unsauber recherchiert, zugespitzt. Doch eine wirksame Reaktion aus der CDU-Zentrale blieb aus.
 
Ein angebliches Antwort-Video des ebenfalls 26-jährigen Unionsabgeordneten Philipp Amthor, über das im Netz gemunkelt wurde, wurde nie veröffentlicht. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer lamentierte lediglich: „Ich habe mich gefragt, warum wir nicht eigentlich auch noch verantwortlich sind für die sieben Plagen, die es damals in Ägypten gab.“ Auf die konkreten Vorwürfe aus dem Video ging sie nicht ein.
 
Nach einigem Hin und Her rang sich die Parteiführung immerhin dazu durch, sich in einem langen Dokument „Wie wir die Sache sehen“ an den inhaltlichen Punkten von Rezo abzuarbeiten, die der Blogger in seinem Video aufwendig mit Quellenhinweisen belegt hatte. Ulf Buermeyer, Bürgerrechtler, Richter und Podcaster („Lage der Nation“) kann dabei nur den Kopf schütteln: „Sie veröffentlichen ein 11-seitiges PDF im Internet, eng bedruckt, keine Grafiken. Man nennt das in der Fachsprache eine ‚Bleiwüste‘. Und ganz ehrlich: Das liest halt niemand. Und vor allem lesen das exakt null Prozent von denjenigen, die das Rezo-Video gesehen haben.“
 
Nach der Europawahl können die Verantwortlichen der Union das Youtube-Debakel nicht einfach abhaken und zur Tagesordnung übergehen. Zu deutlich haben Rezo und die rund 70 anderen Youtube-Stars, die sich mit seiner Kritik solidarisiert hatten, die Meinungsbildung vor dem Urnengang geprägt. „Jetzt sind plötzlich alle ganz aufgeschreckt“, schreibt Social-Media-Experte Philipp Jessen im „Tagesspiegel Background Digital“. „Weil sie sehen, welchen politischen Einfluss ein Youtuber mit blauen Haaren und ein kluges Mädchen mit Namen Greta haben können, beide mit Smartphone und großen Ideen bewaffnet, aber ohne Parteizugehörigkeit“, so der Geschäftsführer der Kommunikationsberatung Storymachine.
 
Doch statt versöhnlicher Signale aus der CDU-Zentrale kommen in der Netz-Szene nur Äußerungen an, die als Affront empfunden werden. Unter dem Hashtag #AKKRuecktritt empörten sich am Dienstag unzählige Twitter-Nutzer über die Gedankenspiele der CDU-Vorsitzenden zu Regeln für „Meinungsmache“ im Netz. „Was wäre eigentlich in diesem Lande los, wenn eine Reihe von, sagen wir, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten, wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD“, sagte sie und erklärte, dass „Regeln aus dem analogen Bereich“ auch online gelten müssten.
 
Zuvor hatte bereits Thomas Bareiß, CDU-Vorstandsmitglied und Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Öl ins Feuer gegossen. Via Twitter reagierte er auf die Stimmenverluste der Union mit einem Hinweis, der von vielen jungen Leuten als überheblich empfunden wurde: „Wenn die #Erstwähler mal ihr eigenes Geld verdienen und selber spüren wer das alles bezahlen muss sieht die #Wahl vielleicht auch wieder anders aus.“ In über 4000 Kommentaren auf Twitter kam sein Statement durchweg nicht gut an. [Christoph Dernbach]

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53 Kommentare im Forum

  1. Da hat dieser Thomas Bareiß aber soweit recht. Alle Leute die jetzt Grüne gewählt haben, wegen Klimaschutz und meinen Deutschland müsse und kann alleine die Welt retten, die werden ihre Meinung wie eine Fahne im Wind dann ändern, wenn es an den eigenen Geldbeutel geht und durch diverse Maßnahmen das bisheriges Leben und den Komfort eingschränkt wird. Und diese wo freitags demonstrieren statt in die Schule zu gehen, bei denen wird es auch so sein, wenn die selbst verdienen, mal eine Familie haben und und und. Gerade in Schweden, dem Heimatland der heiligen Greta haben die Grünen nicht so gut abgeschnitten, auch weil diese mit in der Regierung sind und wie es bei einer Koalition ist, Kompromisse eingehen müssen, und dort ist nicht alles Gold was glänzt. Bei diesem Rezo, große Reden schwingen ist aber was anderes als die Realität und da würde auch Rezo, wenn dieser in einer politischen Verantwortung stehen würde, schnell sehen, dass es alles anders als leicht wäre und wer weiß wer dann Rezo zerstören würde, aus Unfähigkeit und so. Die Aussage von AKK, die so rübergekommen ist, man wolle die Meinungsfreiheit vor Wahlen einschränken, war natürlich absolut dämlich.
  2. Das schlimme an der Sache ist ja, dass nach "rechts gegen links" nun zusätzlich "jung gegen alt" hinzu kommt. Die Grünen wurden in den den vergangenen Monaten überall gehypt. Keine andere Partei wurde positiver und öfter in den Medien genannt, egal ob Print oder die Öffentlichen. Klimapopulismus pur. Klimaschutz ist wichtig, aber die deutsche Panikmache ist nur noch dämlich. Deutschland wird das Weltklima mit seinen Maßnahmen nicht retten können. Dafür sind wir ein viel zu kleines Licht bei der Verschmutzung. Verkauft wird es aber, als würde am deutschen Klima-Wesen die Welt genesen. Und genau da liegt das Problem und der Vorwurf, welcher mehr als berechtigt ist. ein paar Beispiele warum der Alleingang nix bringt: - Dieselfahrverbote, damit die Autos weitere Strecken zurücklegen müssen - AKW Abschaltungen, damit der Rest Europas neue bauen kann - eine Co2 Steuer bei einem Anteil Deutschlands am weltweiten Co2 im Nullkomma Bereich - Ökosteuer bei Strom über 50%, bei Kraftstoffen nicht mehr weit davon entfernt - immer mehr LKW auf den Straßen und Bahnen werden stillgelegt - die Ökobilanz eines Stromers ist mehr als schlecht, von der Entsorgung der Akkus, der Umweltzerstörung beim Abbau der Erden und der Kinderarbeit mal ganz zu schweigen. Wo sind die Hinterfrager bei den Jungen? Nimmt man alles hin, was einem die Presse, die Politik und ein youtuber auftischt? Wo ist die Diskussion, bei welcher alle Fakten, postive wie negative, auf den Tisch kommen. Welchen Einfluss kann Deutschland tatsächlich auf die tatsächlichen Verschmutzer ausüben? Kann es das überhaupt? Nichts ist da, außer grüner Populismus, welcher schon in Wahn ausartet. Zahlen all die "Jungen" genau die Zeche, die Deutschland unter dem Deckmantel der "Energiewende" und des "Klimaschutzes" von seiner Bevölkerung abzockt? Oder zahlen das die Alten der Jugend? Und wenn sich die Jugend von heute über Youtube, einem neuen Medium bzgl. Wahlen, ggf. massiv beeinfussen lässt, sollte sehr wohl darüber nachgedacht und offen diskutiert werden.
  3. So ist es mit Artikel 13 hat die CDU bei vielen erstmal verkackt und sind davon schon eingestellt definitiv nicht CDU zu wählen
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