Interview: Barrierefreies Web muss jedes Handicap berücksichtigen

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Bild: © Victoria - Fotolia.com
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Leipzig – Seit ein paar Tagen ist der neue Internetauftritt des Mitteldeutschen Rundfunks online, über den DIGITAL FERNSEHEN berichtet hat. Grund der Sanierung war die vom Gesetzgeber geforderte Barrierefreiheit.

Mit grafischen Veränderungen und einem ausgebauten Angebot an Videos hat der MDR versucht dieser Forderung gerecht zu werden und stieß dabei auch auf Kritik. DIGITAL FERNSEHEN sprach mit Professor Doktor Christian Bühler, Leiter des Aktionsbündnis barrierefreie Informationstechnik (AbI) über seine Einschätzung zurneuen MDR-Homepage und über die Anforderungen an eine gute barrierefreie Website.

DIGITAL FERNSEHEN: Herr Bühler, was genau heißt barrierefreies Internet?
 
Christian Bühler: Barrierefreies Internet bedeutet, Internetseiten für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar zu machen. Bei der Konzipierung sind in Deutschland das BGG (Behindertengleichstellungsgesetz) sowie die BITV (Barrierefreie Informationstechnik Verordnung) zu beachten, die sich an den derzeitigen internationalen Richtlinien, den WCAG 1.0 (Web Content Accessibility Guidelines) orientieren.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Der MDR hat gerade seine Homepage erneuert und verspricht mit dieser mehr Barrierefreiheit, was sagen Sie zur neuen Internetseite?
 
Christian Bühler: Auf die Schnelle beurteilt sieht die Seite ganz gut aus, allerdings habe ich keinen vollständigen Test durchgeführt. Ein paar Probleme sind mir aufgefallen, so ist zum Beispiel kein Fokus bei der Tastaturbedienung zu sehen.Der Videoplayer ist zunächst einmal mit der Tastatur bedienbar, allerdings sollten hier eventuell Nutzertests, zum Beispiel mit Screenreadern durchgeführt werden. Bei den Videos fehlen allerdings Alternativen, wie Textalternativen, bzw. Untertitel.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Inwiefern spielen Mediatheken, TV-Angebote auf Websites eine Rolle, führt ein größeres Angebot auch zu mehr Barrierefreiheit?
 
Christian Bühler: Generell kann man nicht sagen, dass ein Mehrangebot an Videos zwangsläufig zu mehr Barrierefreiheit führt. Am ehesten noch für Menschen, die eher ein Video als einen Text verstehen können. Mehr Videos bringen aber nur einen Nutzen, wenn sie auch für Menschen mit anderen Behinderung zugänglich sind. Hier sind verschiedene Kriterien zu erfüllen, die sich je nach Art der Behinderung unterscheiden. So benötigen gehörlose und hörgeschädigte Menschen Untertitel oder Gebärdenvideos als Äquivalent zu auditiven Inhalten, während blinde und sehbehinderte Menschen Textalternativen oder Audio-Deskriptionen benötigen. Auch für Menschen mit motorischen Einschränkungen bestehen Probleme, sofern die verwendeten Player nicht mit der Tastatur bedient werden können. Sollten allerdings alle Kriterien der Zugänglichkeit für Videos berücksichtigt werden, können Videos natürlich als zusätzliches Angebot zur Barrierefreiheit beitragen.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Was kann man tun, um das Internet barrierefreier zu gestalten? Wie sehen Sie die Entwicklung in Deutschland?
 
Christian Bühler: Für ein barrierefreieres Internet ist es wichtig, dass Standards wie sie durch die BITV vorgeschrieben werden eingehalten werden, nicht nur von dazu verpflichteten Anbietern, sondern auch in der Privatwirtschaft. Hierzu ist es wichtig, dass die Öffentlichkeit gezielt über dieses Thema informiert wird, was wir als AbI zu einem unserer Projektziele gemacht haben. Weiterhin sollten Mythen ausgeräumt werden, wie zum Beispiel barrierefreie Internetseiten wären grundsätzlich teurer, als unzugängliche Seiten. Allerdings kann man auch als Privatperson mithelfen das Internet barrierefreier zu gestalten, indem man Barrieren, auf die man im Internet stößt bei unserer Meldestelle für Webbarrieren meldet www.webbarrieren.wob11.de .
 
DIGITAL FERNSEHEN: Herr Bühler, vielen Dank für das Interview.
 
Das Interview gibt die Meinung des Interviewpartners wieder. Diese muss nicht der Meinung des Verlages entsprechen. Für die Aussagen des Interviewpartners wird keine Haftung übernommen. [mw]

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9 Kommentare im Forum

  1. AW: Interview: Barrierefreies Web muss jedes Handicap berücksichtigen Bedeutet barrierefrei nicht auch der Verzicht auf Scripte und Flash etc.? Bei MDR.de ist dass aber noch erforderlich.
  2. AW: Interview: Barrierefreies Web muss jedes Handicap berücksichtigen Wenn ich aber Javascript sperre, geht auch kein Flash.
  3. AW: Interview: Barrierefreies Web muss jedes Handicap berücksichtigen Alles klaro... Allen kann man es eh nicht recht machen. Außerdem glaube ich, dass Menschen mit Beeinträchtigungen bzw. Behinderungen eh Tools und Programme nutzen, die solche Barrieren kompensieren.
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