Interview: Interaktives TV wird zu Olympia keine Utopie mehr sein

5
35
Bild: Destina - Fotolia.com
Bild: Destina - Fotolia.com

Leipzig – Zu den Olympischen Sommerspielen testet der ORF ein ganz neues Pilotprojekt, welches den Zuschauern ermöglichen soll, aktiv in das TV-Geschehen einzugreifen. 500 österreichische Haushalte nehmen an diesem Feldversuch teil.

Entwickelt wurde das neue TV-Konzept „LIVE-Staging of Media Events“ an der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM). DIGITAL FERNSEHEN sprach mit Carmen Mac Williams, Leiterin der kreativen Medienforschung über die Idee, die Umsetzung und die Zukunft des neuen interaktiven Fernsehens.

DIGITAL FERNSEHEN: Frau Mac Williams, Sie haben gemeinsam mit Ihrem Kollegen Herrn Prof. Trogemann, im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Kunsthochschule für Medien Köln eine Möglichkeit entwickelt, interaktives Fernsehen zu gestalten. Wie kamen Sie darauf?
 
Carmen Mac Williams: Wir, die Kunsthochschule für Medien Köln (KHM), insbesondere Prof. Georg Trogemann und ich vom LAB 3, leiten die kreative Medienforschung in dem europäischen Forschungsprojekt „LIVE-Staging of Media Events“. Wir entwerfen die inhaltlichen Konzepte für die neuen interaktiven Fernsehformate und testeten sie kontinuierlich mit dem ORF-Produktionsteam. Wir haben die Idee für „LIVE“ während unseres damaligen europäischen Forschungsprojektes „Media Collaboration for iTV – MECiTV“ entwickelt. Damals haben wir eine interaktive nicht-lineare TV-Dokumentation erstellt und wollten diese nicht lineare Berichterstattung in Echtzeit für große Medienereignisse austesten. Die Olympischen Spiele schienen uns das richtige Medienereignis zu sein und wir konnten den ORF als Partner für das Forschungsprojekt „LIVE“ gewinnen.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Das Pilotprojekt wird erstmals beim ORF während der Olympischen Spiele eingesetzt. Was genau haben die Zuschauer dann für Möglichkeiten?
 
Carmen Mac Williams: Stellen Sie sich vor, die Olympischen Spiele 2008 in Peking haben begonnen: Sie sitzen vor Ihrem Fernsehgerät und stellen sich mit Ihrer Fernbedienung Ihr persönliches Erlebnis der Olympischen TV-Sportberichterstattung zusammen: Während der Übertragung des Zeitfahrens der Radsportler werden Sie darauf hingewiesen, dass auf einem parallelen Kanal Interviews mit den teilnehmenden Athleten gezeigt werden.
 
Sie schalten auf diesen Kanal um, springen von dort aber bald zur parallel laufenden Zusammenfassung der wichtigsten Entscheidungen des Vortags. Ein Moderator weist Sie dort darauf hin, dass einer der Favoriten kurz vor dem Zielsprint steht und überlässt Ihnen die Entscheidung, zum Zeitfahren zurückzukehren oder bei der Zusammenfassung des Vortags zu verweilen. Eine Utopie? Nein!
 
Die Vision des Projekts „LIVE“ besteht darin, Fernseh-ZuseherInnen ein neuartiges TV-Erlebnis von Medien-Großereignissen zu ermöglichen: Das Ereignis wird parallel auf mehreren Kanälen ausgestrahlt, die inhaltlich miteinander verknüpft sind und an passenden Stellen einen Hinweis auf mögliche Kanalwechsel anbieten. Die ZuseherInnen werden demnach ein Sport-Ereignis wie die Olympischen Spiele 2008 in Peking auf „persönliche“ und „interaktive“ Weise erleben. Zudem gestalten sie das Programmangebot durch ihr Feedback gleichsam selbst mit. Stimmt die Prognose des Forschungsteams, wird man sich am Tag nach der Sendung nicht mehr fragen: „Hast du das auch gesehen?“, sondern vielmehr darüber diskutieren: „Wie hast du das gesehen?“
 
DIGITAL FERNSEHEN: Wie wird das Projekt technisch realisiert?
 
Carmen Mac Williams: Während der Olympischen Sommerspiele in Peking wird der Schleier über den Ergebnissen des europäischen Forschungsprojekts „LIVE“ für die Öffentlichkeit gelüftet: Im Rahmen eines Feldversuchs werden über 500 Test-Haushalte ihr persönliches Erlebnis der Olympischen Berichterstattung des Österreichischen Rundfunks (ORF) auf ihren Settop-Boxen gestalten und sich durch das Angebot von vier parallelen Sendekanälen schalten.
 
Aus zwölf parallelen Olympischen Live-Datenströmen und einer Fülle von Archivmaterial werden die Produktionsexperten in Echtzeit ein innovatives Format der Sportberichterstattung schaffen. Aussagekräftige Zusammenhänge zwischen Sehpräferenzen und analysiertem Videomaterial werden in Echtzeit verarbeitet und an den Regisseur zur Lenkung des Produktionsprozesses weitergeleitet.
 
Der Regisseur reagiert darauf, und zwar wesentlich mehr als sonst, weil er den Zuschauer über die Auswahl mit entscheiden lässt. Er verknüpft, was bei dem Standard von Live-Übertragungen mit Einkanalrundfunkansatz nicht verknüpft werden kann: Aufnahmen der verschiedenen live arbeitenden Kameras, Archiv-Material, Hintergrundberichte und die Zuschauerpräferenzen.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Wie wird es nach dem Feldversuch für Sie weitergehen?
 
Carmen Mac Williams: Wir möchten gerne weiterforschen und suchen interessierte Sender für unsere nächsten Projekte. Ist das Konzept erfolgreich, so könnte „LIVE“ die Art und Weise ändern, wie wir zukünftig live Events wie die Olympischen Spiele, den FIFA Weltcup oder eine politische Wahl im Fernsehen erleben. Nicht nur eine breitere Abdeckung des Live-Events wird ermöglicht, sondern auch die wechselnden Stimmungen der Fernsehzuschauer live zu bedienen, indem man gleichzeitig mehrere Perspektiven über ein Live-Event präsentiert. Wie im wirklichen Leben: Es gibt immer mehr als eine Geschichte zu erzählen – und dann auch zu sehen.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Ist die Zusammenarbeit mit anderen Sendern bereits geplant? Wenn ja, mit welchen?
 
Carmen Mac Williams: In „LIVE“ ist der ORF der aktive Forschungspartner und das ZDF und BBC sitzen in unserem industriellen Aufsichtsrat, der alle sechs Monate tagt. Wir würden uns sehr über eine Zusammenarbeit mit weiteren Sendern freuen.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Wie sehen Sie die prinzipielle Entwicklung von interaktivem TV?
 
Carmen Mac Williams: Die Technik ist soweit ausgereift, um innovative interaktive TV Formate auch für die breite Masse anzubieten. Gerade die öffentlichen TV Sender könnten innovative interaktive TV Formate nutzen um eine Debatte mit dem Publikum über gesellschaftlich brisante Themen wie z.B. die Bundestagswahl durchzuführen.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Frau Mac Williams, vielen Dank für das Interview. [mw]

Das Interview gibt die Meinung des Interviewpartners wieder. Diese muss nicht der Meinung des Verlages entsprechen. Für die Aussagen des Interviewpartners wird keine Haftung übernommen.

Bildquelle:

  • Inhalte_Fernsehen_Artikelbild: Destina - Fotolia.com

5 Kommentare im Forum

  1. AW: Interview: Interaktives TV wird zu Olympia keine Utopie mehr sein die einzige interaktion, die ich mit meinem fernseher möchte, ist die, dass er auf die fernbedienung reagiert. punkt. schluss. aus.
  2. AW: Interview: Interaktives TV wird zu Olympia keine Utopie mehr sein Interaktiv wäre doch, wenn man direkt ins Geschehen eingreifen könnte! Dann hätten Wettbewerbe aber keinen Sinn mehr.
  3. AW: Interview: Interaktives TV wird zu Olympia keine Utopie mehr sein Vielleicht darf man interaktiv bestimmen, in welchen Dopingmittel echte Wirkstoffe enthalten sind in welchen nicht!
Alle Kommentare 5 im Forum anzeigen

Kommentieren Sie den Artikel im Forum