SWR: „Webradio flächendeckend und in ausreichender Qualität ist illusorisch“

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Radio UKW Bild: © jakkapan - Fotolia.com
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Leipzig – Da Webradio nicht überall gehört werden kann, plädiert der SWR-Hörfunkdirektor Bernhard Hermann trotz Schwierigkeiten, DAB auf den Weg zu bringen, weiterhin auch für eine digital-terrestrische Ausstrahlung. DIGITAL FERNSEHEN hat mit ihm gesprochen.

Das Webradio könnte die „Analogabschaltung“ im Radio erst dann vorantreiben, „wenn wirklich jeder überall flächendeckend in ausreichender Qualität Webradio hören könnte“, so Hermann. Dies sei heute und auf absehbare Zeit jedoch illusorisch. „Wir sind deshalb der Meinung, dass wir an dieser Stelle nicht ausschließlich auf den Verbreitungsweg Webradio setzen dürfen, sondern die Verbreitung über das Internet durch digital-terrestrische Verbreitung ergänzen müssen“.

DIGITAL FERNSEHEN: Herr Hermann, inwieweit verlagert sich Ihrer Meinung nach die Radionutzung Ihrer Hörer immer mehr ins Internet und glauben Sie, dass die Verlagerung in Zukunft noch zunehmen wird? Woran liegt es, dass besonders jüngere Leute zunehmend Radio übers Internet hören?
 
Bernhard Hermann: Immer mehr Menschen nutzen Radioangebote über das Internet. Sie hören dort lineare Radioprogramme und nutzen Begleitinformationen, die sie im Netz angeboten bekommen aber nicht über UKW. Die Radionutzung über das Internet nimmt in der Tat einen breiteren Raum ein als früher: Nach unserer Beobachtung verschieben sich dabei aber die Nutzungs-Akzente – dass sich die Nutzung gänzlich verlagert, lässt sich nicht sagen, dafür ist der Hauptverbreitungsweg über UKW momentan einfach noch zu dominant. Wir müssen hierbei auch unterscheiden zwischen der Nutzung des Internets als Transportweg für lineares Radio – also dem „Streaming“ von Angeboten – und der Nutzung von begleitenden Informationen wie Nachrichten, Service etc.
 
Jüngere Leute nutzen sicher deswegen in hohem Maß Radio über das Internet, weil sie als so genannte „digital natives“ mit der Kombination aus Internet mit anderen Medien aufgewachsen sind und daher von vornherein Internet-affiner sind. Sie kennen nichts anderes als diese Konvergenz. Die Kombination der Nutzungsarten ist ihnen vertraut und häufig werden auch mehrere Medien gleichzeitig genutzt. Kurz und gut: Das Internet ist als ein Weg der Radionutzung nicht mehr wegzudenken.
 
DF: Wie viele Teile Ihres Sendearchivs sind bei Ihnen bereits digitalisiert?
 
Herrmann: Die so genannten elektronischen Workflows sind ein wichtiger Baustein in der heutigen Radioproduktion. Im Hörfunk wird bereits seit vielen Jahren der überwiegende Teil an Sendungen und Beiträgen IT-gestützt geplant, produziert und ausgestrahlt. Alle Beiträge und Sendungen, die heute archiviert werden, wandern längst nicht mehr auf Band ins Archiv, sondern werden in digitalen Audiomassenspeichern abgelegt. Das verschlankt die Arbeitsabläufe, hilft Ressourcen sparen und macht die Radioproduktion insgesamt schneller und effektiver. Parallel dazu werden auch Teile des Archivs Stück für Stück rückwärts digitalisiert.
 
DF: Welche Programm- und Musikinhalte werden bei Ihnen per Webradio übertragen?
 
Herrmann: Alle SWR-Radioprogramme sind als Live-Streams im Internet zu hören, so wie sie auch linear über andere Verbreitungswege ausgestrahlt werden. Darüber hinaus sind alle Programme mit Zusatzdiensten wie Nachrichten-on-demand, Wetter, Verkehr etc. auf mobilen Plattformen z.B. dem iPhone über eigene Applikationen empfangbar.
 
DF: Wie viele Zuhörer nutzen Ihr Webradio-Angebot im Augenblick?
 
Herrmann: Eine generelle Antwort auf diese Frage ist immer schwierig und kann zu falschen Schlüssen führen. So müsste man aufschlüsseln, welche Hörer welche Programme hören und gleichzeitig die Zugriffszeiten und die Zugriffsdauer berücksichtigen. Das wäre eine doch recht aufwändige Untersuchung, die wir zumindest zur Zeit noch nicht regelmäßig veranstalten, da die Nutzung der analogen Programme nach wie vor die dominante ist.
 
DF: Welche Rolle wird künftig die regionale Berichterstattung im Radio spielen?
 
Herrmann: Für den SWR als Landesrundfunkanstalt spielt die regionale Berichterstattung in allen Programmen eine wichtige Rolle und das wird auch künftig so sein. Das bedeutet für uns, wesentliche Geschehnisse, Besonderheiten und Ereignisse aus den Regionen journalistisch aufzuarbeiten und zu verbreiten. Das heißt aber auch, den Menschen in den Regionen Themen und Ereignisse von bundesweiter oder globaler Bedeutung zu vermitteln und verständlich zu machen, denn als SWR ist es uns wichtig, der komplette Informationsbedürfnis unserer Hörerinnen und Hörer zu bedienen.
 
DF: Welchen Stellenwert nimmt das Thema „Podcast“ bei Ihnen ein?
 
Herrmann: Podcasts gehören für uns zur Radionutzung über das Internet und sind eine Selbstverständlichkeit. Die Hörer erwarten, dass Ihre Lieblingssendungen, Comics oder Berichte und Reportagen – sofern es rechtlich zulässig ist – on demand zur Verfügung stehen. Das SWR-Angebot an Podcasts ist sehr vielfältig und wird immer stärker und intensiver genutzt. Allein unsere ARD-Radiotatorte werden Monat für Monat 100tausend bis 150tausend Mal abgerufen.
 
DF: Inwieweit schwächt, Ihrer Meinung nach, Webradio das Medium Radio?
 
Herrmann: Nach unserer Auffassung schwächt Webradio das Medium Radio in keiner Weise – alle Untersuchungen belegen im Moment das Gegenteil. Die Sender müssen allerdings darauf reagieren, dass Radionutzung über das Internet immer mehr zur Normalität wird, denn anders als bei der Verbreitung über UKW, DAB oder DVB-S entstehen den Sendern bei der Nutzung von Internet-Radio-Streams für jeden einzelnen Nutzer Kosten, da es sich um eine point-to-point-Verbindung handelt und nicht um point-to-multipoint Verbindungen.
 
DF: Inwiefern treibt das Webradio die Analogabschaltung im Bereich Radio
voran?
 
Herrmann: Wenn man unter Analogabschaltung die mögliche Abschaltung von UKW versteht, dann könnte das Webradio diese erst dann vorantreiben, wenn wirklich jeder überall flächendeckend in ausreichender Qualität Webradio hören könnte. Dies ist heute und auf absehbare Zeit illusorisch. Derzeit lässt sich noch nicht einmal in allen Großstädten stabil und für längere Zeit Webradio über UMTS empfangen – ohne Ausfälle und Störungen. Wir sind deshalb der Meinung, dass wir an dieser Stelle nicht ausschließlich auf den Verbreitungsweg Webradio setzen dürfen, sondern die Verbreitung über das Internet durch digital-terrestrische Verbreitung ergänzen müssen, denn diese ermöglicht den Empfang von modernen Programmen und multimedialen Bestandteilen – vor allem dort wo Internet auf absehbare Zeit nicht stabil empfangbar ist.
 
DF: Vielen Dank für das Gespräch. [ar]

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