Den Haag – 72 Minuten bis zur Entscheidung. Wer kriegt die Niere: Die selbstbewusste Esther-Claire (36), der charmant lächelnde Vincent (19) oder die lebenslustige Charlotte (29).
72 Minuten voller Geschmacklosigkeit und Provokation. Als die Spannung kaum zu toppen war, platzte alles wie eine Seifenblase. „Wir werden hier keine Niere vergeben“, erklärte Moderator Patrick Lodiers unvermittelt. „Das geht selbst uns zu weit.“ Die Show des niederländischen Senders BNN war ein einziger großer Bluff. Die Macher wollten mit ihrer Botschaft die Öffentlichkeit aufrütteln: Es gibt zu wenig Organspenden.
Die heldenhafte todkranke Spenderin Lisa entpuppte sich als Schauspielerin. Die tatsächlich kranken Kandidaten lachten zum Schluss erleichtert auf. Das Studiopublikum klatschte nach der Erklärung brav und etwas verdattert.
Der angekündigte Wettbewerb um die Niere sorgte international für Schlagzeilen: Der Sender hatte in einer großen Kampagne behauptet, die 37-jährige Lisa leide an einem unheilbaren Gehirntumor und wolle zu Lebzeiten eine Niere spenden. Darum sollten drei von ihr ausgesuchte Kandidaten ins Rennen um ihre Sympathien gehen.
Kandidatin und Dialyse-Patientin Charlotte sagte nach der Show, es sei spannend gewesen. Die Firma Endemol sei im März auf sie zugekommen. „Zuerst wusste ich nicht, dass es nur Bluff sein sollte. Aber ich wollte direkt mitmachen.“ Nach drei Treffen sei ihr klar geworden, dass es nicht wirklich um eine Niere ging. „Aber ich bin dabei geblieben, weil ich hoffe, dass die Politik etwas damit anfangen wird und alles nicht bloß große Aufregung verursacht hat.“
Die Show hatte das Zeug zu Rührung und Empörung. Die Spenderdarstellerin Lisa rang um Fassung und sprach Sätze wie: „Seitdem ich den Tod vor Augen habe, weiß ich, wie wertvoll Leben ist. Ich möchte meine Niere jemanden geben, der mit seinem Leben etwas anfängt.“ Laut Drehbuch hatte die sympathische Frau mit den halblangen blonden Haaren nur noch ein halbes Jahr zu leben. Und in dieser Zeit wolle sie noch etwas Bedeutendes tun, eine Niere spenden.
Emotional und in ihrer Rolle überzeugend formulierte Lisa ihre unglaublichen Kriterien für den Empfänger: Keiner über 50, kein Raucher oder Ex-Raucher, kein Arbeitsloser. Von 25 fiktiven Kandidaten blieben zuletzt drei übrig, die in Einspielfilmen vorgestellt wurden und dann der angeblichen Spenderin im Studio gegenüber saßen.
Esther-Claire wurde mit fünf Jahren krank, hat drei misslungene Transplantationen hinter sich. Die Frau ist impulsiv und muss doch alles planen. „Ich weiß nicht mehr, was richtig gesund sein ist.“ Vincent wohnt bei seinen Eltern. 13 lange Jahre wartet er auf eine Niere, hieß es in dem Kurzporträt. „Verglichen mit meinem jetzigen Leben hätte ich nach der Transplantation so viele Chancen“, sagte der 19-Jährige.
Charlotte darf wegen ihrer kranken Nieren nur einen halben Liter Flüssigkeit am Tag trinken. „Charlotte, was wirst Du tun, wenn Du eine neue Niere bekommst“, fragte der Moderator. „Trinken“, sagt die lebenslustige Frau, die so gern lacht. „Trinken.“ In diesen Momenten machte die Show aus anonymen Namen auf Organ-Wartelisten Menschen. Dann kamen Fragen wie diese: „Würdet Ihr die Niere von einem Serienmörder empfangen?“ Auch die Zuschauer durften mitspielen. Per SMS stimmten sie für ihren Favoriten. Wie bei einer Unterhaltungsshow teilte der Moderator die Zwischenstände mit.
Mit 1,2 Millionen Zuschauern spielte die „Big Donor Show“ die zweitbeste Quote für eine BNN-Produktion ein. Der Direktor des Verbands der niederländischen Nierenpatienten, Chel Mertens, sagte: „Wir sind alle auf den Arm genommen worden. Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass das Problem nun ein Gesicht hat.“
Der Zeitungsjournalist von „De Volkskrant“, Wim de Jong, ein erklärter Gegner der Show, schrieb am Samstag, der TV-Trick sei historisches Fernsehen gewesen. „Noch eine Stunde nach dem Ende starrten wir alle mit offenen Mündern auf den Bildschirm.“[fp]
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