
HBO gelang mit der kontroversen Jugendserie „Euphoria“ ein großer Erfolg. RTL+ zeigt nun den deutschen Ableger „Euphorie“. Ein erster Eindruck.
„Das ist nicht Hollywood. Das hier ist Deutschland.“ – Die Ansage der Teenagerin Mila ist doppeldeutig und eröffnet diese Serie passend. „Euphorie“ will hinein in den Schmutz, in die Wunden, körperliche und geistige. Dem Glitzer und Glamour, den rosaroten Brillen und Happyends der Film- und Kulturindustrie will man einen Strich durch die Rechnung machen. „Euphorie“ ist aber auch deshalb nicht Hollywood, weil man in der ersten Staffel gut sehen kann, wie eine Produktion ihre Vorlage(n) sehr genau studiert hat, aber dennoch nicht ganz an deren Reize heranreichen kann.
„Euphorie“ basiert auf der israelischen Miniserie „Euphoria“ aus dem Jahr 2012, die schon einmal mit großem Erfolg für den amerikanischen Markt neu aufgelegt wurde und ihr Vorlage an internationaler Popularität deutlich übertraf. „Euphoria“ in der HBO-Variante wurde zum viralen Hit, bescherte jungen Stars wie Zendaya, Hunter Schafer und Jacob Elordi einige ihrer bislang größten Rollen. Zwei Staffeln und zwei Spin-Off-Episoden waren bereits zu sehen. Eine dritte Staffel ist in Planung. Insofern sind die Fußstapfen, in die RTL+ mit seiner Adaption nun treten will, groß.
Darum geht es in „Euphorie“
Die amerikanische Serie von Sam Levinson wurde auch aufgrund ihrer Unverblümtheit und Drastik berühmt. Ihr Jugendporträt zwischen Drogensucht, Suizidgedanken, Abstürzen und familiären Krisen war explizit in allen gezeigten Schattenseiten. Auch sexueller Natur. Sie hat sich nicht gescheut, das Leid und die Traumata der jungen Figuren bis zum Exzess auszustellen. Man kann das für seinen ausbeuterischen Charakter kritisieren. Beachtlich ist dennoch, zumindest in der ersten Staffel, wie unerschrocken dort gegen einen weltfremden, verharmlosenden bis verkitschten Blick auf das Heranwachsen im 21. Jahrhundert vorgegangen wurde.
Das deutsche Pendant „Euphorie“ verlagert den Stoff nun nach Gelsenkirchen. Klingt lahm, ist aber aufregender als gedacht. Die 16-jährige Mila (Derya Akyol) kommt gerade aus der Psychiatrie. Ein heimlich aufgenommenes Sextape von ihr wurde im Netz geteilt und über acht Folgen hinweg kann man sie nun bei ihrem Leidensweg zurück ins Leben begleiten. Stück für Stück öffnet sich der Blick auf ihr soziales Umfeld. Weitere Figuren rücken in den Mittelpunkt der Handlung und taumeln von einer Krisensituation in die nächste. Man kann regelrecht von einer Dauerkrise sprechen und diesbezüglich fängt „Euphorie“ eigentlich recht treffend die Gegenwart ein, die andauernd nur noch als Ausnahmezustands begriffen wird und verkauft werden soll.

Aufwachsen in chaotischen Zeiten
Hauke Bartel, Bereichsleiter der Fiction-Sparte von RTL Deutschland, hatte vor Veröffentlichung noch in einem Pressestatement verlauten lassen, „Euphorie“ sei nicht einfach nur das deutsche „Euphoria“. Das stimmt, wenn man ehrlich ist, nur zum Teil. In der Tat ist es so und das ist die große Stärke dieses Formats, dass es dem deutschen Ableger bisweilen erstaunlich gut gelingt, einzelne Facetten zu transformieren, neu zu befragen, thematisch zu verschieben. Während die HBO-Serie vor allem um den Kontext der Opioidkrise in den USA gestrickt war, konzentriert sich „Euphorie“ auf die Nachwehen der Corona-Pandemie.
Es geht um die psychischen Probleme, die dabei massiv zugenommen haben, um eine Generation, die man im Stich gelassen hat. Auf die jungen Menschen, die dieses Serie zeigt, prasseln Eindrücke des Rechtsrucks, der Klimakrise und die ganzen Überforderungen des digitalen Zeitalters ein. Aufstiegschancen sucht man im Reality-TV, Kommunikation, Offenbarungen im digitalen Raum. Depressionen werden zum bestimmenden Modus der Weltwahrnehmung.

Die Ignoranz der Eltern
„Euphorie“ ist vor allem dann erschütternd, aber auch auf charmante Weise schwarzhumorig, wenn die Serie die Rhetorik und das ignorante bis gewalttätige Verhalten der Erwachsenen vorführt. Schaltet das Smartphone aus, kümmert euch umeinander! Psychische Erkrankungen schiebt man auf die individuelle Einstellung. Ältere machen Karriere mit Binsenweisheiten und realitätsfernen Ermächtigungsfantasien. Systemische Krisen werden auf das Fühlen der einzelnen Person abgeladen. Alles nur eine Frage des Mindsets. Na klar, diesen Schwachsinn erzählt man sich heute überall!
In dieser Hinsicht zeigt „Euphorie“ also nicht nur, wie gegenwärtig sein Stoff ist, auch wenn dieser inzwischen schon wieder einige Jahre auf dem Buckel hat. Die Serie führt auch vor, wie man ihn einigermaßen gekonnt aktualisieren kann. Auch wenn die Dramaturgie dabei manchmal etwas flach in ihre einzelnen, mäandernden Vignetten zerfällt. So ganz lässt sich der Seifenoperncharakter nicht austreiben.

„Euphorie“ beweist Lust am ästhetischen Spiel
Schlussendlich ist aber kaum möglich, dieses Format getrennt von „Euphoria“ zu sehen. Die gestalterischen Einflüsse und Referenzen sind in jeder einzelnen Episode klar erkennbar. Man versucht, sich ästhetisch und formal deutlich an den Spielereien und der Dynamik der Vorlagen zu orientieren. Das meint den Hang zum Exzess. Da wird audiovisuell immer mehr als nötig angestellt. Zum Glück! In der heutigen Serienlandschaft passiert es nun wirklich nicht alle Tage, dass ein Format so abwechslungsreich immer neue ästhetische Versatzstücke anordnet und vor allem darum bemüht ist, visuell zu erzählen und weniger über aufgesagte Monologe und Dialoge.
Räume des Alltäglichen werden dabei zu Theaterbühnen. Schlaglichter werden auf Figuren geworfen; der Rest der Welt verdunkelt sich. Die Schnelligkeit der Gegenwart wird in ebenso schnelle Montagesequenzen übersetzt. Bewegungen können plötzlich auch in den Tanz umschlagen. Ein paar blaue Farbkleckse auf einem Blatt Papier verwandeln die Bilder in Animationen. Alles ist Style, alles ist Oberfläche, alles verschwimmt ineinander.
Das ist Segen und Fluch zugleich. Aus dem eigenen „Euphoria“-Referenzrahmen bricht man nämlich kaum aus. Der Eindruck des bereits Gesehenen will nie verschwinden. Wie experimentell kann ein Experiment denn am Ende wirklich sein, wenn dessen Regelbrüche schon wieder ihren eigenen, bekannten Regeln und Vorbildern folgen? „Euphorie“ ist ein bemühtes, eng verwandtes und weitgehend geglücktes Nacheifern, bleibt auf formaler Ebene aber dennoch die Light-Variante von „Euphoria“. Sowohl bezüglich der Kunstfertigkeit einiger choreographischer Einlagen, der Textur und Materialität der Bilder, der Grenzüberschreitungen als auch der aufreibenden Ambivalenz der Charaktere.
„Euphorie“ läuft seit dem 2. Oktober 2025 bei RTL+.
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