Für National Geographic: Werner Herzog sucht die „Ghost Elephants“

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Still aus GHOST ELEPHANTS
Foto: Venice International Film Festival

Werner Herzog („Fitzcarraldo“) legt mit seiner National-Geographic-Doku „Ghost Elephants“ ein weiteres beeindruckendes Spätwerk vor.

Werner Herzog zeigt sich „Ghost Elephants“ erneut als Reisender, Neugieriger, als Schelm und Narr, der vieles auf den Kopf stellt, was wir im Kino gern als Gewissheit empfinden. Schon seit Jahrzehnten erzählt Herzog seinem Publikum, der Presse und all den Filmtheoretikern etwas von der sogenannten ekstatischen Wahrheit. Den Versuchen also, über das Vernähen von Fakt und Fiktion zu einer tieferen Wirklichkeit vorzudringen. Und auch Herzogs Afrika-Trip namens „Ghost Elephants“ folgt einer solchen Logik oder schafft zumindest so irritierende Momente, dass es naheliegt, sich auf dieses Konzept zu besinnen.

Das beginnt schon beim Sprechen und Vortragen. Wenn Herzogs Protagonisten vor der Kamera interviewt werden, könnten das mitunter auch einstudierte und geplante Beiträge sein. Sie werden in einer Theatralität erkennbar, oder deutet man in all die Betonungen und kleinen Gesten zu viel hinein? Ist man in Herzogs Dokumentarfilmen schon zu stark dahingehend geschult, diesen Bildern nicht zu vertrauen und mindestens skeptisch zu bleiben? Für das Resultat spielt das aber eigentlich ohnehin keine große Rolle. Herzog nimmt sein Publikum in „Ghost Elephants“ mit auf eine Reise nach Angola, um sagenumwobene Elefanten zu finden. Damit ist ihm ein höchst faszinierender Dokumentarfilm gelungen.

Existieren die „Ghost Elephants“ von Angola wirklich?

Das heißt: Der Regisseur begleitet den Forscher Steve Boyes bei jener Suche. Boyes ist fasziniert von einem riesigen Elefantenpräparat in einem Museum in Washington DC. Nun will er die Verwandten und Nachkommen dieses toten Tieres aufspüren. Wie besessen scheint er von dem Vorhaben zu sein. Recht früh verweist der Film mit diesem Stoff auf „Moby Dick“. Gibt es diese Tiere aber tatsächlich, oder handelt es sich nur um eine Legende? Welche Rolle spielt deren Existenz überhaupt, wenn allein die Fantasie und das Hirngespinst eine solche Leidenschaft und Begeisterung entfachten?

Herzog bleibt damit seinem zentralen Interesse treu: Figuren, Traumtänzer im Kampf zwischen Kultur und Natur, die sich in ihren Obsessionen verlieren, die nach den utopischen Sternen greifen und dafür auch riskieren, alles zu verlieren. Solche Szenarien hat der deutsche Regisseur früher ikonisch in mehreren Spielfilmen mit Klaus Kinski („Aguirre“, „Fitzcarraldo“) erkundet, in einzelnen Dokumentarfilm oder auch in jüngeren literarischen Arbeiten. Besonders eindrucksvoll in der Novelle „Das Dämmern der Welt“ über den japanischen Soldaten Onoda, der lange nach Kriegsende noch im Urwald ausharrt, weil es Mission und Pflicht verlangen.

In „Ghost Elephants“ wird die Reise durch die Wildnis zur faszinierenden Ansammlung kleiner Beobachtungen und Vignetten. Auch das ist die Stärke im Erzählen Herzogs, der sich nicht nehmen lässt, das Gezeigte mit seiner unvergleichlichen Stimme im Voice-Over zu kommentieren. Immer wieder tun sich in den großen Weiten kleine Geschichten und Konstellationen auf. Und sei es nur im Blick auf einen Mann, der seinen Tag damit verbringt, umringt von Hühnern, sein Musikinstrument zu stimmen.

Foto: Venice International Film Festival

Der Mensch in den Naturgewalten

Zwischendurch dann: eine Begegnung mit den Elephanten. Oder doch nicht? Unheimliche Nachtsichtaufnahmen sind in den Film montiert. Später dann raschelt es in einer Aufnahme in der Ferne im Wald. Ist diese schemenhafte Erscheinung all die Strapazen wert? Werner Herzog erkundet Flora und Fauna. Er beobachtet die Rituale der Menschen, die vor Ort leben. Dann gruselt er das Publikum mit einer Giftspinne nebst Nachwuchs in Großaufnahme. „Ghost Elephants“ ist darüber hinaus ein Werk über die Verheerungen und Spuren des Kolonialismus und damit einer ewigen Gewalt gegen Mensch und Natur. Das umfasst auch die Verantwortung und Rolle der Filmgeschichte, wenn Herzog auf Ausschnitte aus dem berüchtigten Film „Africa Addio“ und dessen Jagdszenen blickt.

Daneben werden die quälenden Wanderungen eingefangen, bei denen man inklusive Gepäck und Motorrad durchs brusthohe Wasser stapfen muss. Man fühlt sich direkt zurückversetzt in die großen Kinomomente, die Herzog in seiner Karriere gemeistert hat. Die Reise von „Ghost Elephants“ mit all ihren abschweifenden Nebenschauplätzen, Ideen und Fragestellungen könnte jedenfalls noch stundenlang weitergehen. In den kommenden Monaten und nach den ersten Festival-Auftritten dürfte das Publikum auch regulär in den Genuss dieser National-Geographic-Doku kommen. Der konkrete Streaming-Termin ist allerdings noch nicht bekannt.

„Ghost Elephants“ feierte seine Weltpremiere außer Konkurrenz bei den 82. Internationalen Filmfestspielen von Venedig. Werner Herzog wurde im Rahmen des Festivals für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

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