„Mr. No Pain“: FSK-18-Action erstmals ohne Zusatzkosten im Stream

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"Mr. No Pain", 2024
© Paramount

Wenn zwei Horrorfilm-Regisseure und ein Horror-Autor sich zusammen tun, was kommt dabei heraus? Ein FSK-18-Superheldenfilm natürlich. Als schmerzfrei-humorvoller Typ prügelt sich „The Boys“-Star Jack Quaid in dieser Knochen brechenden Hauptrolle durch die Unterwelt. Oder besser gesagt, er lässt sich verprügeln. „Mr. No Pain“ ist ab heute bei Paramount+ ohne Zusatzkosten (keine extra Leih- oder Kaufgebühren) im Stream verfügbar.

Nate Caine (Jack Quaid) ist kein sonderlich aufregender Typ. Als stellvertretender Bankdirektor fristet er ein Dasein in der Unsichtbarkeit. Nur mit seinem Online-Kumpel Roscoe (Jacob Batalon) hält er während der gemeinsamen Zocker-Sessions regelmäßigen Kontakt. Da fällt ihm die neue Bankangestellte Sherry (Amber Midthunder) ins Auge, mit welcher er eine schüchterne Liaison eingeht. Bei dieser Gelegenheit offenbart er ihr sogleich sein Geheimnis: Nate hat scheinbar keinerlei Verbindung zu seinem Nervensystem. Dafür ist er in seiner Gegend auch berühmt, wo ihn alle mit dem Spitznamen „Novocaine“ ansprechen.

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Diese kleine Anspielung auf das gleichnamige Betäubungsmittel – „novo“ ist lateinisch für „neu“ und „Caine“ Nates Familienname – hat der hiesige Verleih (sicherlich auch wegen der Namensdopplung mit der Steve-Martin-Komödie von 2001) dem Publikum nicht zugetraut und den Hauptcharakter umgetauft in „Mr. No Pain“. Die beiden Liebenden verbringen also die Nacht miteinander. Am nächsten Morgen wird der gemeinsame Arbeitsplatz überfallen und Sherry verschleppt. Zeit für Nate, die geheimen Kräfte zu entfesseln … indem er sich nach Strich und Faden vermöbeln lässt!

Unscheinbarkeit und Offenbarung

Schon in ihren frühen Werken behandelten die beiden Regisseure Dan Berk und Robert Olsen das Thema der Unscheinbarkeit. Die handelnden Figuren in ihren Geschichten bleiben zu Beginn zurückhaltend und bescheiden wie die wahren Bösewichte in „Villains“ von 2019, in dem zwei Bankräuber Zuflucht finden im Haus eines Ehepaares, das sich als geisteskrankes Killer-Duo entpuppt. Dieses Überraschungselement streckt seine Pfoten bis zum aktuellen „Mr. No Pain“ aus.

"Mr. No Pain"
© Paramount – Sherry (Amber Midthunder) ist von Nate (Jack Quaid) fasziniert

Nicht nur der Hauptcharakter hat hier ein kleines Geheimnis zu verbergen, denn so weit die Story ihre Charaktere trägt, so weit erscheinen noch weitere entscheidende Wendungen. Von „Body“ bis „Das Andere“ ist in der Narrative bei Berk und Olsen nichts so, wie es auf den ersten Blick scheint – stets ist es ein angeblich bekanntes Haus, ein stinknormal aussehender Wald oder es sind Menschen, die wir glauben zu kennen.

Action-Helden einer neuen Generation

Hauptdarsteller Jack Quaid ist der leibliche Sohn von Dennis Quaid und Meg Ryan. Das Dasein als Nepo-Baby hat er mit Kollege Ray Nicholson gemein, dem Sohnemann von Jack Nicholson, der hier den filmischen Kontrahenten verkörpert. Nebenbei sind beide zufälligerweise noch 1992 geboren. Im Gegensatz zu ihrer Väter-Generation zeichnen sich die Rollen der neuen männlichen Stars seit geraumer Zeit durch einen langwierigen Paradigmenwechsel aus. Jack Quaid steht ebenso – zusammen mit Tom Holland beispielsweise – für eine andere Art von Maskulinität.

"Mr. No Pain" mit Jack Quaid
© Paramount – Bei „Mr No Pain“ geht es ziemlich brutal zur Sache

Die Figur des Nate Caine kann als sinnbildliches Stand-in für diese neue Generation von männlichen Action-Helden gesehen werden. Nate ist schüchtern, verlegen und umsichtig, gerät nur durch Zufall in den Konflikt und wird dadurch zum Handeln gezwungen. Er tötet nur versehentlich, um sich zu verteidigen – das galt in der Vergangenheit meist nur für weibliche Figuren. Die Order zum Handeln wird ihm, wie auch den anderen modernen Heldenfiguren, durch die eigenen Fähigkeiten in die Wiege gelegt. Der Drang zum Agieren, nur um der eigenen Männlichkeit wegen, verblasst. Nebenbei bemerkt war Jack Quaid einer der Kandidaten für die Rolle des „Superman“ im neuen DC-Kanon von James Gunn, bevor David Corenswet diese bekam.

Bei Novocaine-Nate – der obendrein nicht gern vor die Tür geht – finden viele Action-Szenen interessanterweise „indoor“ statt, was aber auch am moderaten 18-Millionen-Dollar-Budget liegen könnte. Wenn „Der Pate“ also ein Film ist, in dem in geschlossenen Räumen oft gesessen wird, so wird in „Mr. No Pain“ viel in geschlossenen Räumen gekämpft.

Maskulin/Feminin

Der Erfolg des allerersten „Spider-Man“ 2002 hat jene De-Maskulinisierung begünstigt und seitdem wird sie immer öfter ausgelegt. Da mag der ein oder andere auch gern widersprechen und die 1990er Jahre in den argumentativen Raum werfen, in denen weiche Softie-Typen wie Leonardo DiCaprio plötzlich die kantigen Gesichter von Schwarzenegger und Stallone ablösten.

"Mr. No Pain" auf Paramount+
© Paramount – Nate empfindet keinerlei Schmerz aufgrund einer Störung seines Nervensystems

Doch selbst in James Camerons Meisterwerk „Titanic“ von 1997 agiert DiCaprios Figur Jack stark handlungsorientiert, will zur Titanic, will in die erste Klasse, will zu seiner Geliebten. Rose dagegen wird erst im Laufe der Handlung richtig selbstbewusst und zur Aktivistin. Noch im ersten „Spider-Man“ -Teil schaut sich Tobey Maguire beeindruckt seine neuen Muskeln im Spiegel an. Ein Element des selbstverliebten Egos, welches in den nachfolgenden Filmen der freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft gewichen ist.

Und da wir schon bei der neuen Männlichkeit sind, kann auch gleich die neue Weiblichkeit behandelt werden. Den neuen Männlichkeitsnormen stehen nämlich moderne Frauenfiguren entgegen, die deutlich agiler sind, was ihre Handlungsfreiheit angeht, wie beispielsweise Jennifer Lawrences Figur in „No Hard Feelings“ von 2023. Diese Figur ist sexuell aktiv, ist manipulativ und nutzt ihre weiblichen Reize, allerdings ohne einen komplett desorientierten moralischen Kompass.

Blutige Detailverliebtheit

Olsen und Berk beweisen ein weiteres Mal ihren Hang zum Detail, welcher bereits in ihrem Erstlingswerk „Body“ von 2015 hervortrat. In jener Erzählung tötet eine Gruppe aus drei jungen Frauen einen angeblichen Einbrecher in dem Haus, in das sie selber eingebrochen sind. Durch einen gut durchdachten Plan wird die Unschuld mit zerrissener Kleidung, Fingerabdrücken und einer traurigen Geschichte alsbald heraufbeschworen.

"Mr. No Pain", Ray Nicholson
© Paramount – Simon (Ray Nicholson) will Nate das Leben zur Hölle machen

In dem rund zehn Jahre später entstandenen „Mr. No Pain“ konzentriert man sich detailliert auf das Verhalten und die Lebensumstände einer Figur, die unter Schmerzlosigkeit leidet. Nate muss seine Armbanduhr alle drei Stunden stellen, um regelmäßig das Klo aufzusuchen, sonst würde seine Blase explodieren. Und um nicht der Diabetes anheim zu fallen, haben ihn seine Eltern die ganze Kindheit über von Süßigkeiten ferngehalten.

Die gleiche Liebe zum Detail treibt ebenso allen Jugendschützern den Schweiß auf die Stirn – der Film ist nicht ohne Grund FSK 18. Da Nate nichts spürt, dient er demzufolge als Punchingball für seine Gegner: Pfeile durchs Bein, mit Öl verbrannte Haut und offene Brüche werden schonungslos in die Kamera gehalten. Nicht weniger brachial gestaltet sich die Stunt-Arbeit. Im Bestreben, besonders bodenständig zu wirken, wird hier Gewalt in den Action-Szenen noch groß geschrieben.

Wenn auch Nate Caine weniger bestimmt als John Wick in die Rangeleien geht, ist die Action dazu in eben jenem, genau durchchoreografierten Stil gehalten. Die Kamera hat immer den Fokus auf Nate und fliegt mit ihm mit, wenn er mal wieder gegen die Wand geschleudert wird. Das harte R-Rating meißelt dem Film eine nötige eigene Identität auf den Leib, die er an anderer Stelle einzubüßen droht.

Mr. Spider-Flash

Als schüchtern-komödiantischer Held mit Sozialphobie ist ein Nate Caine dieser Tage nicht allein. Die Konkurrenz von Sprüche klopfenden, aufgeweckten Protagonisten, die ihre eigene Unsicherheit mit Witz überspielen, ist zusammen mit Superhelden-Verfilmungen wie zum Beispiel „Spider-Man“ und „The Flash“ nicht gerade klein. Die Nähe zu gewissen verwandten Heldenfiguren ist nicht von der Hand zu weisen und selbst jene bekannten Franchise-Namen können das Publikum heutzutage immer weniger für sich gewinnen.

"Mr. No Pain"
© Paramount – Die Polizei wirkt ziemlich hilf- und nutzlos bei der ganzen Schose

Den Erfolg der neueren „Spider-Man“-Filme anvisierend, wurde für „Mr No Pain“ ebenfalls Jacob Batalon gecastet, der dem nerdigen Helden als noch nerdigerer Sidekick zur Seite steht, was dem Film an den Kinokassen dennoch nicht allzu viel geholfen hat. Als Action-Komödie ausgelegt, wird der Humor zum großen Teil physisch präsentiert mittels Situationskomik à la FSK 18. Angelehnt an der legendären Kunstfigur, die einst ein Buster Keaton darstellte, verzieht Jack Quaid keine Miene bei seinen unfreiwillig erscheinenden Stunts und den damit einhergehenden Schmerzen. Aus diesen Elementen generiert der Film seine besten Szenen.

Der geschriebene Humor dagegen wirkt leider nur bemüht, möchte gern dekonstruktiv wirken, ist am Ende aber nicht besonders anarchistisch. Als Beispiel soll hier die Szene dienen, in der Nate die Kriminalpolizistin Mincy Langston (Betty Gabriel) von seiner Unschuld und Nicht-Beteiligung am Bankraub überzeugt. Klischeebelastet und mit einer emotionalen Anspielung kommt Nate davon. An vielen Stellen möchte der Dialog genauso natürlich wirken wie die Action, also nahbar und bodenständig, stolpert aber über die eigenen Kino-Konventionen.

„Mr. No Pain“ gibt es neben der Streaming-Veröffentlichung bei Paramount+ auch als Standard- und UHD-Blu-ray. Das UHD-Steelbook erscheint mit einem Cover-Motiv, das einem Artwork von Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“ nachempfunden scheint.

Text: Lars Zschoke / Redaktion: Felix Ritter

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