
Seit Donnerstag läuft Paul Thomas Andersons Gegenwarts-Thriller „One Battle After Another“ im Kino mit Leonardo DiCaprio, Sean Penn, Benicio del Toro und vielen mehr. Anderson beweist einmal mehr, dass er meisterhaft inszenieren kann … und die Gegenwart, die er uns zeigt, ist absolut irre.
In „One Battle After Another“ porträtiert der in Kalifornien gebürtige Film-Regisseur und Drehbuchautor Paul Thomas Anderson („Magnolia“) eine gegenwärtige USA, in der die politische und ökonomische Spaltung jegliche gesellschaftliche Mitte komplett ausgehöhlt hat. Es gibt nur noch revolutionäre auf der einen und reaktionäre Kräfte auf der anderen Seite. Quasi der klassische Kampf der Unterdrückten gegen das Establishment. Und auf keiner der Seiten besteht irgendein ein Zweifel mehr daran, dass Waffengewalt das einzig wirksame Mittel in diesem Kampf ist. Diese Welt kennt keinen anderen Ausweg, wobei die absurde Satire, die Anderson hier auffährt, kaum noch von der Realität zu trennen ist.
Guerilla und Bürgerkrieg

Die Drehbuchgrundlage ist der 1990 erschienene Roman „Vineland“ des US-Schriftstellers Thomas Pynchon. Die Handlung entfaltet sich rund um die revolutionäre Widerstandsgruppe namens „French 75“, die im Süden der USA die Internierungslager nahe der mexikanischen Grenze mit Maschinengewehren und Sprengsätzen überfällt, um die inhaftierten Einwanderer zu befreien. Dort trifft die Waffenführerin der „French 75“, Perfidia Beverly Hills (Teyana Taylor), auf den Lagerkommandanten Col. Steven J. Lockjaw (Sean Penn), den sie auf „einprägsame“ Weise in die Knie zwingt.
An der erfolgreichen Befreiungsaktion ist auch der Sprengstoffexperte Pat „Ghetto Pat“ Calhoun alias Bob Ferguson (Leonardo DiCaprio) beteiligt, der mit Perfidia eine heißblütige Liaison eingeht, aus der eine Tochter namens Willa hervor geht. Währenddessen raubt die „French 75“ fleißig Banken und dergleichen aus, um sich zu finanzieren. Was Perfidia aber für sich behält: Der lüsterne Lockjaw hat ihr seit dem obig erwähnten Überfall des Internierungslagers nachgestellt und sexuelle Gefälligkeiten eingefordert, damit er im Gegenzug ihre kriminellen Aktivitäten nicht weiter verfolgt.

Darüber hinaus sei zur packenden Thriller-Handlung von „One Battle Afther Another“ nichts weiter gesagt, außer dass ganze 16 Jahre später Pats und Perfidias Teenager-Tochter Willa (Chase Infiniti) auf brutale Weise von der Vergangenheit ihrer Eltern eingeholt und mitten in den perfiden Revolutionskampf hinein gezogen wird.
Action-Satire / Satire-Action
Es soll hier auch gar nicht zu tief in das komplexe politische Gegenwartsbild eingetaucht werden, welches „One Battle After Another“ vor uns auffächert, denn der Film liefert in diesem Sinne auch keinerlei Einordnung oder Sotierung der Fraktionen und Ereignisse, der sozialen und ökonomischen Verhältnisse sowie der nationalen und internationalen respektive globalen und historischen Zusammenhänge usw. … All das liegt auf der Seite des Publikums. Paul Thomas Andersons Satire liefert uns ein filmisches Kommentar zur gegenwärtigen Lage in seinem Heimatland USA, aber die Schlüssel zur Deutung und Dechiffrierung des Gezeigten muss jeder selbst mitbringen. Somit wird jeder Zuschauer am Ende wohl auch ganz eigene und womöglich auch sehr unterschiedliche Schlüsse ziehen.

Diese Interpretationsaufforderung ist zweifellos sehr reizvoll, aber letztlich auch keine unumgängliche Einstiegshürde, denn „One Battle After Another“ ist sowohl auf der komödiantischen als auch auf der Thriller- und der Action-Ebene hochgradig unterhaltsam. Beispielsweise wird uns zum Ende hin eine Autoverfolgungsjagd in der Wüste präsentiert, die es absolut in sich hat und schon ganz allein aufgrund der inszenatorischen Meisterschaft packendes Kino ist. Selbiges gilt für die Infiltrations-, Invasions-, Häuserkampf- sowie Entführungs- und Fluchtszenarien … wobei sich allein anhand dieser Aufzählung das reichhaltige Angebot erahnen lässt, das uns Anderson hier in puncto Spannungs- und Action-Kino auftischt. Und unter all das wurde ein rabenschwarzer Galgenhumor gelegt, der ebenso leichtfüßig wie bitter ist.
Der große Rahmen
Möchte man aber doch ein paar allgemeine Worte zwecks einer Einordnung verlieren, bietet sich ein Blick auf Paul Thomas Andersons Gesamtwerk als Regisseur und Drehbuchautor an. Dabei stechen nicht zuletzt seine historischen Filmstoffe heraus. So zeichnete Anderson 2007 in seinem einmaligen Meisterwerk „There Will Be Blood“ ein erbarmungsloses Bild der turbokapitalistischen Ölindustrie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. 2012 widmete er sich dann in „The Master“ den innerlich verlorenen Veteranen des Zweiten Weltkriegs und einem Nachkriegsamerika, in dem manipulative Ideologen wie der Scientology-Gründer L. Ron Hubbard gedeihen konnten.

Setzt man nun lediglich diese beiden Streifen („There Will Be Blood“ und „The Master“) zu „One Battle After Another“ in Relation, ergibt sich der Eindruck, als hätte uns Anderson hier seinen ganz eigenen cineastischen USA-Zyklus vorgesetzt, der die amerikanische Geschichte qasi über eineinhalb Jahrhunderte hinweg abhandelt: Von der kapitalistischen „Ur-Prägung“ der industriellen Hochphase über die Zäsur des Zweiten Weltkriegs und dem daraus folgenden Aufstieg der USA zur Weltmacht bis hin zur heutigen Gegenwart eines zutiefst und nahezu unversöhnlich gespaltenen Landes. Hierbei bietet sich filmhistorisch auch der Vergleich zur berühmten Amerika-Trilogie von Sergio Leone an, zu der „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968), „Todesmelodie“ (1971) und „Es war einmal in Amerika“ (1984) gezählt werden.
Man könnte noch endlos viele weitere Worte zu „One Battle After Another“ verlieren, aber das würde zum Teil auch die Seh- und Entdeckungsfreude vorweg nehmen. Daher steht hier zum Schluss nur noch der Appell an alle leidenschaftlichen Filmfreunde da draußen, einfach ins Kino zu gehen und sich selbst ein Bild zu machen und sich vor allem von der cineastischen Kunstfertigkeit vorzüglich unterhalten zu lassen. Denn es braucht wohl kaum noch erwähnt zu werden, dass die Schauspielleistungen hier aller erste Sahne sind, wobei insbesondere, aber nicht zuletzt Sean Penns schlichtweg geniale Performance als Col. Lockjaw hervor gehoben werden muss. Das ist einfach grandioses Kino!