„Schneewittchen“: Ist die Neuauflage wirklich so schlecht?

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Quelle: Walt Disney

Vergessen Sie alles, was Sie jemals geglaubt haben, über das Märchen von Schneewittchen zu wissen. Das Disney-Remake von Schneewittchen bricht mit Traditionen.

Nach dem neuesten Disney-Remake geht es ja eigentlich darum, dass Schneewittchen als Rebellenanführerin gegen die böse Königin höchstpersönlich in den Kampf zieht. Sie verliebt sich in einen vagabundierenden Kartoffeldieb mit Robin-Hood-Vibes, anstatt in einen altmodischen Prinzen und … Ach … Es ist ein Trauerspiel für alle Kenner des Grimm-Märchens. Auch für Liebhaber des künstlerisch und handwerklich wegweisenden Zeichentrick-Klassikers aus dem einst so ruhmvollen Hause Disney.

Zugegebenermaßen ist es womöglich etwas dick aufgetragen, hier zwischen den Zeilen gleich den kreativen Untergang des gesamten Disney-Konzerns heraufzubeschwören. Doch diese Neuinterpretation kann eine harte Probe für all jene Fans werden, die das 1937er Original in Ehren halten. Man müsste das ja alles nicht so drastisch verurteilen. Vorausgesetzt, das Remake würde nicht so achtlos über seine Vorlage hinweg trampeln. Oder es wäre einfach von vornherein als eine ganz eigene Geschichte und nicht als Remake konzipiert worden. Aber es ist nunmal ein Remake und gibt sich auch als ein solches aus. Deshalb zwingt sich von der ersten bis zur letzten Minute der vernichtende Vergleich mit dem Ursprungsmaterial auf.

Rachel Zegler als Schneewittchen

Was ist hier bloß geschehen?

Wie kaum eine andere Film- oder Serienproduktion ließ sich an dem „Schneewittchen“-Mediendrama vor ein paar Jahren die Sinnlosigkeit der hysterisch verkrampften Kulturkämpfe unserer Zeit beobachten. Diversity-, Sexismus- und Diskriminierungsdebatten hatten sich auf allen möglichen Kanälen im TV und im Netz schon völlig heillos überschlagen. Dabei waren die Dreharbeiten noch nicht einmal abgeschlossen. Die absurden Details sollen hier gar nicht wiedergekäut werden, aber dieser von einem Millionenpublikum verfolgte und angefeuerte Wahnsinn erklärt wohl in Teilen auch, warum dieses Remake so geworden ist, wie es eben geworden ist.

Es fängt schon einmal damit an, dass diese Realfilm- respektive CGI-Neuauflage das ca. 83-minütige Original auf ganze 109 Minuten aufbläst. Nachdem Schneewittchen (Rachel Zegler) wachgeküsst wurde, muss es ja schließlich noch genügend Zeit für den aufmarschierenden Widerstand gegen die böse Königin geben. Oder sollte man besser sagen, den singenden Widerstand? Denn es handelt sich hier natürlich um ein Musical. Das einzige Lied aus dem Klassiker, das sich dabei noch ganz gut wiedererkennen lässt, ist der berühmte „Heiho“-Song der sieben Zwerge. Dieser wurde hier aber ebenfalls gehörig erweitert.

Ansonsten sind vor allem viele neue Kompositionen zu hören oder solche, die ihre musikalische Vorlage sehr stark entfremden. Apropos die sieben Zwerge: Diese Uncanny-Valley-Wiedergeburten aus der CGI-Retorte können nur für Stirnrunzeln und betretenes Schweigen sorgen. Warum wurden da für ein Realfilm-Remake nicht reale Schauspieler verpflichtet? Aber ach … die Antwort würde hier schon wieder viel zu tief in das ganze mediale Schlachtfest eintauchen. Das wurde losgetreten, nachdem damals erste Bilder von den Dreharbeiten geleakt wurden.

Spieglein, Spieglein an der Wand …

Für ein unbefangenes Publikum

Wirklich lobenswert sind die Performances der menschlichen Schauspielerinnen und Schauspieler ebenfalls nicht. Rachel Zeglers („Die Tribute von Panem – The Ballad Of Songbirds And Snakes“) Spiel besteht fast durchgehend aus dem immer gleichen Gesichtsausdruck. Ob sie nun ihre Liedchen dahin trällert, mit einem Rudel CGI-Tierchen schmust oder vom Jäger erstochen werden soll, ist es immer dieser eine Blick. Ein Blick, der etwas verwirrt, etwas ängstlich, etwas rührselig und etwas hoffnungsvoll wirkt … so als würde sie darauf warten, gleich geküsst zu werden. Ein bisschen mehr Variation wäre da schon nett gewesen.

Auch Gal Gadot („Wonder Woman“) verfehlt ihren Auftrag. Ihre böse Königin wirkt launisch, oft gelangweilt und affektiert, aber zu keinem einzigen Zeitpunkt wirklich böse oder furchterregend. Das ist kein Vergleich zu der eiskalten, gebieterischen Tyrannin aus dem Original. Diese jagt einem heute noch zuverlässig Schauder über den Rücken. Die für Gadot neu geschriebenen Songs machen es da leider nicht besser. Sie verwässern sogar noch mehr jegliche bis dahin vorhandene Düsternis des Charakters.

Es ist schwer, für diesen Film überhaupt gute Worte zu finden. Denn es wird für alle, die in ihrer Kindheit mit den Zeichentrick-Meisterwerken von Disney aufgewachsen sind, langsam zu einer persönlichen Angelegenheit. Mit anzusehen, wie der Konzern inzwischen sein eigenes Erbe kannibalisiert, ist schmerzhaft. Wer wirklich komplett ausblenden kann, auf welcher Vorlage dieses Remake basiert, findet hier vielleicht noch einen gewissen Unterhaltungswert. Neben der Standard-Blu-ray ist auch eine 4K-Version erschienen.

Text: Felix Ritter / Redaktion: Lars Zschoke

Die 4K UHD, sowie die Blu-ray von „Schneewittchen“ sind in der klassischen Softbox zu haben

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1 Kommentare im Forum
  1. Nun ich fand "Schneewittchen" trotzdem unterhaltsam, habe den Film sogar im Kino mit meiner Frau gesehen. Ich bin auch nicht mit dem Original aufgewachsen und habe nichts gegen die Veränderungen. Rachel Zeglers Musicalsongs sind wunderbar und einprägsam.
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