[Hintergrund] Ist Russland noch fit für die Raumfahrt?

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Satellit, Bild: © twobee - Fotolia.com
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Die stolze Raumfahrtnation Russland macht mitten in einer international wichtigen Phase eine historische Pannenserie durch. Die EU und die USA, die auf russische Technik setzen, sind zunehmend besorgt, ob das Riesenreich seine Verpflichtungen erfüllen kann.

Erst abgestürzte Satelliten, dann fehlgeleitete und vermisste Flugkörper und nun der Absturz eines unbemannten Frachters mit Kosmonautennahrung für die Internationale Raumstation ISS. Das auf seine Raumfahrterfolge so stolze Russland muss einen Rückschlag nach dem anderen hinnehmen. „Liegen die Fehler im System? Oder handelt es sich um eine bloße technische Pechsträhne?“, fragte der russische Parlamentschef Boris Gryslow am Donnerstag entgeistert.
 
Für die Russen ist die Fehlzündung ihrer auch vom Westen als zuverlässig gepriesenen „Sojus“-Trägerrakete sowie der erste Absturz eines „Progress“-Raumschiffs seit gut 30 Jahren eine einmalige Blamage. Nach dem Ende des US-Shuttle-Programms haben die Russen als einzige die Technik für bemannte Raumflüge. Wie bei der „Progress“, die am Mittwochabend im Osten Russlands im Altai-Gebirge in Sibirien mit rund drei Tonnen Fracht abstürzte, werden auch die bemannten „Sojus“-Raumkapseln mit Raketen gleichen Namens transportiert.

Der Zwischenfall müsse aufgeklärt werden, forderte der Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Köln, Johann-Dietrich Wörner, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Die EU und die USA seien im Moment stark abhängig von der russischen Technik, alle müssten aber für die Zukunft nach gemeinsamen Alternativen suchen. Einen Engpass bei der Versorgung mit Nahrung, Wasser und Sauerstoff müssen die sechs Raumfahrer auf der ISS nicht befürchten, wie die US-Raumfahrtbehörde Nasa mitteilte. Die Vorräte reichten für Monate.
 
Dass nun die „Sojus“-Starts bis zur Klärung der genauen Unglücksursache ausgesetzt sind, kommt für Russland dennoch zur Unzeit. Gerade die USA setzen voll auf die russische Technik. Moskaus nach Expertenmeinung unterfinanziertes Raumfahrtprogramm hatte sich voll auf die Zusatzeinnahmen eingestellt.
 
Erst zur großen Luft- und Raumfahrtmesse in diesem Monat bei Moskau tönten Vertreter der Raumfahrtbehörde Roskosmos wieder über ihre hochfliegenden Pläne für die Zukunft: Weltraumstreitkräfte, ein Weltraumhotel, Flüge zum Mond, eine Startrampe gar im Weltall, um noch weiter ins Universum vorzudringen – bis zum Mars etwa. Der „Progress“-Absturz holte nun alle auf den Boden der Tatsachen zurück. Der neue Roskosmos-Chef Wladimir Popowkin kündigte eine neue Einheit für die Qualitätskontrolle an. Auch Ministerpräsident Wladimir Putin ließ über einen Sprecher erneut seinen Unmut kundtun. Erst in der vergangenen Woche hatte er sich eingeschaltet, nachdem ein Satellit kurz nach dem Start verloren ging.
 
Besonders hart traf die Nation der Verlust von drei Satelliten für das russische Navigationssystem Glonass, das in Konkurrenz zum US-Produkt GPS steht, aber seit Jahren nicht von der Stelle kommt. „Im Kosmos gibt es keinen ‚Progress'“, ätzte die liberale Moskauer Zeitung „Kommersant“ in einem Wortspiel auf der Titelseite zum „Progress“-Absturz. Unter Berufung auf Experten rechnete das Blatt vor, dass in den vergangenen neun Monaten ein Schaden von umgerechnet fast 400 Millionen Euro entstanden sei. Schwerwiegend sei auch der Verlust eines militärischen Vermessungssatelliten im Februar gewesen. Damit wollte Russland sein militärisch-kosmisches Vermessungswesen nach 25-jähriger Pause wieder beleben.
 
Russlands Raumfahrt stecke in einer „tiefen Krise“, weil auch Experten fehlten. Das Land stelle damit seine Zuverlässigkeit als Partner in der internationalen Raumfahrt infrage, kommentierte „Kommersant“. Wie lange die „Sojus“-Trägerrakete ausfällt, hängt davon ab, wie schnell die Ursache für die Fehlzündung geklärt ist.
 
Schmerzhaft ist für das öl- und gasreiche Riesenreich die Pannenserie auch deshalb, weil Moskau unlängst den 50. Jahrestag des ersten bemannten Weltraumflugs, den der Kosmonaut Juri Gagarin am 12. April 1961 absolviert hatte, groß feierte. Kurz danach entließ Putin Roskosmos-Chef Anatoli Perminow wegen der Misserfolge.

Perminow meldete sich dann noch einmal kurz zu Wort und räumte die Niederlage Russlands beim Wettlauf im All gegen die USA ein. Die Ausgaben von 3,1 Milliarden Dollar für die russische Raumfahrt seien sechsmal niedriger als in den USA. „Rang eins gehört natürlich den USA“, hatte Perminow damals gesagt. Im Wettbewerb mit China und der Europäischen Raumfahrtagentur falle Russland zunehmend zurück. [Ulf Mauder/rh]

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