„Aufbruch in die Freiheit“ – als Abtreibung noch Tabuthema war

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Bild: Destina - Fotolia.com
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Erika Gerlach lebt auf dem Land, hat drei Kinder und einen Mann, der nichts von Empfängnisverhütung hält. Und schon gar nichts von Abtreibung. Der Konflikt bringt das Paar schließlich auseinander.

Erika Gerlach schaut betreten, als ihr Frauenarzt zur Schwangerschaft gratuliert. „Eins mehr oder weniger spielt doch in einem Metzgerhaushalt keine Rolle“, sagt er nur, als ihr fast die Tränen kommen. „Kopf hoch, Frau Gerlach, das schaffen Sie schon!“

Aber Erika Gerlach hat bereits drei Kinder und im Metzgerladen mehr als genug Arbeit. Sie will kein weiteres Kind, weiß aber, dass ihr Mann für ihre Sorgen so wenig Verständnis hat wie ihr Gynäkologe. Von der Schwiegermutter ganz zu schweigen. Deshalb entscheidet sie sich für einen heimlichen Abbruch der Schwangerschaft – und schließlich gegen das bisherige Leben mit ihrem Mann.
 
Erika Gerlach ist keine historische Figur, aber der ZDF-Film „Aufbruch in die Freiheit“ erzählt eine Geschichte, die so passiert sein könnte. Im Mittelpunkt steht eine Frau, die Anfang der 70er Jahre in einer Provinzstadt in Nordrhein-Westfalen das Leben einer Ehefrau und Mutter führt – als der sonntägliche Kirchgang noch Pflicht war, Empfängnisverhütung als des Teufels galt und viele Männer es für die natürliche Weltordnung hielten, dass Frauen zu tun hätten, was sie ihnen sagten.
 
Das ZDF zeigt „Aufbruch in die Freiheit“ nach dem Drehbuch von Andrea Stoll, Heike Fink und Ruth Olshan als Fernsehfilm der Woche am Montag (29. Oktober) um 20.15 Uhr. Anna Schudt, bekannt als Kommissarin aus dem Dortmunder „Tatort“, spielt diese anfangs so angepasste Metzgersgattin, die sich nicht mehr gefallen lassen will, dass andere über ihren Kopf hinweg über ihren Bauch entscheiden, ausgesprochen eindrucksvoll.
 
In der Anfangsszene ist sie zu sehen, wie sie auf dem Fahrrad durchs Grüne fährt. Und wie beim „Stern“ in Hamburg 1971 das Titelbild entsteht mit den Fotos Dutzender Frauen und dem berühmten Zitat „Wir haben abgetrieben“. Die Ausgabe des Magazins – und die Frauen – haben Geschichte geschrieben.
 
Im Film (Regie: Isabel Kleefeld) ist Erika Gerlach eine von ihnen – eine, für die der Weg auf den „Stern“-Titel besonders weit war. Ihr Mann Kurt, den Christian Erdmann in all seiner patriarchalischen Hilflosigkeit ebenfalls ausgesprochen glaubwürdig darstellt, beansprucht gegenüber seiner Frau das letzte Wort – auch wenn es um die Tochter Ulrike (Lene Oderich) geht. Die möchte gerne aufs Gymnasium – ihre Lehrerin und ihre Mutter möchten das auch. Kurt aber nicht. Und wenn Kurt recht behalten will, schreit er schon mal oder schlägt zu.
 
Noch gravierender aber: Erika traut sich nicht, mit Kurt über ihre Schwangerschaft zu sprechen – sie hat keine Hoffnung, dass er sie verstehen würde. Stattdessen fährt sie zu einem Arzt nach Köln, dessen Telefonnummer ihr die Sprechstundenhilfe ihres Frauenarztes zugesteckt hat. Der Abbruch endet chaotisch – und für Erika im Krankenhaus.
 
Weil sie nicht gleich nach Hause kann, bleibt sie bei ihrer Schwester Charlotte (Alwara Höfels), die in Köln ein ganz anderes Leben lebt als Erika: in einer WG wie aus dem Hippie-Bilderbuch, in der der Kampf gegen den Abtreibungs-Paragrafen 218 so selbstverständlich ist wie das gemeinsame Nudelessen in der WG-Küche.
 
Manchmal erscheinen die Figuren etwas grob gezeichnet: Da ist Erika arg klischeehaft die Spießerin, und Charlotte macht überdeutlich auf linksalternative Emanze. Aber insgesamt schafft es „Aufbruch in die Freiheit“ überzeugend, die Konflikte um den Paragrafen 218 Anfang der 70er Jahre in Erinnerung zu rufen.
 
Manche Diskussion von damals ist noch immer nicht Geschichte. Manches andere erscheint wie aus einer anderen Galaxie. Etwa dass Erika die drei Kinder ihrem Mann überlassen muss, nachdem das Gericht ihm die „elterliche Gewalt“ zugesprochen hat – nur weil sie ohne seine Zustimmung mit den Kindern nach Köln gezogen war.
 
Das ZDF zeigt „Aufbruch in die Freiheit“ am Montag (29. Oktober) um 20.15 Uhr. [Andreas Heimann]

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7 Kommentare im Forum

  1. Ich glaube, wenn beide Geschlechter Kinder erzeugen könnten, bzw. bei beiden die Gefahr bestünde, Kinder austragen zu müssen, wäre die (damalige und auch heutige) Diskussion über Abtreibung eine andere.
  2. Zumindest heutzutage gibt es aber für beide Geschlechter ausreichend Verhütungsmethoden. Und wenn man als Mann nicht eh schon am Existenzminimum lebt oder richtig reicht ist, spürt man die Folgen einer Schwangerschaft durchaus ebenfalls.
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