„Erschütterung und Ohnmacht“ – ARD zeigt Zweiteiler „Gladbeck“

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Bild: Destina - Fotolia.com
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Dem Geiseldrama von Gladbeck haben sich Filmemacher, Musiker und Autoren seit 1988 schon mehrfach gewidmet. Der zweiteilige Film, den das Erste jetzt zeigt, gilt als eines der TV-Highlights des Jahres.

Zum 30. Mal jährt sich das Geiseldrama von Gladbeck in diesem Sommer. Einer der spektakulärsten Kriminalfälle im Nachkriegsdeutschland, der die Bundesrepublik an drei Tagen in Atem hielt, der zwei Geiseln und einen Polizisten das Leben kostete, der als Versagen der Staatsmacht und als journalistischer Sündenfall in die Geschichte einging. Einer der beiden Täter, Dieter Degowski, ist gerade aus der Haft entlassen worden. Der andere, Hans-Jürgen Rösner, sitzt weiter. Er war es auch, der „Gladbeck“ juristisch verhindern wollte: jenen TV-Zweiteiler, den das Erste am Mittwoch und Donnerstag (7./8. März, 20.15 Uhr) zeigt. Ein Film, der auch zum Nachdenken über „Gaffermentalität“ in Zeiten von sozialen Netzwerken und Smartphones anregen soll.

Live dabei sind damals Millionen TV-Zuschauer streckenweise, als die Täter nach dem missglückten Banküberfall in Gladbeck mit Geiseln durchs Land fliehen – verfolgt von einer hilflos wirkenden Polizei und einer Presseschar wie im Rausch. Vor laufenden Kameras geben die Verbrecher Interviews, während sie in Bremen Geiseln in einem Bus in ihrer Gewalt haben.
 
In Köln kommt es zur bizarren „Pressekonferenz“ aus dem dicht umlagerten Fluchtwagen heraus – die 18-jährige Geisel Silke Bischoff muss Fragen beantworten, während Degowski ihr die Waffe an den Kopf hält. Medienvertreter geben den Tätern Hinweise auf verdeckte Ermittler. Die Polizei kann das von Reportern und Schaulustigen umringte Fahrzeug nicht stürmen. Ein Journalist steigt ein und lotst die Gangster aus der Stadt.
 
Regisseur Kilian Riedhof will die „Erschütterung und Ohnmacht“, die er selber angesichts von Gladbeck empfunden habe, auf das Publikum übertragen. „Filme dürfen nicht im Kopf stecken bleiben, sie müssen uns bewegen. Das Trauma von Gladbeck braucht unsere kollektive Empathie, um verarbeitet zu werden“, sagt der 46-Jährige.
 
Sein Film bewegt – und holt den Nervenkrieg aus dem August 1988 zurück auf den Bildschirm. Sascha Alexander Geršak als Rösner, Alexander Scheer als Degowski und Zsa Zsa Inci Buerkle als Silke Bischoff gleichen den realen Vorbildern für ihre Rollen nicht nur frappierend. Die größtmögliche Faktentreue, die dem  „Gladbeck“-Team wichtig war, reicht bis hin zu Bewegungsabläufen und Körpersprache. 
 
Im Zentrum steht für Riedhof die Begegnung mit dem Animalischen und die Frage, wie sich dessen anarchische Gewalt auf Polizisten, Journalisten und vor allem die Geiseln auswirkte. „Es brauchte damals nicht viel und in 54 Stunden verwandelte sich die unschuldige Bundesrepublik in ein anarchisches, animalisches Feld.“
 
54 Stunden komprimiert in zwei Mal 90 Minuten. Kein Dokudrama, sondern „ein dramatisch verdichtender Spielfilm“ (Riedhof). Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt dienten unter anderem die Untersuchungsberichte aus Nordrhein-Westfalen und Bremen als Quellen. Daneben seien etwa Tondokumente umfassender als zuvor ausgewertet worden, schreibt Produzentin Regina Ziegler über das mehrjährige Projekt.
 
Wer die Originalbilder vor Augen hat, wird so manches im Film, der genaue Recherche mit fiktionalen Elementen verknüpft, bis ins Detail wiedererkennen. Was der Öffentlichkeit zunächst verborgen blieb – Chaos, aber auch Kalkül in den Behörden, wo Schauspieler wie Ulrich Noethen, August Zirner und Martin Wuttke zu sehen sind – rekonstruierte die Crew anhand von Protokollen, Aufzeichnungen und Gesprächen. Wie kam es zum Versagen von Polizei und Presse? Ihm sei es nicht darum gegangen, einfach zu bewerten und zu verurteilen, sagt Riedhof („Der Fall Barschel“). „Der Zuschauer soll immer in dem Moment auch bei den Figuren sein und sich selber fragen: Was würde ich machen?“
 
„Gladbeck“ beleuchtet das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln: aus der Sicht von Polizei, Journalisten und Geiseln. Letzteren vor allem wollten sie endlich mehr Raum geben, wie Grimme-Preisträger Riedhof („Homevideo“) erklärt. Silke Bischoff zum Beispiel, die beim finalen Zugriff der Polizei durch einen Schuss aus Rösners Waffe ums Leben kam. Und dem 15-jährigen Emanuele De Giorgi, der von Degowski im gekaperten Bus erschossen wurde. Den Tätern aber habe er keine Nahaufnahme im klassischen Sinne schenken wollen, sagt Riedhof. „Wir erzählen nicht aus ihrer Sicht – sie sind für uns keine Identifikationsfiguren.“
 
Nach Gladbeck überarbeitete die Polizei grundlegend die Einsatztaktik, der Presserat legte fest, dass es Interviews mit Tätern während des Geschehens nicht geben darf. Doch längst geht es nicht mehr nur um journalistische Grenzüberschreitungen: „Wie wäre Gladbeck heute?“ – in Zeiten des Live-Dabeiseins via Smartphone und sozialer Netzwerke, habe er sich gefragt, sagt Sascha Schwingel, Redaktionsleiter bei ARD Degeto. Er erinnert an das „Gafferurteil“ für einen Mann, der einen sterbenden Motorradfahrer filmte und dabei die Rettungsarbeiten behinderte. „So lange so was passiert, so lange ist Gladbeck mehr als aktuell.“

[Dorit Koch]

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25 Kommentare im Forum

  1. Hab das damals, noch im Westfernsehen, sehr interessiert verfolgt. Auch diverse Dokumentationen dazu. Ein durch Polizei und Justiz nicht zu überbietender Diletantismus und ein Armutszeugnis sondergleichen. Nun ja. Zieht sich ja in Teilen durch, wie ein roter Faden. Bis heute.
  2. Es verreißt mir heute noch das Herz, wenn ich mich an dieses wunderschöne, blonde Mädel erinnere, das dieses Drecksc****n damals umgebracht hat.
  3. Das war so surreal und traurig. Vorallen die Gier der Medien das alles so zu zeigen. Wie man sich da als Geisel gefühlt haben muss so auf dem Präsentierteller. Interviews zu geben. Immer mit der Totesangst dazu. Macht mich heute noch sprachlos!
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