Forscher: „‚Tatort‘ ist ein Ritual für Sonntagabend“

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Bild: Destina - Fotolia.com
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Nach der „Tatort“-Folge vom heutigen Sonntag wird sich die beliebte Krimi-Reihe vorerst in die Sommerpause verabschieden. In Göttingen befassen sich seit Donnerstag Wissenschaftler während einer mehrtägigen Tagung mit der seit über 40 Jahren laufenden ARD-Reihe. Mitorganisator Christian Hißnauer glaubt an das Zukunftspotenzial des Krimis.

Herr Hißnauer, warum eine Tagung zum „Tatort“?
 
Christian Hißnauer: Wir befassen uns mit dem fernseh- und gesellschaftshistorischen Kontext, in dem die „Tatort“-Reihe steht. Interessant ist, wie der „Tatort“ sich als Reihe und Serie entwickelt hat.
 
Was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
 
Hißnauer: Zum Beispiel werden die Mordopfer sehr viel drastischer gezeigt. Früher waren die Leichen eher nebenbei zu sehen. Heute werden Leichen in Großaufnahme gezeigt. Auch die Rechtsmedizin spielte zunächst kaum eine Rolle. Heutzutage sind Leichen in der Pathologie eher Standard. Außerdem spielt das Privatleben der Ermittler inzwischen eine viel größere Rolle. Begonnen hat das mit Schimanski, der ja oft auch persönlich in seine Fälle involviert war. Zunehmend werden auch aktuelle Themen aufgenommen. Manchmal hat man inzwischen das Gefühl, der „Tatort“ ist ein sozialpädagogisches Unterfangen.

Muss man angesichts der immer größer werdenden Zahl von Ermittlern einen „Tatort“-Überdruss des Publikums befürchten?
 
Hißnauer: Ich glaube, es gibt allenfalls Überdruss an langweiligen Folgen oder dem einen oder anderen Ermittler.
 
Zum Beispiel?
 
Hißnauer: Das ist jetzt eher mein persönlicher Geschmack. Aber ich kann Lena Odenthal (Ludwigshafen) nicht mehr sehen. Das war in den neunziger Jahren eine interessante Figur. Sie ist inzwischen aber zum Klischee geronnen. Auch bei Thiel und Börne (Münster) waren die ersten Folgen eine gute Kombination aus spannendem Krimi, interessanten Figuren und Komödiantischem. Batic und Leitmayr aus dem Münchener „Tatort“, die ja zu den dienstältesten Kommissaren gehören, überraschen dagegen in jüngster Zeit immer wieder mit fantastischen Folgen.
 
Welche Bedeutung hat der „Tatort“?
 
Hißnauer: Der „Tatort“ ist ein Ritual für Sonntagabend, als Ausklang des Wochenendes. Viele Leute schauen ihn sich gemeinsam an. Man trifft sich extra dazu in der Kneipe. Das hat Event-Charakter. Der „Tatort“ ist Kult und er kann Themen setzen. Außerdem gehören manche Folgen zu den erfolgreichsten Fernsehfilmen des Jahres.
 
Hat der „Tatort“ eine Zukunft?
 
Hißnauer: Auf jeden Fall. Er ist zuletzt so erfolgreich wie schon lange nicht mehr. Dass regelmäßig acht bis zwölf Millionen Leute einschalten, wäre vor Jahren noch undenkbar gewesen. Und das Konzept ist absolut innovationsfähig. Man hat parallel verschiedene Serien. Und wenn eine Serie ausläuft, weil sie langweilig geworden ist und nicht mehr angenommen wird, kann man etwas Neues machen. Dabei laufen aber die meisten vertrauten Serien weiter, so dass der Zuschauer keinen kompletten Bruch erlebt. Auf diese Weise gibt es eine permanente Erneuerung. Und das macht den „Tatort“ zukunftsfähig.
 
Vielen Dank für das Gespräch.[Matthias Brunnert/ps]

Das Interview gibt die Meinung des Interviewpartners wieder. Diese muss nicht der Meinung des Verlages entsprechen. Für die Aussagen des Interviewpartners wird keine Haftung übernommen.

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17 Kommentare im Forum

  1. AW: Forscher: "'Tatort' ist ein Ritual für Sonntagabend" Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein Tatort in irgendeinem dritten Programm wiederholt wird. Das ist schon zuviel des Guten.
  2. AW: Forscher: "'Tatort' ist ein Ritual für Sonntagabend" Was ist schlimm daran? Tatorthauptdarsteller ist eine der wenigen deutschen Rollen, wo noch Geld verdient wird!
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