NDR-Intendant Lünenborg zu Julia Ruhs: „Niemand muss auf Julia Ruhs verzichten“

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Hendrik Lünenborg

Von einer Cancel Culture ist die Rede beim NDR. Wenn das konservative Magazin „Klar“ im kommenden Jahr weitergeht, dann werden die NDR-Folgen von Tanit Koch moderiert. Intendant Lünenborg bekommt gleich in seinen ersten Tagen Gegenwind – übrigens sogar von linken Politikern. Jetzt hat er in einem Interview ausführlich Stellung bezogen.

Es ist Hendrik Lünenborgs dritte Woche im Amt als neuer NDR-Intendant und sofort sieht er sich einer hitzigen Debatte gegenüber. Im Mittelpunkt: Sein eigener Sender. Die Absetzung von Julia Ruhs durch den NDR sorgt bundesweit für Schlagzeilen. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erklärt Lüneborg, wie er die Causa bewertet, welche Rolle Tanit Koch künftig spielt und wie er den Sender in unruhigen Zeiten führen will.

Frage: Warum hat der NDR entschieden, dass Julia Ruhs künftig keine Ausgaben des Formats „Klar“ für den NDR moderieren soll?

Antwort: „Klar“ war eine Pilotsendung und es war von vornherein verabredet, dass wir drei Folgen machen und dann entscheidet die Redaktion darüber, wie es weitergeht. Julia Ruhs wird das Format weiter moderieren für den BR und wir haben mit Tanit Koch eine ausgezeichnete Journalistin zusätzlich gewonnen. Und niemand muss auf Julia Ruhs verzichten, denn die weiteren „Klar“-Folgen laufen auch auf den Plattformen und sind damit für Norddeutsche auch zu sehen.

Warum war es aber für den Norddeutschen Rundfunk so wichtig, dass Julia Ruhs nicht mehr unter dem Label NDR moderiert?

Das sind Dinge, die am Ende in der Redaktion entschieden wurden. Es ist nicht meine Aufgabe, in die Programmgestaltung einzugreifen. Ein Intendant stellt nur die Rahmenbedingungen her, damit etwa neues Programm ausprobiert werden kann.

Rund 250 Mitarbeiter haben die Sendung kritisiert. Es gab einen Brief, der intern kursierte. Inwieweit war dieser Protest ausschlaggebend für die Beendigung der Zusammenarbeit mit Frau Ruhs?

Die Entscheidung, jetzt mit einer weiteren Moderatorin in die nächsten Folgen zu gehen, haben die Programmverantwortlichen getroffen. Es gab in der Tat eine ziemlich breite interne Debatte und es gab auch heftige Kritik. Das ist auch ein normaler Vorgang, weil in Redaktionen diskutiert werden muss. Mir ist nur wichtig, dass diese Diskussionen im Inneren geführt werden und auch auf eine faire und kollegiale Art und Weise.

Es gibt laute, kritische Stimmen, insbesondere aus Union und AfD, die dem NDR politische Schlagseite und fehlende Ausgewogenheit vorwerfen. Was sagen Sie dazu?

Dass sich Politik für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk interessiert und sich dazu auch sehr meinungsstark äußert, kennen wir schon seit Jahrzehnten und das finde ich auch ganz in Ordnung. Aber die redaktionellen Entscheidungen, die werden in der Redaktion getroffen. Ich spüre natürlich, dass es einen Gesprächsbedarf gibt und der ist in den letzten Monaten größer geworden, was den öffentlich-rechtlichen Rundfunk angeht. Deshalb werde ich genau diese Gespräche auch suchen, denn ich habe auch ein paar Fragen und ich freue mich auf die Gespräche mit der Politik.

Es ist ja bei Teilen der Politik der Eindruck entstanden, dass unser Programm nicht mehr ausgewogen genug ist. Das teile ich nicht.

NDR-Intendant Hendrik Lünenborg

Was für Fragen haben Sie denn an die Politik?

Es ist ja bei Teilen der Politik der Eindruck entstanden, dass unser Programm nicht mehr ausgewogen genug ist. Das teile ich nicht. Aus dem Grund will ich konkret wissen, was damit gemeint ist und welche Vorstellung von unabhängigem Rundfunk die Politiker haben.

Nun stehen im nächsten Jahr gleich vier Landtagswahlen an – in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern – und gerade die AfD wird nicht müde, den öffentlichen Rundfunk zu kritisieren. Auf die aktuelle Debatte geblickt: Haben Sie da nicht auch ein bisschen Angst um die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?

Unsere Finanzierung ist gut und unabhängig geregelt. Da gibt es ganz klare Verfahren und an denen sollten wir festhalten. Die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist einmal gewährleistet durch die unabhängige Finanzierung, aber vor allem durch die Unabhängigkeit der Redaktion. Ich werde mich dafür einsetzen, dass das so bleibt. Am Ende geht es darum, dass wir bezahlt werden für kritischen Journalismus, der bestimmten Regeln und Qualitätsstandards folgt. Genau das ist es, worauf wir uns in den nächsten Monaten fokussieren wollen.

Es wird mehr „Klar“-Folgen geben als ursprünglich mal vereinbart war.

NDR-Intendant Hendrik Lünenborg

Kritiker und auch Julia Ruhs selbst werfen dem NDR ja eine „Cancel Culture“, also das Ausgrenzen unbequemer Stimmen vor. Haben Sie Sorge, dass gerade jetzt dieser Fall und die ganze Debatte darum am Ende Wasser auf die Mühlen derer ist, die den öffentlichen Rundfunk schon so lange kritisieren?

Es ist niemand gecancelt worden. Julia Ruhs wird weiterhin „Klar“-Folgen moderieren bei ihrem Heimatsender Bayerischer Rundfunk und wir setzen bei uns im NDR auf Tanit Koch. Es wird mehr „Klar“-Folgen geben als ursprünglich mal vereinbart war. Und wir haben eine neue Moderatorin, die dieses Format ganz bestimmt gut ausfüllen kann. Aber unsere Kommunikation war an der Stelle wirklich nicht optimal. Das kann man gar nicht anders sagen, denn wir haben ja das Format fortgesetzt.

Wie kam es denn zu dieser überraschenden Personalie?

Das ist etwas, was die Redaktion entschieden und vorbereitet hat. Insofern kann ich dazu weiter gar nichts sagen. Ich freue mich nur, dass wir so eine profilierte, erfahrene Journalistin gewonnen haben, die einen ganz eigenen Blick auf unser Land hat und das wird uns sicher gutstehen.

Aber hätte man nicht die ganze Aufregung vermeiden können, wenn man direkt kommuniziert hätte, dass Frau Koch übernimmt, als Frau Ruhs Abgang publik gemacht wurde?

Das ist uns ja auch vorgeworfen worden, aber jetzt ist eine Weiterentwicklung des Formats möglich mit einer profilierten Journalistin. Insofern ist für mich nun an der Stelle auch der Zeitpunkt gekommen, dass ich sage: „Jetzt blicken wir nach vorn“.

Frau Koch hat 2021 den Bundestagswahlkampf des damaligen Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet geleitet. Muss man da nicht Angst haben, dass man wieder eine Personalie hat, an der sich im Haus die Geister scheiden?

An Personalien, an Moderatorinnen und Moderatoren, scheiden sich immer wieder mal die Geister. Das ist etwas, was wir im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kennen. Das müssen wir aushalten, weil wir sonst uns selbst auch zu sehr einschränken. Sie ist eine gelernte Journalistin und sie hat bewiesen, dass sie unabhängig arbeiten kann. Insofern mache ich mir da keine Sorgen.

Die ganze Causa Ruhs ist genau in die Staffelübergabe mit Ihrem Vorgänger Joachim Knuth gefallen. Wie glücklich waren Sie mit Ihrem Start?

Ich habe gelernt, dass es keine Schonfrist gibt für neue Intendanten. Das war mir im Grunde theoretisch auch klar. Jetzt habe ich es auch praktisch gespürt. Man ist sofort verantwortlich für alles. Das ist Teil der Jobbeschreibung. Ja, ich hätte mir einen anderen Start gewünscht, aber ich hatte auch nicht durchgehend nur einen schlechten Start. Ich hatte viele Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen im ganzen Norden und unser Sendegebiet ist sehr groß. Allein dadurch habe ich noch mal viel erfahren, was ich in den nächsten Monaten zu tun habe und wie die Leute auch selbst auf ihren NDR blicken. Insofern hatte ich ganz tolle Begegnungen, aber die letzten Tage waren in der Tat anstrengend.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) ist nicht, wie geplant, zu Ihrer offiziellen Amtsübergabe in Hamburg gekommen, sondern hat stattdessen bei der Buchvorstellung von Frau Ruhs in Kiel gesprochen.

Solche Dinge passieren. Er hatte am Ende den Termin abgesagt und das ist auch in Ordnung. Das will ich eigentlich nicht weiter kommentieren.

Hatte er Sie denn vorher darüber informiert, dass er nicht kommt und stattdessen zu Frau Ruhs fährt?

Er hat das gemacht, was üblich ist. Er hat abgesagt und ich warte jetzt ab, bis wir uns in den nächsten Wochen zum Gespräch zu treffen und das ist auch so vereinbart.

Sie haben vorhin gesagt, dass Sie schon mit einigen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gesprochen haben im Norden und Dinge mitgenommen haben, die Sie anpacken wollen. Wie wollen Sie in Ihrer neuen Rolle das Vertrauen in die Unabhängigkeit und auch die Vielfalt des NDR stärken?

Die Vielfalt gibt es ja und die Vielfalt ergibt sich beim NDR allein schon dadurch, dass wir eine Vier-Länder-Anstalt sind. Wir haben vier Landesfunkhäuser, sehr viele Studios und Korrespondenten-Büros und allein dadurch haben wir schon eine Perspektivenvielfalt, die ganz besonders ist. Das macht auch was mit unserer Programmgestaltung. Das ist ein großer Wert. Wir werden die Regionalisierung, die wir ja schon haben, in den nächsten Monaten noch verstärken. Aus meiner Sicht ist es richtig, dass der NDR möglichst viel vor Ort ist und Reporterinnen und Reporter rausgehen ins Land und mit den Menschen in den Dialog treten. Damit wir erfahren, wo die Herausforderungen in den unterschiedlichen Regionen in Norddeutschland sind.

Die Fragen stellten Benjamin Haller und Stella Venohr, dpa / Redaktion DF: mw

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Bildquelle:

  • ndr: NDR
1 Kommentare im Forum
  1. Was für ein leeres Geschwätz! Dann soll sie bitte wieder in genau demselben Umfang mit denselben Themen moderieren wie vor dem "angeblichen" Skandal! Und die feigen Mitarbeiter die den Brief unterzeichnet haben sollten publik gemacht werden!
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