Rudi Cerne: „Ich bin kein Sheriff der Nation“ [Interview]

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Bild: Destina - Fotolia.com
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Nach zehn Jahren als Moderator bei „Aktenzeichen XY… ungelöst“ ist die Präsentation der Fälle für Rudi Cerne noch immer ein Balanceakt, beim Zuschauer Interesse zu wecken, ohne zu voyeuristisch zu werden. Am heutigen Mittwoch ist der 53-Jährige ab 20.15 Uhr wieder mit neuen Fällen im ZDF zu sehen.

Seit 45 Jahren hilft das ZDF mit der Sendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“ der Polizei bei der Jagd nach Verbrechern. Rudi Cerne ist seit zehn Jahren als Moderator dabei und hat in dieser Zeit unzählige Kriminalfälle präsentiert, immer in der Hoffnung, von den Zuschauern entscheidende Hinweise zur Aufklärung einer Straftat zu bekommen. Doch der ehemalige Eiskunstläufer und Sportreporter sieht sich selbst dabei nicht als Ermittler, sondern lediglich als eine Art verlängerter Arm der Polizei.

„Aktenzeichen XY …ungelöst“ gibt es seit 1967, damals noch präsentiert von Eduard Zimmermann. Sie waren neun Jahre alt. Stimmt es, dass Ihnen die Sendung als Kind nicht ganz geheuer war?

Cerne: In der Schule war das schwer angesagt, dieser Gruselfaktor. Mir war das immer unheimlich, dass der Mörder da am Ende noch frei herumgelaufen ist. Ich bin mit „Bonanza“, „Rauchende Colts“ und „Die Straßen von San Francisco“ groß geworden. Da ist am Ende immer der Bösewicht gefasst worden. Bei „Aktenzeichen XY“ war das nicht so, das fand ich sehr beunruhigend.

In der Sendung geht es oft um brutale Fälle – Raub, Vergewaltigung, Mord. Belasten Sie diese Schicksale auch privat?

Cerne: Es gibt Fälle, die haften stärker in meinem Gedächtnis, wie zum Beispiel der Fall Levke. Das war das acht Jahre alte Mädchen, das 2004 entführt und ermordet wurde. Wir hatten den Fall zwei Mal in der Sendung, erst als Vermisstenfall, später dann als Mord. Die kleine Darstellerin in unserem Film sah Levke sehr ähnlich, das war schon sehr eindringlich. Aber ich bin längst nicht so nah dran wie ein Kommissar, der an den Fundort der Leiche geht. Ich weiß mehr als die Zuschauer, aber längst nicht so viel wie die Ermittler.

Wie schaffen Sie es, da zu Hause abzuschalten?

Cerne: Ich habe manchmal das Gefühl, eigentlich dürftest du nach der Sendung kein Auge zutun, aber es gelingt immer wieder ganz gut. Ich habe kein Rezept dafür. Ich gehe einfach nach Hause und bin groggy, weil der Tag auch lang ist. Und ich mache es so, wie die Kommissare es empfehlen: Ich schaffe mir Scheuklappen an, ich ziehe mental einen Schlussstrich. Wenn man diese Geschichten mit nach Hause ins Bett nimmt, wird es problematisch. Dann kommt man nicht mehr zur Ruhe.

Die Einspielfilme, in denen die Taten nachgestellt werden, bedienen einen gewissen Voyeurismus der Zuschauer. Ist das für Sie in Ordnung?

Cerne: Wenn es der Sache dient, finde ich es gerechtfertigt. Was wäre die Alternative? Wir könnten sagen, das ist zu viel Voyeurismus, wir lassen es sein. Aber unter Umständen ist der Täter dann noch immer unterwegs, kann nicht geschnappt werden und lauert dem nächsten Opfer auf. Es geht ja auch immer darum, mit diesen Filmen die Sinne zu schärfen und die Zuschauer zu erreichen.

Manche dieser Filme sind schon sehr unheimlich.

Cerne: Natürlich ist alles eindringlicher geworden im Fernsehen. Wenn ich überlege, dass ich vor 30 Jahren nicht gut schlafen konnte, weil ich mir einen Edgar-Wallace-Krimi angesehen habe, darüber lache ich mich heute kaputt! Das geht den anderen genauso. Was heutzutage in den Nachrichten gezeigt wird, hätten sie vor 20, 30 Jahren nicht gesehen.

Wo ist bei Ihnen die Grenze?

Cerne: Wir würden sicherlich nicht zeigen, wenn zum Beispiel auf einer Überwachungskamera zu sehen ist, wie jemand erstochen oder erschossen wird. Das würden wir nachstellen.

Wie schaffen Sie da den Ausgleich zwischen Spannung auf der einen und Rücksicht auf der anderen Seite?

Cerne: Das ist eine schwierige Gratwanderung. Wir müssen auf der einen Seite an den Zuschauer rankommen, wir müssen seine Emotionen wecken, weil es wichtig ist, dass er dranbleibt. Aber wir dürfen die Menschen nicht schocken, nicht zum Selbstzweck etwas zeigen. Es muss der Fahndung dienen. Da gucken wir auf jeden Halbsatz, da gehen wir die Filme in aller Ausführlichkeit durch und wir gucken auch mit den Kommissaren noch mal drüber, damit wirklich alles stimmt, vor allem die Fakten.

Gibt es auch Opfer oder Angehörige, die bei Ihnen Hilfe erbitten?
 
Cerne: Ja, das gibt es. Viele Verzweifelte wenden sich an die Redaktion. Aber wir verweisen sie an die Polizei. Wir sind keine Polizisten, und ich bin kein Sheriff der Nation, sondern wir arbeiten wie ein verlängerter Arm der Polizei.INTERVIEWs im Überblick
[Interview: Cordula Dieckmann]

Das Interview gibt die Meinung des Interviewpartners wieder. Diese muss nicht der Meinung des Verlages entsprechen. Für die Aussagen des Interviewpartners wird keine Haftung übernommen.

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  • Inhalte_Fernsehen_Artikelbild: Destina - Fotolia.com

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