„Tatort“-Kneipen: Freibier für die Mördersuche

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Bild: Destina - Fotolia.com
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Was früher nur beim Fußball üblich war, gibt es nun auch beim „Tatort“: Gemeinschaftliche Fernseh-Abende in der Kneipe. Rund 300 Lokale bieten in Deutschland bereits das Public Viewing zum ARD-Krimi. Wer den Mörder bis zur Halbzeit findet, wird sogar mit Freibier belohnt.

Wer vor der Leinwand entlangläuft, der wird wütend angeknurrt. In der Kneipe in Potsdam herrscht ansonsten Totenstille, als Devid Striesow als „Tatort“-Kommissar Jens Stellbrink einen Mord im Rockermilieu aufklärt. Wie bei einer Fußball-Übertragung löst sich die Spannung erst nach 90 Minuten. Dann beginnt die Fachsimpelei.
 
Der Saarland-Krimi sei ein wenig wie der Münster-„Tatort“ gewesen, „nur mit mehr Tiefgang“, findet Stammgast Ludwig. Sein Freund Markus schüttelt lächelnd den Kopf. „Das war so tricky. Mit der Wendung im zweiten Teil, damit rechnet man doch nicht!“ Wer zur Hälfte des Krimis den Mörder erraten hätte, hätte ein Freibier bekommen – heute gehen die 20 TV-Zuschauer leer aus.

Laut Angaben des Ersten laden derzeit regelmäßig 282 solcher „Tatort“-Kneipen in Deutschland zum Krimi-Gucken ein, hinzu kommen fünf Lokale in Wien und eines in Zürich. Ende 2011 lag die Zahl noch bei knapp 170. Allein 52 der Kneipen stehen heute in Berlin, 13 in Köln, zwölf in Hamburg und jeweils elf in Leipzig und München. Vielerorts werden spezielle Dinner und Quizabende angeboten.
 
Markus und Ludwig, beide Anfang vierzig, gehören zu der Krimi-Gemeinde, die sich jeden Sonntag um 20.15 Uhr in der „Tatort“-Kneipe „11-line“ in der Potsdamer Innenstadt trifft. Dann verwandelt sich das Lokal in ein großes Wohnzimmer: Thekenkraft Alexander Ochs, den der Kneipen-Inhaber extra für den sonntäglichen „Tatort-Dienst“ eingestellt hat, baut Beamer, Leinwand und eine alte Fernsehantenne auf, die Gäste setzen sich kreuz und quer auf durchgesessene Sofas, Hocker und Stühle. Ein Gast holt seine Brotdose heraus, in der er ein paar Salzstangen mitgebracht hat.
 
Obwohl in der brandenburgischen Landeshauptstadt keine „Tatort“-Ermittler auf Verbrecherjagd gehen, hat der frühere Krimi des Westens auch im Osten Einzug gehalten, erzählt Stammgast Ludwig. „Früher war so ein Tatort immer etwas Altmodisches aus dem Westen. Heute ist’s modern, in Potsdam, in Neukölln, überall.“
 
Dabei war der „Tatort“ früher kein Thema im Osten, hatte Darsteller Devid Striesow erst am Samstag in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ festgestellt. Markus, zu DDR-Zeiten in Kleinmachnow aufgewachsen, fühlt sich in der Kneipe dennoch immer ein wenig an die Jugend erinnert. „Früher im Osten hat man sich oft in Kneipen getroffen, um Fernsehen zu schauen. Zu Hause hatte man nicht so viele Möglichkeiten.“ Der Sonntagabend im „11-line“ sei mittlerweile „gesellige Tradition“.
 
Tanja Testrich und Stephanie Roseburg sind das erste Mal in einer „Tatort“-Kneipe. Die beiden Frauen Anfang 20 haben es sich auf einem alten Sofa gemütlich gemacht, die Tüte Chips ist pünktlich um 20.15 Uhr aufgerissen. „Vielen haben uns davon erzählt, da wollten wir es einfach mal ausprobieren“, sagt Testrich. Beeindruckt sind sie vor allem von der Ruhe in der Kneipe. Der einzige, der kurz stören darf, ist Thekenkraft Ochs. Er verteilt kleine Zettelchen, die bis 21 Uhr abgegeben werden müssen – mit einem Tipp, wer der Mörder ist. Wer richtig tippt, kriegt ein Freibier.
 
Viel Alkohol trinken die „Tatort“-Gäste nicht, erzählt Barmann Ben Cersovsky. „Die wollen nicht saufen, sondern das Wohnzimmergefühl haben.“ Ausgeschenkt wird laut dem 23-Jährigen aber mehr als an einem anderen Kneipentag – vor allem Alkoholfreies.
 
Die Mehreinnahmen durch die „Tatort“-Abende lassen sich laut Benedikt Wolbeck vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) nicht einschätzen. Er ist sich aber sicher, dass die Kneipen den „Tatort“-Trend nicht umsonst aufgenommen haben. „Die Wirte würden es nicht machen, wenn es sich nicht lohnen würde.“ Der Genuss des kollektiven Zuschauens sei durchaus vergleichbar mit den Fußball-Übertragungen am Samstagnachmittag. „Während der Übertragung ist es natürlich ruhiger als beim Fußball. Grundlegend ist es aber so, als ob sich Schalke-Fans in einer Kneipe treffen.“[Steffen Trumpf/fm]

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5 Kommentare im Forum

  1. AW: "Tatort"-Kneipen: Freibier für die Mördersuche Wie sieht das den rechtlich aus, wenn man ÖR als Public Viewing mit Gewinnerzielungsabsicht anbietet. Reichtr es aus, wenn der Veranstalter dafür seine 17,98€ p.m. Monat an den Rundfunkservice abdrückt? Als Privatmann sehe ich mich benachteiligt, da es mir nicht möglich ist die Zwangsabgabe durch Public Viewing zu kompensieren bzw. sogar noch Gewinn zu machen.
  2. AW: "Tatort"-Kneipen: Freibier für die Mördersuche Das Zauberwort heißt in diesem Fall GEMA.
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