Neu im Kino: Gruselige Totenwache in „The Vigil“

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Es darf sich wieder gegruselt werden im Kino! In dem Horrorfilm „The Vigil“ wird eine Totenwache zum Albtraum. Diese Woche startet der Geheimtipp in Deutschland.

Anscheinend gibt es sie doch noch: Filme, die einen mit simpelsten Mitteln in Angst und Schrecken versetzen können. Nicht falsch verstehen, es gab in den vergangenen Jahren einige ganz hervorragende Horrorfilme. „It Follows“ zum Beispiel, „The Witch“ oder Ari Asters „Midsommar“ waren da einige große Titel, die genannt werden müssen. Filme, die mit verstörenden, tief grabenden Bildern aufwarteten und das Genre mit politischen Betrachtungen wieder ernst nahmen.

Dass es aber auch eine so traditionell inszenierte Spukgeschichte wie „The Vigil“ noch einmal schafft, so effektiv zu wirken, überrascht etwas. Immerhin hatten die zahlreichen Geistererzählungen der alten Schule inzwischen einiges an Glanz verloren. Nachdem James Wan 2013 mit „The Conjuring“ noch ein kleiner Höhepunkt gelang, waren erinnerungswürdige Vertreter des Subgenres rar gesäht. „The Vigil“ kann da die bröckelnde Fassade der filmischen Spukgeschichten zumindest mit ein paar wenigen frischen Farbtupfern wieder aufwerten.

Ein Job, der es in sich hat

Regisseur Keith Thomas verlagert in seinem Debüt den Dämonenspuk in einen im Kino oft vernachlässigten Kulturkreis. Vor allem aber – für viele Zuschauer wahrscheinlich der wichtigste Punkt – ist „The Vigil“ zumindest in seinem ersten Drittel ein verdammt gruseliger Horrorfilm. Aber immer der Reihe nach: Thomas‘ Geschichte spielt in einer New Yorker orthodoxen jüdischen Gemeinde. Hier sehnt sich Yakov nach einem neuen Leben, doch die Geldnot ist groß.

Um an ein paar Dollar zu kommen, nimmt der junge Mann einen Job als Shomer an. Im jüdischen Glauben wachen die Shomer in der Nacht vor einer Beerdigung über den Leichnahm des Verstorbenen, um seine sichere Reise ins Jenseits zu gewährleisten. In einem kleinen, baufälligen Haus soll Yakov nun über den toten Herrn Litvak wachen, während dessen demente Frau im Obergeschoss schläft. Es dauert nicht lange, bis Unheimliches im Gebäude vor sich geht.

Effektive Geisterbahnfahrt

Der Regisseur wollte laut eigenen Aussagen einen Horrorfilm machen, wie er ihn noch nie zuvor gesehen hat. Diese Aussage ist, zugegeben, etwas hoch gegriffen. Aber es muss ja auch nicht immer gleich eine Neuerfindung sein. Wie bereits erwähnt: Gerade der erste Akt von „The Vigil“ ist äußerst furchteinflößend. Nicht, weil hier gleich das ganze Horrorinventar aufgefahren wird, sondern weil Keith Thomas meisterhaft die Spannung anschwellen und einen schon nach wenigen Minuten spüren lässt, dass hier in der Hauptfigur und seinem Umfeld tiefliegende Traumata schwelen, von denen wir wissen, dass sie irgendwann hervorbrechen werden.

Es braucht eben manchmal so wenig, wirkungsvollen Grusel auf die Beine zu stellen. Hier reichen zwei Figuren, ein Zimmer, eine aufgebahrte Leiche, eine Nacht. Kameramann Zach Kuperstein, der früher unter anderem für die grandiosen Albtraumbilder von „The Eyes of My Mother“ verantwortlich war, fängt in „The Vigil“ ganz hervorragend diesen beklemmenden Schauplatz ein. Er lässt die Kamera dabei oftmals bewusst länger stehen als üblich. Irgendwann beginnt man von ganz allein, paranoid die Hintergründe abzusuchen, ob sich dort nicht vielleicht gerade das Leichentuch bewegt hat oder sich in den finsteren Ecken des Hauses etwas aus dem Schatten schält.

Eher ein Kurzfilm

Nun muss man bei all dem Lob aber anmerken, dass „The Vigil“ zugleich ein Film ist, über den man sich furchtbar ärgern kann. Gerade weil er so viel Potential erkennen lässt. Hier geht es ja ausnahmsweise mal nicht nur darum, mit Geistern Jugendliche für ihre Sünden zu strafen oder Familien zu zerstören. „The Vigil“ wagt sich an größere Dimensionen, verarbeitet die Wunden, die der jüdischen Gemeinde zugefügt wurden. Ein antisemitisches Verbrechen gegen einen kleinen Jungen spielt da eine Rolle. Der Holocaust bricht immer wieder durch.

Keith Thomas verzahnt das Trauma des Einzelnen mit dem der gesamten Kultur. Nicht umsonst taucht der böse Dämon hier mit nach hinten verdrehtem Gesicht auf. Der Blick lässt sich einfach nicht nach vorne richten. Zu tief die Wunden, zu schrecklich die Vergangenheit. Als Kurzfilm hätte das mit dem effektiv inszenierten Auftakt grandios funktioniert. Doch für 90 Minuten fällt dem Regisseur einfach zu wenig ein.

Ereignisarmer Exorzismus

Die subtile Inszenierung ist zwar zunächst die Stärke des Films, aber der thematische Kern ist irgendwann auserzählt. Einmal den Absprung verpasst, wird es öde. Weil im Verlauf des Kammerspiels zu wenig Neues passiert und es sich damit abfindet, laut BUH! zu schreien, anstatt einmal etwas in seiner Darstellung zu wagen. Es fehlt an Ideen und sinniger Bebilderung der inneren Schrecken. Fast wirkt es so, als wolle man ein anspruchsloses Publikum mit müden Schockeffekten besänftigen, anstatt es tatsächlich mit der Abgründigkeit der Historie und der Melancholie der Figuren zu konfrontieren.

Mutig wäre es gewesen, diese Verschränkung von Gegenwart und Vergangenheit, Subjekt und Kollektiv viel assoziativer und offener, im Sinne eines Bewusstseinsstroms, aufzulösen. Mehr als eine grausige Fratze im Kerzenschein wäre doch nun wirklich drin gewesen! „The Vigil“ ist für seine thematische Fülle noch zu simpel gedacht. Ja, man konnte sich in den letzten Jahren schon wesentlich schlechter im Kino gruseln! Ein schwacher Film ist das gewiss nicht geworden. Aber wenn sich ein vielversprechender Anfang so zäh verläuft, ist man doch froh, wenn diese nicht enden wollende Nachtschicht irgendwann vorbei ist.

The Vigil“ läuft ab dem 23. Juli in den deutschen Kinos.

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Bildquelle:

  • thevigil2: Wild Bunch Germany
  • thevigil: Wild Bunch Germany

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