
Olivier Assayas hat den Roman „Der Magier im Kreml“ als packenden Polit-Thriller verfilmt. Disney+ hat das Projekt mitfinanziert.
2022 erschien der „Magier im Kreml“ von Giuliano da Empoli und versuchte sich an einer Analyse des russischen Machtapparats. Da Empoli hatte das Regime Putins aus Sicht eines Beraters namens Vadim Baranow erkundet, der im Hintergrund die Strippen zieht und die Inszenierung des diktatorischen Regimes verantwortet. Schon der Roman vermengte dabei munter Fakt und Fiktion und in der Verfilmung durch den Franzosen Olivier Assayas ist nun direkt eine Warnung und Abgrenzung an den Anfang gesetzt, die die Fiktionalität des Gezeigten ins Gedächtnis rufen soll. Insofern ist „The Wizard of the Kremlin“ natürlich nicht als journalistische Reportage oder dergleichen zu sehen. Assayas hat immer noch einen Spielfilm inszeniert, aber über die Realität hat er dennoch allerlei zu sagen.
„The Wizard of the Kremlin“ erzählt von Putins rechter Hand
„The Wizard of the Kremlin“ entpuppt sich, noch bevor man über die politischen Aspekte sprechen sollte, als exzellentes Schauspielerkino. Paul Dano gibt den Baranow. Er spielt diesen Mann als gefassten, ruhig und kontrolliert agierenden Trickster, der ursprünglich vom Avantgarde-Theater kommt und dann ins Reality-TV wechselt. Schlussendlich kann er seine Erfahrungen aus dem Showbiz wunderbar als politischer Berater und Regisseur auf der politischen Bühne unter Beweis stellen. Ein Künstler für Politiker und ein Politiker für Künstler, heißt es einmal zynisch. Aus der Aufbruchsstimmung, die die Figur noch am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts verspürt, erwächst das eiskalte Streben nach Macht, die auf dem intellektuellen Rückschritt errichtet wird. Und die Rechnung geht auf! Eine perverse und ebenso austauschbare Aufsteigergeschichte gibt es hier zu erleben.

Konstruktion der Macht
Putin selbst, „der Zar“ genannt, hat man derweil zur Nebenfigur degradiert und das ist eine gute Entscheidung. Dessen fiktiven Berater in den Mittelpunkt zu rücken, erlaubt nämlich einen angemessenen Zwiespalt, einerseits eine direkte Verwicklung mit dem System mit Putin an der Spitze herzustellen und zugleich eine erzählerische Distanz, einen Blick von außen zu kreieren. Er dringt in die historisch so schicksalsträchtige Konstellation und ein Machtvakuum ein, formt den Verlauf der Geschichte neu und wird schließlich von ihr verschluckt. Denn unweigerlich muss diese totalitäre und die ganze Gesellschaft umfassende Inszenierung irgendwann ihre bedrohliche Verselbständigung erfahren. Der Autor und Künstler hat sein Werk vollbracht. Nun muss er symbolträchtig von seinem eigenen machtpolitischen Text ausgelöscht werden.
Jude Law beeindruckt als Putin
Jude Laws Darstellung von Putin bleibt bei alldem die kühle Maskerade, die medial um die Welt geistert. Man wagt hin und wieder einzelne Brüche und Banalisierungen. In einem der Gags des Films weiß Putin während der Vorbereitung auf die Olympischen Winterspiele nicht, wer oder was Daft Punk sein soll. Überraschende Lacher sind das, die die Fassade dennoch nicht einzureißen vermögen. Schlussendlich kann man sich dieser Gestalt zuvorderst über das oberflächliche Bild, über ein Image nähern, erkennt die Romanverfilmung treffend.
Jude Law verkörpert das Staatsoberhaupt so oder so mit unheimlicher Präzision. Ihm gelingt im Spiel die perfekte Mixtur aus eigener Persönlichkeit, die unter dem Make-Up und dem grässlichen Perückenteil durchschimmert, und der detaillierten Nachahmung seiner Rolle. Wie er Putins Gang imitiert, wie er den Mund beim Schweigen und Sprechen verzieht, wie er gestikuliert, das ist bisweilen erschreckend nah am Original.
Nun besteht die Qualität des Films aber nicht in der schauspielerischen Verwandlung allein. Interessant wird „The Wizard of the Kremlin“ vor allem, weil er sich selbst und sein Publikum vor einen immensen Kraftakt stellt. Er will einerseits die Entzauberung und kühle Analyse eines politischen Handelns vornehmen und kann andererseits dessen abgründige Faszination im Spielfilm, den Grusel, der sich im Blick auf jenes Handeln einstellt, nie so ganz verleugnen. Am Ende findet sich der Film in einer Rückkopplung wieder.

„The Wizard of the Kremlin“ zeigt den Clash der Ideologien
Das Theater des Schreckens , der Gewalt und Einschüchterung, an dem Putin und seine Schergen arbeiten, ist längst auf die Struktur des Spielfilms übergeschwappt. Denn im Kern gibt es hier filmisch eine große „Game of Thrones“-Seifenoper zu sehen, mit all den geschliffenen Dialogen und den überraschenden Grausamkeiten, die eben dazugehören. Das macht den Film angreifbar bezüglich der Frage der Reproduktion eines Narrativs und genau jener öffentlichen Inszenierung, die das Putin-Regime offenbar sucht. Es macht ihn als Kunstwerk aber auch so konfrontativ.
„The Wizard of the Kremlin“ gelingt letztlich das Erstaunliche, in einigen Momenten tatsächlich die ideologischen Gräben und Feindbilder, mit denen sich der Westen und Osten gegenseitig begegnen, zu verunsichern. Hier wie dort. Die Scheinheiligkeit jenes Westens wird hier ebenso vorgeführt wie die verwerfliche Brutalität, mit der ihr die ausgemachte Gegenseite in dem nicht enden wollenden geopolitischen Kampf um Vorherrschaft und Deutungshoheit begegnet. Beunruhigend wird der Film dann, wenn sich die politischen Systeme plötzlich in gewissen Inszenierungspraktiken anzugleichen scheinen. Bisweilen erscheinen sie in ihrer Verlogenheit und Berechnung weniger verschieden, als sie es selbst womöglich gern wahrhaben wollen. Am Ende zählt vor allem die Show, der Effekt, nicht die Rationalität.
Die Banalität der Diktatur
Es geht hier nicht darum, Verbrechen, Unterdrückung und Kriege zu relativieren, zu entschuldigen oder auf eine Stufe zu stellen. Aber „The Wizard of the Kremlin“ führt die ganz grundlegende Verflechtung der Showkultur mit der Politik vor, die in bestimmten Mustern vielleicht in Russland nicht anders funktioniert und um sich greift als in den USA oder in Mitteleuropa. Das ist das verbindende Element und die Mahnung, die der Film herausarbeiten will. Er zeigt, wie wenig es braucht, Konflikte und Notlagen und tief schlummernde menschliche Abgründe und Ängste zu instrumentalisieren, um ein diktatorisches System zu errichten. Wichtig sind nur der Schein und eine große Erzählung.
Assayas‘ Film zeigt, wie unspektakulär und mühelos das vonstatten gehen kann. Verheerendes wird hier in einer Abfolge banaler Bürogespräche und Hinterzimmertreffen organisiert. Der Geist des Stalinismus wird ebenso ausgenutzt wie ökonomische Sorgen, Hierarchien und kleine Splittergruppen, die man alle mit ins Boot holt. Und die Opposition, eine Gegenerzählung erscheint plötzlich störend in der öffentlichen Ordnung. Also bequemt man sich lieber in der Unterdrückung. Und „The Wizard of the Kremlin“ beobachtet damit politische Bewegungen hin zum Totalitären und Reaktionären, die in ihren Mechanismen und Mitteln universell bleiben. Olivier Assayas hat mit dieser spannenden und provokanten Romanadaption keineswegs nur einen Film über Russland gedreht. Genau deshalb sollte man ihn unbedingt sehen.
„The Wizard of the Kremlin“ feierte seine Weltpremiere im Wettbewerb der 82. Internationalen Filmfestspiele von Venedig. Wann der Film bei Disney+ laufen wird und ob er vorab in die Kinos kommt, ist noch unklar.
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