17 Monate Isolation: Raumfahrt-Projekt geht zu Ende

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Bild: © Phongphan Supphakank - Fotolia.com
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Das anspruchsvollste Experiment in der Geschichte der Raumfahrt geht zu Ende: Nach 520 Tagen Isolation steigen sechs Männer in Moskau vor den Augen der Weltpresse aus einer nachgebauten Weltall-Station. Das ehrgeizige Projekt soll Erkenntnisse bringen für einen Flug zum Mars.

Luke auf für den Schlussakt des längsten Isolationsexperiments der Raumfahrt: Nach 520 Tagen Einsamkeit beenden sechs Männer an diesem Freitag eine virtuelle Reise ins All. „Die freuen sich auf den Ausstieg wie Kinder auf Heiligabend“, sagt Martin Zell von der beteiligten Europäischen Weltraumbehörde Esa. Bei dem spektakulären Projekt in Moskau simulierten Teilnehmer aus China, Russland, Frankreich und Italien seit dem 3. Juni 2010 einen Flug zum Mars und zurück, streng abgeschirmt in einem Container. Nun kehren sie zurück, obwohl sie – genau genommen – nie weg waren.
 
„Die Simulation ist viel schwieriger als ein wirklicher Flug“, beschreibt Elektroingenieur Diego Urbina, einer der sechs „Marsianer“, die Stimmung in dem mehr als 180 Quadratmeter großen „Raumschiff“. Im Gegensatz zu einem wirklichen Flug zum mehr als 50 Millionen Kilometer entfernten Planeten fehlten beim Experiment Mars500 zwar Schwerelosigkeit und kosmische Strahlung. „Stattdessen spürt man oft Einsamkeit und eine große Monotonie“, erzählt der Italiener der Nachrichtenagentur dpa per Funk aus dem Modul.

Mehr als 30 Kameras übertragen das Geschehen im Container – bis auf eine je drei Quadratmeter „große“ Privatkammer – in einen nahen Kontrollraum des russischen Instituts für Biomedizinische Probleme (IMBP). Dort ist auf einem der Bildschirme zu sehen, wie Urbina während des Gesprächs bequem in T-Shirt und kurzer Turnhose vor einer Holzvertäfelung sitzt, die sowjetischen Charme verbreitet. Der größte Gegner sei der Alltagstrott, gesteht der 28-Jährige. „Eine Frau an Bord wäre sicher gut. Man vermisst das, ganz ehrlich“.
 
Urbina hat noch Glück. Mit dem Russen Alexander Smolejewski und dem Chinesen Wang Yue durfte er im Februar den röhrenförmigen Container kurz verlassen: für die virtuellen ersten Schritte eines Menschen auf dem Mars. Forscher hatten ein Stück des Roten Planeten, der den Beinamen wegen des Eisenoxidstaubs trägt, im IMBP nachgebaut.
 
Alexej Sitjow und Suchrob Kamolow (beide Russland) sowie Romain Charles aus Frankreich mussten im „Mutterschiff“ auf ihre Kollegen warten. „Aber Hand aufs Herz: Wir waren uns in jeder Sekunde bewusst, dass wir nicht wirklich auf dem Weg zum Mars waren“, räumt Urbina augenzwinkernd ein. Um die Besatzung auf Trab zu halten, dachte sich die „Bodenstation“ dutzende Experimente aus und inszenierte Pannen.
 
Fast 12 500 Stunden in einem fensterlosen Container, „der aussieht wie eine Mischung aus finnischer Sauna und ausgebautem Dachstuhl der 1970er Jahre“ – so beschreibt das beteiligte Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) das Modul wenig schmeichelhaft. Beim ersten Langzeitexperiment der Mars-Forscher vor zwei Jahren verbrachte unter anderem der Düsseldorfer Oliver Knickel 105 Tage im Moskauer „All“. Mars500 bringe wortwörtlich „lebensrettende Erkenntnisse“, betont Alexander Suworow vom IMBP. „Den Mars sehen und nicht sterben, darum wird es gehen bei einem wirklichen Flug zum Roten Planeten“.
 
„Ich bin sicher, dass dies ein kleiner, aber wichtiger Schritt auf dem Weg zum Mars war“, sagt Peter Gräf vom DLR. Da Experten Leben auf dem Mars nicht ausschließen, ist der erdähnlichste Planet im Sonnensystem für sie besonders spannend. 17 Monate auf sich gestellt, rund um die Uhr überwacht von Kameras – alles im Dienst der Wissenschaft. Auch in Deutschland sorgen die Resultate für Euphorie.
 
„Diese geschlossene Gesellschaft war ein Paradies für Forscher“, sagt Alexander Choukèr von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Anästhesist nutzte die Isolation der Raumfahrt-WG, um mit Hilfe ihrer Urin- und Speichelproben die Wirkung von Stress auf das Immunsystem zu untersuchen. Parallel analysierte die Universität Erlangen die Balance des Salz- und Wasserhaushalts, erzählt der Arzt Jens Titze. „Die Ergebnisse werden lange Bestand haben“.
 
Handgreiflichkeiten wie bei früheren Experimenten habe es nicht gegeben, beteuert Urbina. „Es war an Bord wie im normalen Leben: Nicht jeder muss jedermanns guter Freund sein“. Sein Kollege Wang Yue freut sich unbändig auf den Ausstieg: „Ich habe Sehnsucht nach der Kochkunst meiner Mutter“, gesteht der Chinese nach dem strikten Ernährungsdiktat der Forscher. Zwar hatte das „Raumschiff“ vier Tonnen Lebensmittel an Bord. Asiatische Küche war aber nicht dabei. [Wolfgang Jung]

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