ARD: Middleware – „Wir setzen auf offene Systeme“

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Bild: © Phongphan Supphakank - Fotolia.com
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Leipzig – Der Einsatz proprietärer Systeme in den Kabelnetzen sorgt bei Kunden, Programmanbietern und Marktteilnehmern für Sorge. DF sprach mit Herbert Tillmann, Vorsitzender der Produktions- und Technikkommission der ARD über das Thema.

Seit 2005 leitet Herbert Tillmann die Produktions- und Technikkommission (PTKO)von ARD und ZDF. Außerdem ist der 61-jährigeTechnischer Direktor beim Bayerischen Rundfunk.
 
DIGITAL FERNSEHEN: Herr Tillmann, Aufgrund der Möglichkeit, dass die Kabelnetzbetreiber unterschiedliche Middleware-Lösungen einsetzen könnten, würde sich die technische Divergenz zwischen den Kabelnetzbetreibern noch verstärken. Wie beurteilen Sie diese mögliche Entwicklung im Sinne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?
 
Herbert Tillmann: Diese Einschätzung teilen wir. Wir halten es für problematisch, wenn proprietäre technische Vorgaben einzelner Kabelnetzbetreiber bzw. einzelner Programmanbieter (z.B. Pay TV-Anbieter) die Verfügbarkeit von Zusatzdiensten für die Zuschauer behindern. Auch steigt der Aufwand für die Sender, wenn verschiedenste technische Systeme sendeseitig unterstützt werden müssten. Das können und wollen wir nicht leisten. Eine solche Entwicklung bringt keinem der Beteiligten Vorteile.

DF: Haben Sie als Inhalteanbieter überhaupt ein Interesse an dem Einsatz einer Middleware, oder sehen Sie da keinen Nutzen für die ARD?
 
Tillmann: Wir sehen natürlich einen Nutzen und auch interessante Möglichkeiten, wenn in den Endgeräten eine geeignete Middleware enthalten ist. Wesentlich an dieser Stelle ist, das eine Middleware oder besser gesagt eine Anwender-Programmierschnittstelle standardisiert ist und die Schnittstellen offen liegen. Für die Sender muß der Zugriff auf eine derartige Middleware diskriminierungsfrei möglich sein.
 
DF: Gibt es eine Middleware-Lösung, die Sie als Inhalteanbieter bevorzugen? Welche Vor- und Nachteile sieht die ARD bei MHP, Media Highway oder OpenTV ?
 
Tillmann: MHP war der Versuch, sich von proprietären Systemen zu lösen und zu einer standardisierten Middleware zu kommen. Technisch ist es gelungen, aber die Lizenzpolitik einiger an der Standardisierung beteiligter Unternehmen hat letztlich dazu geführt, dass MHP im Markt von freien Endgeräteherstellern nur zögerlich verwendet wurde. Bei den proprietären Systemen, die in der Regel hauptsächlich für Pay-TV Netzwerke konzipiert sind, ist das Hauptproblem die Abhängigkeit, die entsteht, wenn man sich an ein einziges Technologieunternehmen bindet. Wir setzen auch aus diesem Grund nach wie vor auf offene und standardisierte Systeme.
 
DF: Gab es in den letzten Monaten Gespräche zwischen der ARD und den Kabelnetzbetreibern über die Einführung einer Middleware?

Tillmann: Wir haben uns mit Kabelnetzbetreibern stets auch zu dieser Thematik ausgetauscht. Seitens der Kabelnetzbetreiber gibt es Interesse an z.B. HTML-Browser-basierten Lösungen, Auf der IFA hat die ARD ja bereits die Machbarkeit einer solchen Lösung demonstriert und dort eigene Dienste vorgeführt.
 
DF: Gibt es Bestrebungen der ARD, z.B. in Gesprächen mit den Kabelnetzbetreibern, eine einvernehmliche Lösung im Sinne des Verbrauchers zu finden?
 
Tillmann: Es gibt konkrete Ansätze, um zu einer gemeinsamen und marktverträglichen Lösung auf Basis des CE-HTML-Standards zu kommen.
 
DF: Bevorzugen Sie aufgrund Ihrer Investitionen in Ihre Internetportale eine Middleware auf IP-Basis?
 
Tillmann: Wenn wir „IP“ mit „Internet“ gleichsetzen, kann man diese Frage mit „Ja“ beantworten. Technische Standards wie CE-HTML ermöglichen über die Set-Top-Box den direkten Zugang zu Diensten im Internet wie z.B. der ARD-Mediathek.Es ist uns natürlich ein Anliegen, unsere im Internet vorhandenen Dienste auch in einem Fernsehumfeld präsentieren zu können und darüber hinaus eine Vernetzung von Fernseh-, Radio- und Internetdiensten über eine geeignete Middleware zu realisieren.
 
DF: Reicht der ARD eine Hybridbox, die neben DVB-C auch Internetinhalte direkt per Netzwerkanschluss darstellen kann, aus?

Tillmann: Für eine „getrennte“ Darstellung der DVB- und Internetwelten würde es sicherlich ausreichen. Wenn Sie aber – und das ist die eigentliche Zielstellung – die vorgenannte „Vernetzung der Dienste“ realisieren wollen, dann reicht dies definitiv nicht aus. Es bedarf neben des CE-HTML-kompatiblen Browsers noch der entsprechenden Applikationssignalisierung. Diese wird derzeit im Rahmen des europäischen DVB-Projektes festgelegt.
 
DF: Middleware bedeutet Adressierbarkeit der Boxen. Wie steht die ARD zu diesem Thema?
 
Tillmann: Unabhängig davon, dass zwischen Middleware und Adressierbarkeit kein direkter Zusammenhang besteht, ist die Adressierbarkeit für die ARD verzichtbar.
 
DF: Hat die ARD nach FUN und MHP überhaupt Lust, einen weiteren Middleware-Versuch in Deutschland zu starten?
 
Tillmann: Es ist im Sinne der Zuschauer, wenn alle Empfangsgeräte die gleichen Dienste darstellen können. Somit ist es nicht eine Frage von „Lust“, sondern eine Frage der „Notwendigkeit“ sich dafür einzusetzen.
 
DF: Welche interaktiven Anwendungen können Sie sich überhaupt vorstellen?
 
Tillmann: Es gibt drei Kategorien von Anwendungen: die erste Kategorie sind Elektronische Programmführer mit Portalfunktion sowie die bekannten sendungsbegleitenden Anwendungen. Die zweite Kategorie sind die Anwendungen wie die ARD-Mediathek. Der dritte Bereich könnte die Teletext- bzw. Videotextnachfolge sein. Diese Reihe ließe sich fortsetzen. An erster Stelle gilt es aber dafür zu sorgen, dass sich der Markt auf Ebene der Endgeräte nicht zu stark fragmentiert.
 
DF: Da sich offenbar der Markt nicht auf einen Interaktivitätsstandard einigen kann – sind Sie nun für eine gesetzliche Lösung?
 
Tillmann: Prinzipiell gibt es eine gesetzliche Regelung im Rahmen des Telekommunikationsgesetzes TKG. So wird z.B. im § 48 Absatz 2, Ziffer 2 geregelt, dass eine API „von einer anerkannten europäischen Normenorganisation angenommen“ worden sein muss, „oder einer gemeinsamen, branchenweiten, offenen Schnittstellenspezifikation entspricht“ und „Dritten unabhängig vom Übertragungsverfahren Herstellung und Betrieb eigener Anwendungen erlaubt“. Aufgrund der momentanen technischen Entwicklungslinien wird man sich verstärkt mit der konkreten Anwendung bzw. konkreten Umsetzung dieser Vorschriften befassen müssen. Ich denke, wir werden hier vorankommen. Die Zeit ist reif.
 
DF: Herr Tillmann, vielen Dank für das Gespräch. [mth]

Das Interview gibt die Meinung des Interviewpartners wieder. Diese muss nicht der Meinung des Verlages entsprechen. Für die Aussagen des Interviewpartners wird keine Haftung übernommen.

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