Hitchcock lässt grüßen – Hollywood zeigt Sensationsfund

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Bild: © Phongphan Supphakank - Fotolia.com
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Ein lange verschollener Hitchcock-Film wird mehr als 80 Jahre nach seiner Premiere erstmals wieder in Hollywood gezeigt. Drei Filmrollen von „The White Shadow“ waren kürzlich in Neuseeland mit detektivischem Spürsinn wiederentdeckt worden.

Alfred Hitchcock hätte die Spurensuche nicht spannender inszenieren können. Eines der ersten Werke des britischen „Meisters der Spannung“ war Jahrzehnte lang verschollen. Der Detektivarbeit einer amerikanischen Film-Archivarin in Neuseeland ist das Auftauchen des Stummfilm-Dramas „The White Shadow“ zu verdanken. „Da waren Kisten mit Filmrollen, viele mit der Aufschrift ’nicht identifiziert‘ und ohne jeden Hinweis auf Regisseur oder Inhalt“, erzählt Leslie Lewis (35).
 
Die Spezialistin für alte Nitratfilme war im vorigen Jahr von der US-Stiftung für die Erhaltung von Filmen (National Film Preservation Foundation) von San Francisco nach Wellington geschickt worden, um dort in Archiven zu stöbern. In dieser Woche fliegt sie mit ihrem sensationellen Fund nach Hollywood zurück. Am Donnerstag wollte die Oscar-Academy 87 Jahre nach der ersten Aufführung von „The White Shadow“ (1924) in Los Angeles die „Re-Premiere“ feiern. Experten halten das Werk für den ersten, noch existierenden Spielfilm, an dem der damals erst 24 Jahre alte Hitchcock maßgeblich beteiligt war.

Drei Filmrollen, zwei mit der Aufschrift „Twin Sisters“ (Zwillingsschwestern), die andere ohne Titel, hatten Lewis‘ Neugier erregt. „Da waren auffällig schöne Szenen mit der Schauspielerin Betty Compson, eine mysteriöse Geschichte, ausgefeilte Sets und recht dramatische Lichteffekte“, beschreibt Lewis ihren ersten Eindruck von dem bisher unbekannten Material. „Die Handschrift eines begabten Filmemachers“, spekulierte die Filmhistorikerin. Für sie war es der Beginn einer langwierigen „Sherlock Holmes“-Spurensuche.
 
„Wir konnten die Spulen nicht einfach in einen Projektor stecken, dafür waren sie zu empfindlich und hochentzündlich“, erklärt die Archivarin. Auf einem Leuchttisch ging sie jedes Bild einzeln durch. Ihre Checkliste: „Welche Schauspieler sind zu erkennen, gibt es ein Logo des Studios, eine Jahreszahl am Filmrand, welche Story wird erzählt?“. „Das Material war zusammen einen Kilometer lang und nur 35 Millimeter breit, das erforderte eine Menge Konzentration“, erzählt Lewis.
 
Die Spürarbeit zahlte sich aus. Lewis konnte drei Rollen des verschollenen britischen Stummfilms „The White Shadow“ über charakterlich völlig gegensätzliche Zwillingsschwestern, gespielt von Betty Compson, identifizieren. Der junge Hitchcock, Jahrgang 1899, der seine Karriere als Zeichner von Zwischentiteln für Stummfilme begonnen hatte, habe 1923 als Drehbuchschreiber, Artdirektor und Assistent von Regisseur Graham Cutts an dem Film mitgewirkt. „Hitchcock hatte überall seine Hände im Spiel, vom Skript bis zum Schnitt. Er bestimmte mit, was auf der Leinwand zu sehen war“, meint Lewis.
 
Cutts habe damals schon neidisch auf das junge Talent geschaut und ihm die Arbeit damit nicht gerade erleichtert, sagte der Vorsitzende des amerikanischen Filmkritikerverbandes, David Sterritt, Anfang August, als der seltene Fund bekannt wurde. „Das ist eine der bedeutendsten Entwicklungen aller Zeiten für Forscher, Kritiker und Bewunderer von Hitchcocks außerordentlichem Werk“, so Sterritt.
 
Nur wenige Jahre nach „The White Shadow“ führte Hitchcock alleine Regie. Er drehte über 50 Filme, darunter die Klassiker „Der Mann, der zuviel wusste“ (1934), „Rebecca“ (1940) „Das Fenster zum Hof“ (1954), „Psycho“ (1960) und „Die Vögel“ (1963). Neben seinem hoch entwickelten Sinn für Dramaturgie war es vor allem sein psychologisches Gespür für Angst, das ihn zum Genie machte.
 
Nur drei der insgesamt sechs Rollen von „The White Shadow“ wurden bis jetzt gefunden. Mit rund 40 Minuten Laufzeit ist das etwas mehr als der halbe Film. Hitchcocks frühes Regiewerk „The Mountain Eagle“ („Der Bergadler“), das 1926 in Deutschland produziert wurde, ist gänzlich verschollen. „Vielleicht liegt der Rest irgendwo in einem Schuppen in Neuseeland. Mit etwas Glück finden wir noch mehr“, hofft Lewis.
 
Neuseeland war in den 1920ern oft das letzte Land, in dem neue Filme gezeigt wurden. Die Filmrollen blieben nach der letzten Vorführung einfach liegen. Dort wurde unlängst auch die lange verloren geglaubte Komödie «Upstream» von John Ford aus dem Jahr 1927 gefunden. Die „The White Shadow“-Rollen hatte der neuseeländische Filmvorführer Jack Murtagh zusammen mit anderen alten Filmen aufbewahrt. Sein Enkel gab das Material 1989 an ein Archiv weiter, wo es in einem feuersicheren Safe verschwand, aber mangels Geld zunächst nicht näher untersucht wurde.
 
Von dem leicht entflammbaren Nitratfilm-Original wurden jetzt mehrere Polyester-Kopien gezogen. Lewis schwärmt von der „wunderbar erhaltenen Bildqualität“ und der langen Geschichte des Films. „Man kann die Zeit regelrecht sehen. Das sind Kratzer von den vielen Vorführungen rund um die Welt drauf. Dies ist keine makellose Kopie, sondern mehr ein Kunstgegenstand mit viel Geschichte“.
[Barbara Munker]

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