Arte zeigt aktuell den besten Film eines Skandal-Regisseurs

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Francoise Lebrun unter einem Bettlaken in Vortex
Foto: Rectangle Productions

Gaspar Noé hat nicht zuletzt mit „Irreversible“ einen echten Skandalfilm hingelegt. Jetzt kann man sein jüngstes Werk bei Arte streamen.

Man hat Noé etwas zu oft auf die oberflächlichen Darstellungen von Sex, Drogen und Gewalt beschränkt. Extrem und grenzüberschreitend waren die Filme des argentinischen Regisseurs oft, keine Frage. Sie wurden wiederholt als Skandalfilme bezeichnet. In „Irreversible„, der bei den Filmfestspielen von Cannes für einen Eklat sorgte, zeigte er Monica Bellucci in einer rund neunminütigen Vergewaltigungsszene in Echtzeit. „Menschenfeind“ entwarf eine brutale Milieustudie zwischen Missbrauch, Inzest, häuslicher Gewalt und unaufhaltsamer Radikalisierung. Das Drama „Love“ war schließlich einer der Versuche, pornografische Darstellungen im „herkömmlichen“ Kino wiederzubeleben, noch dazu in 3D.

Missachten sollte man allerdings nicht, dass sich Gaspar Noé über die Jahre vor allem als radikaler Experimentalkünstler präsentiert hat, der zwar vertraute Versatzstücke variiert, aber immer wieder mit seinen formalen und technischen Spielereien überrascht. Sei es das Spiel mit der Chronologie, der Länge der Einstellungen, erwähntem 3D oder der Entfesselung der Kamera und ihrem Zwiespalt zwischen der inneren Emotionalität der Figuren und einer äußeren Beobachtung.

Der jüngste Film von Gaspar Noé jetzt bei Arte

Vor allem das Thema Zeit scheint es ihm angetan zu haben. Das meint einerseits Versuche, Rauscherfahrungen und Ausnahmezustände in eine Gegenwart und Spürbarkeit zu übersetzen. Das meint aber auch bewusste Distanzeffekte und Brüche in der Wahrnehmung. Noés jüngster Film „Vortex“, den man aktuell in der Arte Mediathek kostenlos streamen kann, ist dafür das beste Beispiel.

Selten konnte man so eindringlich dem Altern und Sterben beiwohnen. Zugleich nutzt der Regisseur auch hier ein besonderes Stilmittel, das eine permanente Desorientierung hervorruft. Nicht nur als Ausdruck einer Lebensrealität, die durch Demenz aus den Angeln gehoben wird, sondern auch als Zerfall einer romantischen Beziehung, sobald die letzte Etappe des Lebens begonnen hat.

Dario Argento und Françoise Lebrun in Vortex
Dario Argento und Françoise Lebrun in „Vortex“ Foto: Rectangle Productions

Darum geht es in „Vortex“

Noé hat in „Vortex“ die französische Schauspiel-Ikone Françoise Lebrun und den berühmten Horror-Regisseur Dario Argento in den Hauptrollen besetzt. Beide spielen hier ein älteres Ehepaar, das zunächst noch eine gute Zeit auf dem Balkon ihrer Pariser Wohnung verbringt. Am nächsten Morgen, während beide erwachen, wird das Bild plötzlich von einer dunklen Linie zerteilt. Die Figur von Lebrun ist an Demenz erkrankt. Die Symbiose des Ehepaares zerfällt. Beide irren durch ihre ganz eigene Realität, obwohl sie sich an ein und demselben Schauplatz befinden.

Noé lässt fast den gesamten, rund zweieinhalb Stunden langen Film im Splitscreen ablaufen und stellt damit verschiedene Perspektiven nebeneinander. Nicht nur des Paares, auch der Sohn der beiden wird im Laufe des Films eine zentrale Rolle spielen. Bereits in seinem bunt flackernden Kurzfilm „Lux Aeterna“ über das Chaos an einem Filmset hatte Noé mit der Splitscreen-Technik experimentiert. Damals noch, um die Reizüberflutung, das Kulissenspiel und die Hektik seines Szenarios noch auf die Spitze zu treiben. Hier bekommt der Kniff nun eine ganz neue Bedeutungsebene.

Vortex bei Arte, Szenenbild
Film im Splitscreen Foto: Rectangle Productions

„Vortex“ zeigt das Ende eines gemeinsamen Lebens

„Vortex“, der bei Arte mit dem Untertitel „Strudel des Lebens“ läuft, zeigt all die zermürbenden Szenen, die mit der menschlichen Vergänglichkeit einhergehen. Man überlegt, wie man die Pflege organisieren will, ob nicht ein Heim der bessere Ort für die Mutter wäre. Der Film zeigt Momente der Verwahrlosung, des Orientierungsverlusts. Plötzlich irrt die Mutter durch ein Geschäft, während der Vater in der anderen Bildkachel versucht, sie wiederzufinden. Er versucht noch, ein theoretisches Werk über die Beziehung von Filmen und Träumen als sein Vermächtnis fertigzustellen, während sie kaum noch ihren Alltag bewältigen kann.

Später dann: der Tod, die Ohnmacht. Die Frage, ob sich noch so etwas wie Würde in den letzten Stunden finden lässt. Und irgendwann: das Gespenstische. Was bleibt von einem Leben übrig? „Vortex“ ist nur auf den ersten Blick der harmloseste Film von Gaspar Noé. (Es ist der einzige, der in Deutschland bereits ab 12 Jahren freigegeben ist). Zugleich ist er sein vielleicht erschütterndster und ergreifendster, weil er so nahbar und universell auf all das blickt, was alle Zuschauer irgendwann in der Realität auf die ein oder andere Weise ereilen wird. Und vielleicht kann man es so zusammenfassen: „Vortex“ ist in seiner erzählerischen Reife der bisherige Höhepunkt im Schaffen des Regisseurs.

„Vortex – Strudel des Lebens“ ist seit dem 14. Mai 2025 in der Arte Mediathek verfügbar und kann dort noch bis zum 12. Juli gestreamt werden.

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1 Kommentare im Forum
  1. Eine der schönsten Überschriften bei DF. Catchy, auf den Punkt und ein Fall für den Grimme-Award. Und hier die nächsten Schlagzeilen: "Sender auf einem bekannten Satelliten aufgeschaltet!" "Neuer Film mit einem bekannten Schauspieler bei einem privaten Kanal!" "Alle Redakteure eines Medien-Magazins in der Nachschulung auf einer wichtigen Universität!"
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