„Sirât“ ist einer der spannendsten Filme des Jahres

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Vater und Sohn in "Sirât"
Foto: Pandora Films/ QuimVives

In Cannes gefeiert, jetzt auch in Deutschland zu sehen: Oliver Laxe erzählt in „Sirât“ auf hochspannende Weise vom Ende der Welt.

Auf die Intensität der zweiten Hälfte ist man kaum vorbereitet. „Sirât“ vermittelt schon vorher einen Eindruck davon, wie sehr dieser Film die Lust am Schauen stimuliert, wie effektiv seine Bilder und wummernden Klänge auf einen einprasseln können, Ja. Aber das Horrorszenario, in dem Oliver Laxe seine apokalyptische Erzählung münden lässt, trifft einen noch einmal mit anderer Wucht. Selbst, wenn man schon aus einer der euphorischen Kritiken vom Festival in Cannes erfahren hat, welchen Schauplatz der Film am Ende wählt, kann man sich kaum der Körperlichkeit des Gezeigten entziehen.

Das ist ein Werk, bei dem man unruhig im Kinosessel hin- und herrutscht, erschrocken zuckt und man weiß, dass die Spannung in den nächsten Minuten so schnell nicht abreißen wird. Oliver Laxe geht es also um das Performative seines Kinos. Er will sein Publikum als Schicksalsgemeinschaft zusammenschweißen, die gemeinsam von der Sinnlichkeit des Films erfasst und überwältigt wird. Im Vordergrund steht das körperliche Erfahren, sofern das im Kino eben möglich ist. Und man muss ihm lassen: So intensiv auf einer rein affektiven Ebene waren bislang wenige Filme in diesem Jahr. Aber immer der Reihe nach!

Szenenbild Sirât
© Pandora Film / QuimVives

Darum geht es in „Sirât“

„Sirât“ beginnt mit großen Bass- und Lautsprecherboxen in der südmarokkanischen Wüste. Am Beginn des Films werden sie in der Landschaft aufgetürmt, ehe die Feiergemeinde ankommt und gemeinsam im Nirgendwo einen Rave veranstaltet. Schon hier fährt „Sirât“ betörende Eindrücke von eigenartigen Laserformationen am umliegenden Felsgestein auf. Die Musik dröhnt. Eine Aufnahme der tanzenden Menge scheint sich selbst in ein Gewimmel kleiner Steine zu verwandeln. Die Landschaft erwacht zum Leben. Mensch und Natur verschmelzen im Schwitzen, in der Bewegung und im kollektiven Rausch.

„Sirât“ ist damit nach dem ebenfalls beeindruckenden „Rave On“, der jüngst eine höllische Nacht in einem Berliner Techno-Club zeigte, ein weiterer Kinofilm, der die Energie von Raves und überhaupt der elektronischen Musik- und Tanzkultur sucht. „Sirât“ ist aber nicht nur ein Partyfilm. Wenn überhaupt, dann erzählt er von einem verzweifelten Versuch, dort noch das gemeinschaftliche Erleben, den Eskapismus und die freiheitliche Ekstase zu suchen, wo alles vor die Hunde geht. Später dann verwandelt sich die Ekstase in die reine Lebensgefahr und einen Zwang der äußeren Umstände.

Schon früh merkt man nämlich, dass in der Welt dieses Films etwas nicht stimmt und das soll natürlich unsere erschütterte Welt im Allgemeinen spiegeln. Der Rave am Beginn wird aufgelöst. Ein Vater-Sohn-Gespann gerät in die Wirren des Ereignisses. Sie sind auf der Suche nach der Schwester des Jungen, die in der Feierkultur verschwunden sein soll. Gemeinsam mit einigen anderen Ravern ziehen die beiden nun los, immer tiefer hinein in die Wüste, um die Verschollene zu finden.

Tanzend Menschen bei einem Rave
© Pandora Film / QuimVives

Rave am Ende der Welt

„Sirât“ ist dabei weniger ein Film, der mit ausgefeilter Handlung besticht. Stattdessen sucht er eine ästhetische Archaik und Haptik und Situationen, in denen Mensch und Material mit der Wildnis kämpfen. Vergleiche mit William Friedkins „Sorcerer“ („Atemlos vor Angst“) wurden schon naheliegend in anderen Kritiken gezogen. Auch hier werden schwere Fahrzeuge in brenzlige Situationen gebracht und die Familiengeschichte, die dabei in Anklängen erzählt werden soll, wird eigentlich schon auf halber Strecke radikal abgeschnitten.

Stattdessen findet sich der Mensch in einem Zustand wider, in dem er nur noch auf den eigenen grausamen Tod wartet. Die Welt hat sich im wahrsten Sinne in eine Art Pulverfass verwandelt. Vergangene und gegenwärtige Kriege haben sich in die Landschaft eingeschrieben und verwandeln Persönlichkeiten nur noch in Marionetten absurder und grausamer Slapstick-Einlagen. Radionachrichten vermitteln einen vagen Eindruck vom chaotischen, zerstörerischen Zustand der Welt im Untergang. Man wandelt längst auf dem schmalen Grat zwischen Diesseits und Jenseits, Himmel und Hölle, den der Titel des Films beschreiben soll.

Wiederholt wurde in anderen Besprechungen die Frage gestellt, ob dies nicht einfach nur ein zynischer Film sei. Und Ja, das ist er in gewisser Weise. Er ordnet seine Figuren der reinen Schreckenslust des Publikums und einer gewissen Effekthascherei unter. Nun ist „Sirât“ aber auch nicht zynischer als die reale Welt, die er spiegeln will, könnte man ebenso entgegnen. Vielleicht führt Oliver Laxe einfach nur die Spektakellogik vor, mit der Menschen heute überall auf das Leid anderer blicken können. Seine Horror-Wüste birgt Züge einer perfiden Gameshow. Die Unterordnung realer Gewalt unter die medialen Logiken der Unterhaltungsindustrie ist längst Alltag. Mal sehen, wer wie lange durchhält…

Szene aus Sirât
© Pandora Film / QuimVives

Krisenstimmung im Kino

Problematischer ist vielmehr, dass dieser Film so diffus in seinen Benennungen und Kontexten bleibt. Dass er sich nicht für seine spezifische Verortung und die Verantwortungen, die damit einhergehen, interessiert, geschenkt! Was sich in diesem Film jedoch zeigt, ist eine gewisse politische Müdigkeit und Verdrossenheit, die man in diesem Jahr etwa auch in der Satire „Tanz der Titanen“ beobachten konnte.

Dort ging es darum wie die G7-Köpfe ratlos im dunklen Wald umherwandeln und letztlich lieber überlegen, wie man die Menschheit auf ihr Ende vorbereiten, wie man den Untergang vermarkten kann, anstatt ihn zu verhindern. Das ist eine naheliegende Polemik. Sie sagt abseits von Stammtischparolen aber nichts aus. Stattdessen sind hier die zu Krisen der Welt zum diffusen Hintergrundrauschen und zum reinen Weltschmerz geworden. In „Sirât“ ist das ähnlich. Hier macht sich der Film angreifbar oder gestaltet sich zumindest zwiespältig.

Es geht dieser Kunst nicht mehr darum, Probleme konkret zu benennen, sie für einen Diskurs fruchtbar zu machen. Der berühmte Finger in der Wunde ist nur noch zur sinnentleerten Geste geworden, weil man schon kaum noch ausmachen kann, in wen oder was diese Wunde geschlagen wurde. Krisen werden zur Atmosphäre, Stimmung, zum Vibe. Und thematische Konfrontationen werden zu abstrakten Schocks, keinen Gedanken.

„Sirât“ läuft ab dem 14. August 2025 in den deutschen Kinos.

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