„Maestro“ bei Netflix: Bradley Cooper’s Bernstein-Film ist ein Ärgernis

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Carey Mulligan und Bradley Cooper in
Foto: Jason McDonald/ Netflix

Bradley Cooper spielt den berühmten Komponisten Leonard Bernstein: Der Netflix-Film „Maestro“ feierte in Venedig Premiere und nervt mit abgedroschenem Geniekult.

Irgendwo lauert Leben unter der starren Maskerade. Wenn Bradley Cooper als alternder Leonard Bernstein das Bild betritt, muss man allerdings genau hinsehen, um den Schauspieler noch unter den Schichten aus Make-Up und künstlichen Teilen erkennen zu können. Schon im Vorfeld wurde Kritik an dieser Verwandlung laut: Man warf Cooper vor, sogenanntes „Jew Facing“ zu betreiben, also eine fremde jüdische Identität anzunehmen, die man mit stereotypen Gesichtsmerkmalen ausstattet, um besagte Identität zu markieren. Man kann zu dieser Angelegenheit stehen, wie man will: Ärgerlich ist aber auch, dass diese protzend ausgestellte Verwandlung so dermaßen selbstgenügsam auf der Leinwand agiert, dass man das schauspielerische Talent von Cooper und Carey Mulligan, die seine Ehefrau verkörpert, irgendwann kaum noch schätzen will.

Das ist eine reine, strebsame Imitationsnummer, die die beiden in „Maestro“ aufführen! Eine bloße Nachahmung, die versucht, um jeden Preis möglichst nah an ihr Original heranzureichen, aber dabei keine tieferen Ebenen und Einsichten erreicht, nichts Wahrhaftiges, letztlich nichts Menschliches und Faszinierendes mehr birgt. Gewiss, die Maskenabteilung hat beste Arbeit geleistet, Sprechweisen hat man sich virtuos antrainiert. In vielen Szenen glaubt man tatsächlich, Originalaufnahmen und alte Fotos von Leonard Bernstein und Felicia Montealegre zu sehen. Aber wozu das alles, abseits der Tatsache, dass den beiden damit Oscar-Nominierungen im kommenden Jahr gewiss sind?

Carey Mulligan und Bradley Cooper in "Maestro"
Foto: Jason McDonald/ Netflix

„Maestro“ erzählt lose Episoden aus dem Leben von Leonard Bernstein

Man kann „Maestro“ zumindest keine mangelnden Ambitionen vorwerfen. Cooper, der Hauptrolle, Regie, Produktion und Drehbuch (gemeinsam mit Josh Singer) übernommen hat, gibt sich alle Mühe, formal kein allzu schnödes Nacherzählen biographischer Stationen zu unternehmen. Sein Musiker-Biopic unterbricht immer wieder Sequenzen, lässt Leerstellen, wirft nur einzelne Schlaglichter auf Karriere und Privatleben, die sich zum größeren Bild einer Persönlichkeit zusammensetzen sollen. Er wechselt zwischen Schwarz-Weiß und Farbe, versucht, eindringliche Sinnbilder zu kreieren. Einmal steht Carey Mulligans Figur am Bühnenrand im übergroßen Schatten ihres gefeierten, dirigierenden Mannes.

Ohnehin gibt „Maestro“ wiederholt vor, Felicia als eigentliche Hauptfigur zu begreifen, ihre Sicht der Dinge zu schildern, sich dem großen Star aus Perspektive seiner Geliebten im Hintergrund zu widmen. Das geht vorn und hinten nicht auf! Es kann schon deshalb nicht funktionieren, weil das Drehbuch einfach nicht genug hergibt, seine Frauenperspektive wahrhaft mit Gedanken und Leben zu füllen. Zwar will Coopers Film von Felicias Leid erzählen, permanent in der zweiten Reihe zu stehen, zu vereinsamen, während ihr bisexueller Mann entweder im Rampenlicht beklatscht wird oder sich mit Affären begnügt. Aber sieht man dort wirklich etwas Erhellendes, abgesehen von altbackensten Künstlerkrisen?

Bradley Cooper am Set von "Maestro"
Foto: Jason McDonald/ Netflix

Banales Porträt eines Genies

„Maestro“ plustert jede Szene zum bemüht üppigen Kunstwerk auf, spielt mit seinen Kamerafahrten und -winkeln, um großes Kino vorzugaukeln und zaubert doch nur reine Zierde. In Wirklichkeit ist dieser Film unendlich banal und langweilig. Man kann schon kaum noch abzählen, wie oft ein solcher Stoff erzählt wurde. Jaja, es muss schwer sein, mit einem Genie zusammenzuleben! Es interessiert sich ja nur für sich selbst und für die Arbeit und will für seinen Ruhm auch noch bemitleidet werden. Im Mittelteil von „Maestro“ streiten Leonard und Felicia über dieses Thema. Man müsste sich nur diese wenigen Minuten ansehen und könnte den Rest des Films ignorieren – man hätte genau so viel Erkenntnisgewinn wie am Ende der zwei Stunden.

„Maestro“ ist nicht mehr als Politur für einen Kult, ein reiner Fan-Film, der seinem Protagonisten nur ungläubig staunend gegenüberstehen kann und dessen Überwältigungsstrategien in der Kunst für sich selbst wiederholt. Einmal steigt Bernstein mit anderen Männern zum musikalischen Prolog von „West Side Story“ aus dem Auto und läuft die Einfahrt entlang: Ein solcher Versuch, Leben und Werk tatsächlich zum gemeinsamen Sprechen zu bringen, bleibt höchstens vager Ansatz.

Bradley Cooper inszeniert sich selbst

Bradley Cooper ist sowieso kein sonderlich interessanter Regisseur. Was er kann, ist das Inszenieren des Schauspiels, wie er schon in „A Star Is Born“ bewiesen hat. Vor allem: seines eigenen Schauspiels, wenn er inbrünstig ein Orchester dirigiert oder weinend in ein Kissen schreit. Aber erscheint da mehr als bloße Kalkulation, mehr als eindrucksvolle Technik, die am besten nach jedem Auftritt Applaus verlangt? Es gibt tatsächlich gegen Ende des Films eine längere Episode, in der das private Krankheitsleid im Haushalt des Paares gezeigt wird. Dort kommt der Film zu sich, schafft tatsächlich ein paar ergreifende Szenen. Weil das endlich Momente sind, in denen jenes aufdringliche, kopierende Spiel zu seinen Charakteren vordringt, Intimes schafft, fühlen lässt.

Viel mehr will „Maestro“ sowieso nicht anbieten! Zum intellektuellen Nachdenken über die Kunst, die Liebesbeziehung, das Ego, den Musikbetrieb – für all das ist Todd Fields „Tár“ im vergangenen Jahr der um Welten klügere Film gewesen. Ironischerweise spielte Cate Blanchett dort eine Schülerin Bernsteins. Bradley Cooper begreift auch die Musik des Komponisten allein als großen Affektsturm, den er minutenlang über sein Publikum hinwegwüten lässt. Am Beginn seines ärgerlich selbstverliebten Films steht ein Zitat Bernsteins, welches das Aufwerfen von Fragen in der Kunst betont. Fangen wir einmal an: Was interessiert Cooper überhaupt an dieser Gestalt?

„Maestro“ feierte seine Weltpremiere im Wettbewerb der 80. Internationalen Filmfestspiele von Venedig und wird am 20. Dezember 2023 bei Netflix erscheinen.

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