„Der Brotverdiener“: Zeichentrick-Meisterwerk erscheint als Mediabook

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"Der Brotverdiener", Pavarna
©Pandastorm

Ganze acht Jahre dauerte es, bis ein deutscher Vertrieb mit „Der Brotverdiener“ das dritte Zeichentrick-Meisterwerk des irischen Animationsstudios Cartoon Saloon veröffentlichte. Nun erscheint es am 23. Mai endlich in würdiger Mediabook-Präsentation und mit einem ansehnlichen Bonus-Paket.

Animationsfilme wie „Persepolis“ (Iran, 2007), „Die letzten Glühwürmchen“ (Japan, 1988) oder auch „Waltz With Bashir“ (Israel, 2008) haben es generell schwer, ein Publikum zu finden. Jeder, der sich darauf einlässt, weiß im Prinzip schon im Vorfeld, dass ihn Krieg und Leid aus Sicht der Opfer erwartet. Und niemand begibt sich gerne freiwillig in solch eine Perspektive oder beschäftigt sich mit entsprechend düsteren Themen.

"Der Brotverdiener"
©Pandastorm

Dennoch besitzen die oben genannten Filme neben der Darstellung einer lebensfeindlichen Welt auch unglaublich viel Schönheit und Poesie. Sie alle sind Meisterwerke, die ganz bewusst über das Zeichentrick-Medium realisiert wurden. Zum einen, weil Animation mehr Abstand zur Realität bietet und ein Image der kindlichen Unschuld besitzt. Zum anderen, weil Animation in ihrer Abstraktion, visuellen Vereinfachung und künstlerischen Schönheit emotional so viel näher geht, als man dies mit realen Kameras einfangen könnte. Die traumgleichen Bilder verweilen einfach länger im Gedächtnis.

„Der Brotverdiener“ zeigt das Schicksal von Frauen in Afghanistan

All dies trifft auch auf Nora Twomeys Drama „Der Brotverdiener“ zu, das auf Deborah Ellis‘ Jugendroman „Die Sonne im Gesicht“ basiert und 2018 eine Oscar-Nominierung in der Kategorie „Bester Animationsfilm“ erhielt (Pixars „Coco“ machte das Rennen). Seit 2001 – dem Jahr der Filmhandlung – ist zwar viel passiert, doch die hier gezeigte Ausgangslage in Afghanistan ist leider wieder die gleiche. Seit die ISAF-Truppen 2021 das Land verließen, sind die Taliban erneut an der Macht und verüben dort sogar noch schlimmere Menschenrechtsverletzungen als zuvor. Da der Film 2017 entstand, ist es umso trauriger, dass er die aktuelle Situation in Afghanistan, dem Land am Ende des Demokratie-Index – andeutungsweise widerspiegelt.

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„Der Brotverdiener“ erzählt die Geschichte des 11-jährigen Mädchens Parvana, das mit ihren Eltern und Geschwistern auf engstem Raum zusammenlebt und eine Schlüsselrolle bei der Ernährung der Familie einnimmt. Da unter dem Taliban-Regime Frauen in der Öffentlichkeit keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sich nur in Begleitung ihres Mannes oder Bruders in der Öffentlichkeit bewegen dürfen und auch stets bedeckt sein müssen, ist das Mädchen die einzige, welche vor der Ausgangssperre zum Brunnen gehen kann, um Wasser zu holen.

Ihr Vater verlor im Krieg ein Bein, der ältere Bruder ist verstorben. Schwester und Mutter gelten als Frauen und der jüngste Bruder ist im Kleinkindalter. Solange Parvana also noch als Kind durchgeht, kann sie in bedecktem Zustand das lebensnotwendige Nass besorgen. Als jedoch der Vater willkürlich verhaftet und weggesperrt wird, bricht die Lebensgrundlage der gesamten Familie zusammen. Niemand darf Geschäfte mit Frauen machen, das steht unter Strafe. Und einen Fuß vor die Tür setzen, dürfen die Frauen ebenfalls nicht. Wo also sollen lebensnotwendige Güter wie Essen und Trinken herkommen? Wer soll das Brot verdienen?

Restriktionen

"Der Brotverdiener", 2017
©Pandastorm

Was in westlichen Gefilden undenkbar erscheint, wird hier als das Horror-Szenario dargestellt, was es leider ist. Es handelt sich dabei um kein fiktionales Konstrukt wie etwa in „The Handmaid’s Tale“, das ist absolut real. An jeder Ecke könnte ein Mann lauern, der hasserfüllt Gewalt ausführt – ob als Drohung, als Anzeige oder gleich physisch – erlaubt scheint den Männern alles. Schwarz-Weiß malt das Zeichentrick-Drama hingegen nichts, denn es gibt auch positive sowie neutrale männliche Charaktere. Selbst der Haupt-Antagonist, ein sehr wütender Mann, der schockierend entschlossen den Islamismus und die Scharia vertritt, entpuppt sich als ein vom System beeinflusster Jugendlicher, der seinen weltlichen Vorteil daraus ziehen will (er sucht eine Braut), aber auch selbst Opfer desselbigen ist.

Für Parvana, deren weiblichen Attribute noch nicht ausgebildet sind, ergibt sich daher nur eine Lösung zum Überleben. Sie muss ganz schnell ein Junge werden. Wie Disneys „Mulan“ schneidet sie sich ihr Haar ab und streift die Kleidung des verstorbenen Bruders über. Und plötzlich steht ihr die Welt offen. Wie ein Befreiungsschlag lösen sich die zuvor unlösbaren Probleme. Sie trifft sogar auf ein anderes Mädchen, das auf die gleiche Idee gekommen ist und fortan als Tutor sowie Freundin fungiert. Das ist natürlich nur vorübergehend und über allem schwebt nach wie vor die Gefangennahme des Vaters.

Freiheit durch Geschichten

"Der Brotverdiener", Afghanistan
©Pandastorm

Da Parvana von ihren Eltern – die Mutter Schriftstellerin, der Vater Lehrer – zu einer Geschichtenerzählerin ausgebildet wurde, findet sie immer wieder gedankliche Freiheit im Erzählen eines Märchens von einem Jungen, der auszog, um seinem Dorf die gestohlene Lebensgrundlage von einem wütenden Elefanten-König zurück zu holen. Alle Faktoren, wie auch das ständige Verfolgtwerden, halten in dieser kontinuierlich weitererzählten Geschichte Einzug. Visuelle Trennung erfährt sie in ihrem Scherenschnitt-Stil eines Papier-Figuren-Theaters. Die Animation des Binnenteils wurde daher von einem gesonderten Produktionsteam übernommen.

Gelingt es „Der Brotverdiener“, die Magie der anderen Cartoon Saloon-Filme wie etwa „Das Geheimnis von Kells“ und „Die Melodie des Meeres“ zu entfachen? Die humorvolle Leichtigkeit besagter Filme, die ebenfalls erwachsene Themen behandeln, teilt er zwar nicht, dafür ist die Prämisse einfach zu schwer. Die Schönheit hingegen wurde beibehalten, obwohl sie hier anders zum Zuge kommt. Statt des außergewöhnlichen Spiels mit zweidimensionalen Perspektiven, entsteht ebenjene durch die Komposition der Charaktere mit ihrer Umgebung. Wiederholende Einstellungen entwickeln vergleichende Muster und legen das Innerste der Charaktere frei. Das Ende der emotionalen Reise ist außerdem befreiender und hoffnungsvoller als dies z. B. bei „Die letzten Glühwürmchen“ ist, sodass die nötige Schwere ein angenehmes Gegengewicht erhält.

"Der Brotverdiener", Mediabook
©Pandastorm – Das neue Pandastorn-Mediabook zum 2017er Zeichentrick-Drama „Der Brotverdiener“ ist ab dem 23. Mai erhältlich

Über die herausragende Animationsqualität des international erstellten Werks brauchen hier demnach nicht viele Worte verloren zu werden. Sie ist Cartoon-Saloon-typisch über alle Kritik erhaben. Ein visueller Traum, der wie auch die anderen Zeichentrick-Klassiker des Studios unbedingt ins Filmregal gehört. Das limitierte und numerierte Pandastorm-Mediabook enthält zudem ein augenöffnendes Interview mit Regisseurin Nora Twomey, die deutlich macht, dass sie ihren Film in erster Linie als ein unterhaltsames Drama sieht, während die prominente Produzentin Angelina Jolie im Bonusmaterial erklärt, dass ihr besonders an der politischen Aussage des Films gelegen sei. Letztlich erfüllt der Film beide Ansprüche, da er trotz aller notwendiger Authentizität seinen kleinen, aber feinen Humor nicht verliert und außerdem unglaublich spannend erzählt.

Text: Falko Theuner / Redaktion: Felix Ritter

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