„Olaf Jagger“: So hat man Olaf Schubert noch nicht gesehen

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Olaf Schubert vor Spiegel in
Foto: Martin Rottenkolber/ Neue Visionen

In der Fake-Doku „Olaf Jagger“ zeigt sich der Komiker Olaf Schubert von seiner nachdenklichen Seite. Jetzt läuft der sehenswerte Film im Kino.

Da tut sich was im deutschen Historienkino! Es gibt sie noch: Filme, die versuchen, einen originellen, selbstreflexiven und vor allem offenen Umgang mit Geschichte und Geschichten zu finden. Das Thomas-Brasch-Biopic „Lieber Thomas“ oder Dominik Grafs kongeniale Kästner-Verfilmung „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ (aktuell in der ZDF– und Arte-Mediathek zu sehen) können diesbezüglich etwa nicht oft genug hervorgehoben werden.

Und jetzt gerät Heike Finks gewitzte Mockumentary „Olaf Jagger“ ins berechtigte Rampenlicht. Erstaunlich ist das gleich im doppelten Sinne, denn ihr Protagonist, der Comedian Olaf Schubert, löst sich hier nicht nur von seinem inzwischen allzu berechenbaren Blödel-Image, sondern der gesamte Film entpuppt sich als herrlicher Narrenstreich, der nach und nach tiefer schürft, als er zunächst vielleicht den Anschein erwecken mag.

Olaf Schubert in "Olaf Jagger" im Bett
Foto: Neue Visionen/ Martin Rottenkolber

Ist Olaf Schubert in Wirklichkeit Olaf Jagger?

Olaf Schubert ist einer, der mit dem Image des Vorzeige-Ossis populär wurde. Überdrehte Tumbheit und überraschende sprachliche Stilblüten vereinen sich in seinem kultigen Pullunder-Gewand. Während das Spiel mit dem inszenierten Ost-Klischee in Schuberts TV- und Bühnenauftritten schon längst in Routinen und Selbstbestätigungen an Schlagkraft verloren hat, gelingt ihm in „Olaf Jagger“ noch einmal eine interessante Bespiegelung der eigenen Rolle, Kunstfigur und Zivilperson. Die Regisseurin und Autorin Heike Fink schickt Schubert als Filmfigur auf eine Odyssee durch mehrere Jahrzehnte DDR-Vergangenheit, die sich aus einer Identitätskrise im Hier und Jetzt entspinnt.

Durch Zufall findet Olaf Schubert nämlich heraus, dass seine Mutter in den 60er-Jahren während einer Reise in den Westen eine Affäre mit Mick Jagger gehabt haben soll. Fortan verdichten sich Hinweise, dass Olaf womöglich der Sohn des „Rolling Stones“-Superstars sein könnte. Hat ihn seine Familie also sein ganzes Leben lang belogen?

Olaf Schubert im Rolling-Stones-Museum
Foto: Neue Visionen/ Martin Rottenkolber

Auf den Spuren der DDR-Vergangenheit

Heike Fink tappt gar nicht erst in die Falle, aus der Auseinandersetzung mit der DDR eine alberne, abgekapselte Travestienummer zu schustern, wie es etwa Leander Haußmann 2022 in seiner „Stasikomödie“ getan hat. Ihr „Olaf Jagger“ ist viel uneindeutiger, verunsichernder, was sich allein aus der doppelbödigen Form der Mockumentary ergibt. Fink vermengt Fiktion und Realität zu einem Rollenspiel, das sich in die Vergangenheit begibt, um zu einem Durchspielen einer alternativen Biographie in der Gegenwart zu gelangen.

Das beginnt als eindrucksvolle Ortsbegehung durch alte Ruinen, den Platz, an dem früher die Mutter einmal gesessen und gearbeitet haben soll, vorbei an heutigen Denkmälern, Infotafeln. Es geht an museale Orte. Das Vergangene inszeniert man öffentlich als überwundene Tatsache. Im Innern, in den Köpfen sieht das schon anders aus, egal ob es um einen Besuch bei dem DDR-Musiker Hartmut König oder die lebensgeschichtliche Zäsur des Protagonisten Olaf Schubert geht. Königs Wohnraum erscheint hier als ostalgische Erinnerungskammer. Man konserviert, was längst einer anderen Realität gewichen ist.

Solche Beobachtungen legen Prozesse offen, suchen nach Hinterlassenschaften eines Systems. Nicht frei von Ironie, aber mit teils erstaunlich bitterem Ernst! Und es ist im Kern Schuberts Spurensuche nach den eigenen Wurzeln, die zwar das Improvisatorische und den gewohnten Humor der Bühnengestalt übernimmt, aber zugleich in einen neuen Rahmen setzt, sie grübeln lässt, in ihrer Konstruktion befragt. „Olaf Jagger“ entwickelt sich damit zu einem gewitzten wie melancholischen Was-wäre-wenn. Welche Privilegien hätte man genießen können? Wie hätte eine Sozialisation parallel zum real existierenden Sozialismus aussehen können?

Olaf Schubert und Vater in "Olaf Jagger"
Foto: Neue Visionen/ Martin Rottenkolber

Alternative Identitäten, offene Enden

Ist es möglich, im fortgeschrittenen Alter noch einmal neu mit Herkunft, Familie und jener Sozialisation umzugehen? Sich einen neuen Habitus, ein neues Selbstinszenieren anzueignen? Welche Klischees und Ideale sind dafür nötig? „Olaf Jagger“ ist der Versuch, die historisch gewachsene und begründete Marginalisierung der eigenen Identität anders zu denken und sich ihrer zu bemächtigen. Ost- und Weststereotype kollidieren dabei in der persönlichen Alltags-Persona, die die Regisseurin in Konflikt und Austausch mit zahlreichen realen Persönlichkeiten und durchforstetem Archivmaterial treten lässt.

Bei alldem ist der gelungenste Schachzug, dass Heike Fink vor vermeintlich vollendeten Tatsachen und Erkenntnissen zurückschreckt. Ihr interessanter Beitrag zu aktuellen Diskursen rund um das Abwerten und Inszenieren des Ostdeutschen, wie sie jüngst etwa um die Streitschrift des Literaturwissenschaftlers Dirk Oschmann entbrannten, führt das Publikum bis zum Schluss aufs Glatteis, indem er sich seine ganz eigene Realität spinnt. Diese Fake-Doku besitzt sogar die Dreistigkeit, gleich mehrere Enden anzubieten. Aber welches davon ist nun die wahre Utopie? Aufsteigen oder Ausharren? Verwandeln, Aufarbeiten oder Schweigen?  

„Olaf Jagger“ läuft ab dem 6. April 2023 im Verleih von Neue Visionen in den deutschen Kinos.

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