„Ju-On: Origins“: Die verstörende neue Netflix-Serie hat das Zeug zum Horror-Hit

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Mit „Ju-On: Origins“ erscheint die erste japanische Netflix-Horrorserie, in der eine der berühmtesten Gruselfilm-Reihen aller Zeiten zu neuem Leben erweckt wird. Das Ergebnis ist nichts für schwache Nerven und könnte doch ausgerechnet alteingesessene Fans enttäuschen.

Mit den wenig originellen, aber immerhin effektiven Horrorserien „Spuk in Hill House“ und „Marianne“ konnte Netflix zuletzt für große Mundpropaganda sorgen. Bei „Ju-On: Origins“, dem nächsten potentiellen Horror-Erfolg, ließen die Vorzeichen hingegen wenig Gutes erahnen. Schließlich hat die „Ju-On“- beziehungsweise „The Grudge“-Saga ihre besten Jahre lange hinter sich (DF berichtete). Das vergeigte und an den Kinokassen gefloppte US-Reboot Anfang des Jahres war hier der finale Todesstoß.

Ganze 13 Filme umfasst die Horror-Reihe inzwischen, die 2000 in Japan ihren Anfang nahm. An den Erfolg einer weiteren Fortsetzung scheint Netflix selbst nicht zu glauben. Immerhin hält man es nicht einmal für nötig, die Serie prominent auf der Startseite der Plattform zu platzieren. Dabei ist „Ju-On: Origins“ das Beste, das die Reihe seit Jahren hervorgebracht hat. In der Serie zeigt sich nämlich das große Potential, wie die kultige Geisterhaus-Geschichte so zeitlos gruselig sein kann.

Zurück zu den Anfängen

Wie also einen Stoff wiederbeleben, der sich eigentlich längst in alten Erzählmustern verloren hat? Nun, indem man sich schlichtweg auf dessen Wurzeln besinnt. Zur Wiederholung: Wir befinden uns in einem Spukhaus in Tokyo, das seit einem Verbrechen von Rachegeistern heimgesucht wird. Jeder, der sich in das Haus verirrt, wird von dem todbringenden Fluch erfasst.“Ju-On: Origins“ springt nun in die 80er und 90er Jahre und zeigt die frühen Geschehnisse im Horrorhaus. Wer bei dem irreführenden Titel „Origins“ erwartet, einfach die bekannte Geburtsstunde des Fluchs noch einmal erleben zu können, wird schnell verwundert sein. Sho Miyakes Miniserie entpuppt sich eher als schwer durchschaubares Mysterium, das so einige Fragezeichen zurücklässt.

Bekanntes in neuem Licht

Es ist eigentlich alles da: die Geisterfrau, das bleiche Kind, Verbrechen, das finstere Haus. Und doch fühlt sich dieser neue „Ju-On“-Eintrag anders an. Ikonische Elemente und Bilder werden neu interpretiert oder schlicht ignoriert. Treue Fans der Reihe wird das wahrscheinlich vor den Kopf stoßen. Generell wurde der Stoff in dieser Serie weitgehend von allzu oberflächlichen Geisterbahneffekten befreit.

Natürlich wäre es leicht gewesen, ihn noch einmal als Aneinanderreihung abgegriffener Schocks zu inszenieren, wie in den amerikanischen „Grudge“-Adaptionen der Fall. Doch der konsequente Schlussstrich kommt zur richtigen Zeit! Wenn „Ju-On“ seine Geistergestalten auftauchen lässt, erinnert das eher an den subtilen Schrecken früherer J-Horror-Erfolge wie „Pulse“ oder „Ringu“. Alles viel unaufgeregter, finsterer, gezielter. Die Serie verschiebt den Fokus auf realen Schrecken, die Gespenster sind da nur noch konsequente Brandmale, die nicht mehr verschwinden wollen.

Hoher Blutzoll

Die Welt ist die Hölle in „Ju-On“. Alles ist dem Untergang geweiht, Familienglück weicht im nächsten Moment der Grausamkeit. Im Hintergrund laufen die TV-Nachrichten, auch hier wird nur von Katastrophen und Verbrechen berichtet. In jener Allgegenwärtigkeit des Todes liegt noch der cleverste Schachzug der Serie. Der Kern der Vorlage wird damit konsequent weitergesponnen. Vielleicht sind diese alten Spukhaus-Geschichten in ihrer Verortung ja längst überholt. Gewalt und Tod sind (besonders über neue Medien) dauerpräsent. Lebende und Tote sind in „Ju-On: Origins“ mitunter schon kaum noch zu unterscheiden. Sie können sich jederzeit und überall begegnen, wie es die verzweigte Erzählweise eindrücklich zeigt.

Die Serie ist dann in seinen Darstellungen von Mord, Vergewaltigung und häuslicher Gewalt verstörend grafisch. Unter all der konstruierten Geheimniskrämerei verbrigt sich inhaltlich aber auch nicht viel mehr als besagte Misanthropie, die man schon aus den bisherigen Teilen kennt. Verschwurbelte Selbstüberschätzung war schon immer das große Problem der „Ju-On“-Reihe. Ja, spätestens seit „Dark“ ist es offenbar wieder in Mode, Zuschauer mit Zettel und Stift vor den TV-Geräten rätseln zu lassen. Doch „Ju-On: Origins“ scheint mehr an möglichst komplizierter Verschachtelung interessiert, anstatt seinen eigentlichen Plot und sein ausuferndes Figurenensemble mit Leben zu füllen.

Rätselraten angesagt!

Anstatt das Serienformat für die ohnehin schon episodische Erzählstruktur zu nutzen, fühlt sich „Ju-On“ mit seinen knapp drei Stunden eher wie ein einziger verwirrender Film an. Die ersten „Ending Explained“-Videos dürften auf YouTube nicht lange auf sich warten lassen! Doch kommt unter den entwirrten Erzählfäden irgendwann wirklich mehr zum Vorschein als das übliche Horror-Einmaleins? Spukhäuser eignen sich eben besonders gut, Weltschmerz, zerbrechende Familien, Traumata und menschliche Ur-Ängste abzubilden. Das ist nun wirklich keine Innovation mehr.

Andererseits ist es nun einmal so mit den Ritualen des Genrekinos. Ab und an braucht es diese Formeln, um sich mit dem Abgründigen auseinanderzusetzen. „Ju-On: Origins“ zeigt seine Heimsuchungen mit einer überraschend ernst zu nehmenden Drastik. Insofern können Horrorfans beruhigt sein: Eine beklemmende Wirkung kann man der widerspenstigen Gruselhaus-Tour trotz all der Ratlosigkeit, die sie hervorruft, nicht absprechen. Die Horrorserie holt mit einer cleveren Inszenierung sein ausgelutschtes Franchise erfolgreich aus dem Reich der Toten zurück. Wenngleich man nach der letzten Folge mäßig schlauer ist als zuvor. Da geht noch was!

Alle sechs Episoden von „JU-ON: Origins“ sind seit dem 3. Juli bei Netflix verfügbar.

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