
Nach vorläufiger Auffassung der Behörde könnte ein Missbrauch nach den besonderen Vorschriften für große Digitalunternehmen (§ 19a Abs. 2 GWB) sowie ein Verstoß gegen die allgemeinen Missbrauchsvorschriften des § 19 GWB und Artikel 102 AEUV vorliegen.
Seine Einschätzung zur Einflussnahme auf die Preise der Marktplatzhändler auf dem Amazon Marketplace sowie der Marketplace-Richtlinie zur angemessenen Preisgestaltung an die Amazon.com Inc., Seattle, USA, und die Amazon EU S.à r.l., Luxemburg (gemeinsam im Folgenden „Amazon“), hat heute das Bundeskartellamt übersandt. Händler, die ihre Angebote auf der Handelsplattform anbieten, sollen bestimmte vorgegebene Preisgrenzen nicht überschreiten. Darin könnte nach vorläufiger Auffassung ein Missbrauch nach den besonderen Vorschriften für große Digitalunternehmen (§ 19a Abs. 2 GWB) sowie ein Verstoß gegen die allgemeinen Missbrauchsvorschriften des § 19 GWB und Artikel 102 AEUV liegen.
Amazon hat jetzt Gelegenheit zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Der Wettbewerb im Onlinehandel in Deutschland wird zu einem großen Anteil durch Amazons Regeln für die Handelsplattform bestimmt. Da Amazon auf ihrer Plattform in den direkten Wettbewerb zu den übrigen Marktplatzhändlern tritt, ist eine Einflussnahme auf die Preisgestaltung der Wettbewerber auch in Form von Preisobergrenzen grundsätzlich wettbewerblich bedenklich. Dies gilt insbesondere dann, wenn die betroffenen Händler ihre eigenen Kosten nicht mehr decken können und die Handelsplattform in kartellrechtswidriger Weise zur Behinderung des restlichen Onlinehandels eingesetzt wird.“
Im Fokus: Drei Preiskontrollmechanismen
Amazon setzt zur Überprüfung der Preise Kontrollmechanismen ein. Wenn diese Mechanismen die Händlerpreise als zu hoch bewerten, werden die entsprechenden Angebote entweder ganz vom Marktplatz entfernt oder werden nicht im hervorgehobenen Einkaufsfeld angezeigt. Die Angebote erfahren zudem weitere Einschränkungen bei der Darstellung, z. B. in der Suchergebnisliste. Mundt: „Für unsere vorläufige Einschätzung hat es auch eine Rolle gespielt, dass die Parameter der eingesetzten Preiskontrollmechanismen im freien Ermessen von Amazon stehen und die Preisgrenzen für Marktplatzhändler nicht transparent sind.“
Nach ihrer sogenannten Marketplace-Richtlinie zur angemessenen Preisgestaltung überprüft Amazon regelmäßig die Preise der Händler auf dem Amazon-Marktplatz. Amazon nutzt hierfür verschiedene Algorithmen und statistische Modelle, die auf unterschiedliche Preise und Preisbestandteile von aktuellen oder früheren Angeboten auf Amazon und von externen Wettbewerbern zurückgreifen und dynamische, wechselnde Preisobergrenzen für Händlerangebote berechnen. Amazon nennt dabei drei verschiedene Kategorien.
Sichtbarkeit von Händlerangeboten eingeschränkt
Die Kategorie sogenannter „Preisfehler“ führt zu einer Entfernung des Angebots vom Marktplatz. Die Kategorien „zu hohe Preise“ und „nicht wettbewerbsfähige Preise“ führen zu einem Ausschluss von der Darstellung im hervorgehobenen Einkaufsfeld („Buy Box“), zu weiteren Einschränkungen der Darstellung in der Suchergebnisliste sowie zum möglichen Ausschluss von Werbung auf Amazon. Dabei ist es möglich, dass bei einem Produkt gar kein Einkaufsfeld erscheint, weil kein Händler die Preisobergrenzen von Amazon einhält. Kommt es zu solchen Einschränkungen, erhalten die betroffenen Händler eine Nachricht, in der sie zu einer Anpassung der Preise an Referenzpreise aufgefordert werden, die Amazon für angemessen hält.
Diese Mechanismen schränken die Sichtbarkeit von Händlerangeboten ein und greifen auf der Grundlage von intransparenten Marktplatzregeln in die Preisgestaltungsfreiheit der Händler ein. Die Einschränkungen sind nach gegenwärtiger Einschätzung unangemessen und sachlich nicht gerechtfertigt. Dieses Verhalten stellt nach vorläufiger Auffassung des Bundeskartellamtes einen Missbrauch nach § 19a Abs. 2 GWB dar, der besondere Vorschriften für große Digitalunternehmen vorsieht, und verstößt außerdem gegen die allgemeinen Missbrauchsvorschriften des § 19 GWB und Artikels 102 AEUV.
Folgende Punkte sind problematisch:
- Der Eingriff in die Sichtbarkeit der Händlerangebote anhand von im freien Ermessen von Amazon stehenden, häufig wechselnden Preisgrenzen könnte den Wettbewerbsprozess auf dem Marktplatz beschränken. Diese Beschränkungen folgen nach gegenwärtiger Einschätzung keinen objektiven, überprüfbaren Grundsätzen und werden in der Marketplace-Richtlinie und der Kommunikation von Amazon mit den Dritthändlern nicht ausreichend transparent gemacht.
- Mit den Preiskontrollmechanismen könnte Amazon außerdem in die Preisgestaltungsfreiheit der Marktplatzhändler in einer Weise eingreifen, die nach gegenwärtigem Stand der Beurteilung eine Konzentrationswirkung auf dem Marktplatz zur Folge haben kann. Denn durch strenge Preisgrenzen können Händler häufig ihre Kosten nicht mehr decken, sodass die Gefahr besteht, dass sie vom Marktplatz verdrängt werden.
- Die Preiskontrollmechanismen von Amazon als Wettbewerber der Marktplatzhändler könnten nach derzeitiger Einschätzung des Bundeskartellamtes der Koordinierung der Marktplatzpreise anhand der eigenen, von anderen Onlinehändlern kaum nachzubildenden Preiskalkulationsgrundsätze und -vorstellungen von Amazon dienen und als einheitliche Preisstrategie der Handelsplattform zulasten des übrigen Onlinehandels gehen. Dabei könnte sich insbesondere die Praxis von Amazon, den niedrigsten beobachteten externen Preis im Onlinehandel auf der gesamten Handelsplattform systematisch nachzuvollziehen, als hohe Wechselhürde auswirken und den übrigen Onlinehandel von Preisvorstößen und damit niedrigeren Preisen abschrecken.
Die vorläufige Einschätzung des Bundeskartellamtes beruht auf intensiven Ermittlungen, zu denen auch eine große Händlerbefragung gehörte (siehe Meldung vom 2. September 2024). Im Juli 2022 hatte das Bundeskartellamt festgestellt, dass Amazon über eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb verfügt und deshalb der erweiterten Missbrauchsaufsicht des § 19a GWB unterliegt (siehe Pressemitteilung vom 6. Juli 2022). Diese Entscheidung hat der Bundesgerichtshof im April 2024 bestätigt. Das Bundeskartellamt führt im Anschluss an diese Feststellung das vorliegende Verfahren auch nach § 19a Abs. 2 GWB (siehe Pressemitteilung vom 14. November 2022).
Amazon sieht sich im Recht
Eine Amazon-Sprecherin sagte gegenüber der Deutschen Presseagentur, man sei mit der Einschätzung des Kartellamts in keiner Weise einverstanden. Man unterstütze mehr als 47.500 deutsche Verkaufspartner „durch klare und faire Richtlinien, die für alle Angebote in unserem Store gelten“. Kleine und mittelständische Unternehmen, die über Amazon verkaufen, böten Kunden eine große Produktauswahl an – und sie legten ihre Preise frei und unabhängig fest.
Die Sprecherin fügte hinzu, dass Amazon keine Preise fördern wolle, die nicht wettbewerbsfähig seien. „Dies würde das Vertrauen unserer Kunden in das Einkaufserlebnis und den Erfolg unserer Verkaufspartner beeinträchtigen.“ Amazon zu zwingen, Kunden auf Amazon.de „überteuerte Waren“ anzubieten, würde unter anderem etablierte Einzelhandelspraktiken infrage stellen, von denen bis heute Millionen Kunden profitierten.
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Bildquelle:
- amazon-app-logo: Amazon