„Tagesschau“-Revolution: Woran im Hintergrund gearbeitet wird

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Tagesschau
Foto: NDR / Thorsten Jander

Wird 20:30 Uhr bald das neue 20:15 Uhr? Die ARD arbeitet hinter den Kulissen und mit ersten Off-Air-Tests an einem Umbau seiner Traditionsmarke „Tagesschau“. Fix ist nix. Aber sollte man sich für die Revolution entscheiden, könnte das Folgen für alle Sender haben.

ARD-aktuell, innerhalb der ARD für die Traditionsmarke „Tagesschau“ zuständig, arbeitet seit Wochen und Monaten an einem Umbau seiner 20-Uhr-Tagesschau. „Medieninsider“ berichtet über die Pläne, auch DIGITAL FERNSEHEN liegen entsprechende Informationen vor. Die derzeitigen Überlegungen sehen vor, die tägliche „Tagesschau“ von 15 auf 30 Minuten Sendezeit zu verlängern. In dieser Woche sollen erste Testsendungen aufgezeichnet und später dann ausgewertet werden. Die Forderung, die etwas angestaubte „Tagesschau“ grundlegend zu reformieren, gibt es schon länger. Die Argumentation bezieht sich dabei auf das veränderte Informationsbedürfnis – anders als noch vor Jahrzehnten wünschen sich Nutzerinnen und Nutzer heute mehr Erklärung, Einordnung und Vertiefung. Die „Tagesschau“ hat dafür meist nicht genug Zeit. „Tagesthemen“ und „heute-journal“, in Teilen aber auch die 19-Uhr-„heute“-Sendung, machen das anders.

Auch im Ausland, etwa bei der BBC, stehen den wichtigsten Nachrichtensendungen mehr als 15 Minuten zur Verfügung. Da eine Vorverlegung der „Tagesschau“, etwa auf 19.45 Uhr, dem Vermarkter ARD Media in die Parade fahren würde (die meisten Einnahmen lassen sich kurz vor 20 Uhr erzielen), scheint eine Ausweitung bis 20:30 Uhr die logische Konsequenz zu sein. Fürsprecher des Plans finden auch daran Gefallen, dass das Programmschema somit wieder glattgezogen wäre. Die Primetime-Programme würden dann künftig fest um halb neun starten, nach Filmen wäre 22 Uhr der nächste Startpunkt, für die „Tagesthemen“ ginge es im Normalfall um 22:30 Uhr los – „Maischberger“ könnte um 23 Uhr starten.

„Tagesschau“ ist ein Publikumsmagnet

Auf Anfrage von DIGITAL FERNSEHEN gibt sich Das Erste dazu noch verschwiegen. Es heißt: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns zu programmstrategischen Überlegungen sowie redaktionellen Planungen und internen Abstimmungsprozessen grundsätzlich nicht öffentlich äußern.“ Dabei sind die Überlegungen der ARD auch für alle anderen Sender höchst relevant. Verlaufskurven zeigen, dass das Ende der „Tagesschau“ um 20:15 Uhr einen der deutlichsten Umschaltreflexe auslöst. Um 20:15 Uhr verteilt sich das Publikum auf die jeweiligen Primetime-Programme. Wegen der 15 Minuten langen „Tagesschau“ hat Deutschland international ohnehin die Sonderstellung, dass das abendliche Fernsehen zur leicht krummen Uhrzeit „Viertel nach“ beginnt – und eben nicht zur vollen Stunde.

Verlaufskurven belegen zudem die enorme Popularität der „Tagesschau“, die auch während der linearen Ausstrahlung jeweils noch Publikum hinzugewinnt. 9,6 Millionen Menschen schauten die 20-Uhr-„Tagesschau“ ARD-Angaben zufolge im Jahr 2024 – nicht nur im Ersten, sondern auch auf einigen Dritten, die die Sendung parallel ausstrahlen. Etwa 40 Prozent der zu der Zeit fernsehenden Menschen lassen die „Tagesschau“ laufen. Mit einem „Tagesschau“-Ende wären ARD-Mitbewerber plötzlich mit der äußerst kniffligen Frage konfrontiert, wie viel Sinn es macht, seine Primetime-Programme auch künftig um 20:15 Uhr zu starten.

Was für 20:30 Uhr als Primetime-Start spricht – und was nicht

Für einen späteren Primetime-Beginn, egal ob bei Privaten, dem ZDF und insbesondere in der ARD, sprechen auch andere Faktoren. Anders als noch in den 80ern oder 90ern hat sich der Tagesverlauf vieler Beschäftigter etwas nach hinten verschoben. Das liegt unter anderem auch an den Ladenöffnungszeiten. Wurde früher um 18 Uhr zugesperrt, haben viele Geschäfte inzwischen bis 20 Uhr geöffnet – in großen Städten teils sogar bis 22 Uhr. Für all diejeninigen, die also länger als 18 Uhr arbeiten, wäre ein verspäteter Primetime-Beginn von Vorteil – und vielleicht auch eine Chance, Publikum vom Stream ins Lineare zurückzugewinnen.

Und die „Tagesschau“? Würde die zusätzliche Sendezeit, so ist zu hören, gerne für Vertiefung nutzen – und mit der Entscheidung deutlich machen, dass man die Rundfunkgebühren vor allem auch für verlässliche und qualitativ hochwertige Information nutze. Die weiterhin komplizierte Weltlage mit vielen Konflikten in einer politisch hochspannenden Zeit ist ein weiteres Argument für eine Verlängerung der „Tagesschau“. Dagegen spricht freilich der Bruch mit der jahrzehntelangen Tradition. Ob die derzeitigen Pläne in die Tat umgesetzt werden, soll sich vermutlich in der zweiten Jahreshälfte entscheiden.

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24 Kommentare im Forum
  1. Oder es werden zwei Ausgaben der Tagesschau produziert, z. B. eine viertelstündige für das Erste und eine halbstündige für die dritten Programme. Es gab schon Fällen, in denen zeitlich parallel zwei verschiedene viertelstündige Versionen um 20 Uhr liefen.
  2. Das hätte massive Auswirkungen, selbst das Fernsehen in Österreich benutzt 20h15 Die Privatsender werden nachziehen müssen Warum? Volle Stunde, Volles Programm eines der grössten Fehlentscheidungen der Fernsehgeschichte, als Sat1 und Pro Sieben die Primetime auf 20 h setzten
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