„Die Fabelmans“: Steven Spielberg gelingt ein spätes Meisterwerk

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Die Fabelmans im Kino
© Storyteller Distribution Co., LLC. All Rights Reserved.

Hollywood-Legende Steven Spielberg erzählt in „Die Fabelmans“ von seiner eigenen Kindheit und Kino-Vision. Es ist einer seiner stärksten Filme.

Mit einem waghalsigen Stunt fängt alles an: Der kleine Sammy Fabelman sitzt zum ersten Mal in einem Kino und sieht, wie auf der Leinwand ein Auto von einem Zug erfasst wird. Ein Modell wirbelt durch die Luft, schlägt krachend auf dem Boden auf, das Publikum hält den Atem an. Sammy wird dieses Bild den Schlaf rauben, es wird sein Leben verändern. Ein Filmfan ist geboren, der Junge kann bald nicht die Finger vom Medium lassen und beginnt, eigene Kurzfilme zu drehen. Und so begibt sich Regisseur Steven Spielberg auf eine rund zweieinhalbstündige Zeitreise, die auf autofiktionale Weise die eigene Kindheit in den 1950er Jahren beleuchtet.

„Die Fabelmans“ ist ein konsequenter Schritt in der Filmographie

Natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis Spielberg einen solchen Film drehen würde. Immer wieder haben die Größen der Branche auf ihr eigenes Leben und Denken Rückschau gehalten. Das ging gerade jüngst oftmals schief, Alejandro González Iñárritus „Bardo“ zeugt davon oder auch Kenneth Branaghs träger Coming-of-Age-Film „Belfast„. Manchmal gelingt es aber auch, wie im Falle von „Die Fabelmans“. Spielberg hat die Populärkultur geprägt wie nur wenige andere neben ihm. „E.T.“, „Der weiße Hai“, „Jäger des verlorenen Schatzes“ oder „Jurassic Park“ schrieben Filmgeschichte, sein Drama „Schindlers Liste“ gilt bis heute als einer der prominentesten wie umstrittensten Filme über den Holocaust. Und er hat über die Jahre wenig von seinem Können verloren.

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Steven Spielberg ist der Ehrenbär-Preisträger der Berlinale 2023

Im Rahmen der 73. Berlinale wurde der Regisseur mit dem Goldenen Ehrenbär für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Er sei noch nicht fertig, betonte Spielberg während seiner Dankesrede. An den Ruhestand scheint der Künstler noch nicht zu denken. Warum auch? Allein die Vorführung von „Die Fabelmans“ im Anschluss an die Preisverleihung hat bewiesen, dass Spielberg immer noch voller Kreativität, Überwältigungskraft und Ideen steckt.

Es ist schlicht beeindruckend, wie dieses neue Werk einen vollen Berlinale Palast, besetzt durch alle Altersklassen hinweg, um den Finger wickeln kann. Zu vernehmen anhand der unzähligen lauten Lacher, aber auch der Schluchzer, die „Die Fabelmans“ seinem Publikum entlockt. Spielberg dreht Blockbuster in Perfektion. Er hat die großen, massentauglichen Kino-Emotionen noch nicht verlernt, sowohl in den großen Momenten, die ihre ganze technische Raffinesse ausstellen, als auch in den kleinen, intimen Momenten, in denen sich zwei Menschen in einem Zimmer begegnen.

Lernen, das Verborgene zu sehen

Sein Drama erzählt vom Ende der Kindheit, dem Verlust der heilen Familienidylle, aber auch der Geburt eines Künstlergenies. Eine gewisse Eitelkeit und Selbstherrlichkeit schwingt bei solchen Projekten immer mit. Spielberg setzt sich hier selbst ein Denkmal, bedient dabei viele konventionelle Formen und Mechanismen des Coming-of-Age-Kinos. Konflikte in der Schule, die erste Liebe, die Trennung der Eltern, die ambivalente Beziehung zur Mutter (großartig: Michelle Williams) oder auch der Einstieg in das Berufsleben werden da stationenartig aneinandergereiht. Und doch reicht „Die Fabelmans“ immer wieder über das reine Familiendrama und Zeitkolorit hinaus. Spielberg hat hier sein Verständnis von Kino auf bezaubernde Weise auf die Leinwand gebracht.

Allein die erste Hälfte des Films steckt voller herausragender Momente über das Entstehen einer kinematographischen Wirklichkeit. Spielberg schafft es, sein Publikum einen filmischen Blick auf die Welt zu hinterfragen und nachvollziehen zu lernen. Aus Realität wird Fiktion wird eine neue Realität. „Die Fabelmans“ bricht dafür immer wieder die eigene Fiktionsebene auf, um sich selbst in seiner Illusionsbildung auf den Zahn zu fühlen. Es geht darum, das in den Fokus zu rücken, was dem alltäglichen Auge verborgen bleibt. Nur der Apparat kann eine solche Wahrheit offenlegen. Filmtheorie zum Erleben!

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Spielbergs stärkster Film seit Jahren

Warum das alles überhaupt? Na klar, um mit den erfahrenen Krisen des unmittelbaren Alltags und der Welt fertig zu werden. Der junge Sammy (Gabriel LaBelle) muss sich im einmal für die blutigen Gewaltdarstellungen in seinen Kriegsfilmen verantworten. Ganz einfach: Weil sie helfen, ihren eigenen Schrecken zu überwinden. Den Kopf in ein Löwenmaul zu stecken, sei einfach nur mutig, erklärt Sammys kauziger Onkel, ein Zirkusdompteur. Die Kunst bestehe darin, sich nicht den Kopf abbeißen zu lassen. Umwerfend stilvolle und verblüffende Bilder findet Spielberg, um solche Prozesse und Pointen in Szene zu setzen. Und wenn es nur das Loch in einem Notenblatt ist, das die nächste Idee freisetzt.

Jedes noch so banale Ereignis kann zugleich einen Zauber entfalten, kann zur gewaltigen Kinoerfahrung führen, immer auf der Suche, sich selbst im Strom der Zeit zu konservieren. Und das Hässliche kann in der überlebensgroßen Darstellung in das Schöne oder aber in eine Waffe verwandelt werden. Wie viele abgedroschene Liebesbriefe an die Kunst des Filmemachens kann das Kino noch vertragen, bevor es sich mit ihnen selbst zerstört? Nun, Steven Spielberg hat diesen Moment mit seinem wunderbaren Drama zum Glück noch einmal hinausgezögert. Nach mittelmäßigen Werken wie „West Side Story“ oder „Die Verlegerin“ gelingt ihm mit „Die Fabelmans“ sein stärkster Film seit Jahren.

„Die Fabelmans“ feierte seine Deutschlandpremiere im Rahmen der 73. Internationalen Filmfestspiele Berlin und startet am 9. März 2023 bundesweit in den Kinos. Der Film ist für sieben Oscars nominiert.

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