„Roter Himmel“ von Christian Petzold: Überragende ZDF/Arte-Koproduktion

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Foto: Christian Schulz, Schramm Film

Christian Petzold („Transit„) hat mit der ZDF/Arte-Koproduktion „Roter Himmel“ eine meisterhafte Sommerromanze inszeniert. Auf der Berlinale gab es dafür den Großen Preis der Jury.

Er ist einfach einer der stärksten zeitgenössischen deutschen Filmemacher. Nicht jeden Film von Christian Petzold mag man ein Meisterwerk nennen, sehenswert und herausragend sind sie jedoch alle. Sein neues Werk „Roter Himmel“, das diese Woche auf der Berlinale seine Weltpremiere feierte und dort mit dem großen Preis der Jury bedacht wurde, ist ein zutiefst atmosphärischer Sommerfilm, eine leidenschaftliche Romanze, eine lockere Komödie, ein melancholischer Film über das Erzählen.

Wieder zieht es Petzold dafür in sagenhafte Landschaften, wo Getier und Gewächse Unbehagliches ankündigen, wo Mythisches zu Gange ist, wo Verdrängtes umherspukt. Das Motiv der Heimsuchung und des Gespenstischen hat der Regisseur immer wieder in seinen Filmen verhandelt. Dieses Mal zeigt es sich in vielerlei Gestalt. Nur den Fokus auf natürliche Elemente hat er dabei ein Stück weit verschoben: Nachdem seine „Undine“ zuletzt den Sagenstoff der gleichnamigen Wasserfrau in das Berlin der Gegenwart verlagerte, geht es dieses Mal in lodernde Flammen. Die Bäume brennen, der Himmel färbt sich, Asche regnet herab. Petzold lässt seine Figuren auf die Apokalypse zusteuern.

Thomas Schubert und Paula Beer in "Roter Himmel"
Foto: Christian Schulz, Schramm Film

„Roter Himmel“ erzählt von einer scheiternden Sommerliebe

An der Ostsee treffen vier junge Menschen in einem Ferienhaus aufeinander. Thomas Schubert („Axiom„) spielt Leon, den zentralen Protagonisten, einen Schriftsteller. Ihm bleibt nur noch wenig Zeit, bis sein Lektor auftauchen wird, um seinen neuen Roman unter die Lupe zu nehmen. Doch die Liebe kommt ihm dazwischen, eine Schreibblockade bahnt sich an: Im Ferienhaus wohnt bereits die Eisverkäuferin Nadja (Paula Beer), in die er sich verguckt. Nur, die Arbeit treibt einen Keil zwischen die beiden. Der Druck der Produktivität nimmt alle in Beschlag und die Waldbrände in der Umgebung werden immer bedrohlicher.

In Petzolds Film wird dieses Naturschauspiel nicht nur zum Sinnbild einer allgegenwärtigen, verdrängten Umweltkatastrophe, sondern auch der angestauten zwischenmenschlichen Konflikte, die sich irgendwann entladen werden. „Roter Himmel“ beobachtet ein tragikomisches Scheitern am neoliberalen Konkurrenzdenken. Immer Leistung erbringen, immer kreativ und tüchtig sein, die Triebe nur so weit ausleben, wie sie die Arbeit nicht stören. Einmal wird Leon von Nadja zu einem Ausflug ans Meer eingeladen. Es soll leuchten heute Nacht. Doch auch das geht nicht, der Schreibtisch ruft.

Thomas Schubert begeistert in der Hauptrolle

Oder ist dieser Leon einfach nur ein fürchterlicher Narzisst, der es sich auf tölpelhafte Weise mit jedem verscherzt? Egozentrisch kreist er um sich selbst, geht abwechselnd in Abwehr- und Angriffshaltung. Und doch kann man ihn verstehen, das ist die große Stärke von Christian Petzolds fabelhaften Dialogen und seiner nuancierten Regiearbeit. Der Druck, begehrenswert zu sein, immer besser als die anderen zu sein, er lastet auf den Schultern seines Protagonisten.

Zugleich ist „Roter Himmel“ kein Film, der daraus ein tristes Sozialdrama stricken würde. Nein, das ist eine sommerlich leichte Komödie mit wunderbaren Pointen, die jederzeit das Lachen, Schämen und Fürchten in sich vereinen. Bis irgendwann die Tragödie beginnt und das ist der große finale Coup von Petzolds romantischem Drama. Langsam schleicht sich die Melancholie in die sonnendurchfluteten Bilder, die von der hypnotischen Musik der Wallners gerahmt werden. „Roter Himmel“ lässt das Unheil über seine Figuren hereinbrechen, die selbiges in ihren Warnzeichen wahrscheinlich zu lange ignoriert haben. Und er findet dafür eine Form, mit der eigenen Fiktion zu spielen.

Thomas Schubert in "Roter Himmel"
Foto: Christian Schulz, Schramm Film

Ein Film über das Erzählen

Spätestens wenn sich eine literarische Erzählerstimme einschaltet, begibt sich Petzolds Film auf die nächste Ebene. Wo schon zuvor Heinrich Heine und Uwe Johnson als literarische Referenzen durch den Film geistern, steht nun plötzlich die Frage nach Ethik und Moral der Narration an sich im Vordergrund, auch der filmischen. Welches Recht hat der Autor am Unheil anderer? Welche Wahrheit über sich und die Welt inszeniert er in seinem Werk? Wie erzählen wir uns Katastrophen, egal welcher Art? Welche (sprachlichen) Bilder finden wir für sie?

Es gibt wenige deutsche Filmemacher, die so hingebungsvoll und mitreißend zwischen intellektuellem Diskurs, kunstgeschichtlichen Bezügen und höchster, einnehmender Sinnlichkeit, zwischen schnörkellos realistischem Drama und fantastischen Motiven wandeln können. Vor allem ist Petzold ein Regisseur, dem es gelingt, im Laufe seiner Karriere mit seinen Filmen zugänglicher zu werden, ohne dabei auf seine klugen Ideen und Formeln verzichten zu müssen. Eines der ersten großen Highlights des Kinojahres.

„Roter Himmel“ feierte seine Weltpremiere im Wettbewerb der 73. Berlinale und startet am 20. April 2023 im Verleih von Piffl Medien in den deutschen Kinos.

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