Postkoitale Langeweile – „365 Days: Dieser Tag“ bei Netflix

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Mit „365 Days: Dieser Tag“ geht der hauseigene „Fifty Shades of Grey“-Abklatsch von Netflix weiter. Nach dem oft kritisierten ersten Teil ist keine Besserung erkennbar.

Die Fortsetzung von „365 Days“ packt ein sehr verstörendes Thema an: Sex auf Golfplätzen. Der potente, gestriegelte italienische Hengst ist gerade dabei, mit einem letzten Schlag den Ball im Loch zu versenken, da tapst die Geliebte im weißen Röckchen auf den Rasen, räkelt sich vor dem Ziel und spreizt lasziv die Schenkel. Ein kurzer Schlag, der Ball kullert über den Boden – und eingelocht. Im nächsten Moment dieses filmgewordenen Groschen-Bumsromans planschen beide im Wasser und reiten auf Pferden in den Sonnenuntergang, als befände man sich in einem Werbespot für die neue „Apassionata“-Show.

Laura (Anna Maria Sieklucka) und Massimo (Michele Morrone) genießen die traute Zweisamkeit und das Publikum hat viel zum Lachen. Allzu Hirnrissiges gibt es in den ersten Minuten ihrer Romanze zu erleben! Doch sie besitzt einen gewissen Schauwert, diese grenzenlose Albernheit, mit der „365 Days“ seine beiden Hauptfiguren in einer wilden Vögelei nach der anderen zeigt, um letztlich in purer Erschöpfung zu versinken. Zwischendrin geht es durch luxuriöse Interieurs und lichtgeflutete Landschaften, während der Kuschelpop im Hintergrund einen Song an den anderen reiht.

Die überbordende Werbe-Ästhetik wurde bereits genannt, wenigstens in der Hinsicht beweist dieser Softcore-Erotikstreifen Varianz. Man wähnt sich in einer auf Spielfilmlänge gedehnten Privatfernsehen-Werbepause: Hier wird für Eis geworben, dort fährt man ein teures Auto zur Schau, dann geht es weiter zu neuen Düften für den modernen Herrn und die moderne Dame. Alles ist erneut künstliche Fassade in diesem Film, übernatürliche Schönheit, tote Makellosigkeit – man kennt das bereits aus dem ersten Teil. Jede Figur, jeder Schauplatz, jede Kamerabewegung erscheint gänzlich pornographisiert, während die behaupteten Gefühle als klappriges Plot-Vehikel für eine Reihe von Oberflächenreizen dienen sollen.

Teil 3 ist bereits angekündigt

Ihre Menschen haben die „365 Days“ schon im Auftakt aus dem Jahr 2020 als klinisch observiertes Fleisch verkauft, jetzt werden auch noch letzte Reste einer Erzählung feilgeboten. Ob man den Vorgänger gesehen hat oder nicht, spielt im Grunde keine Rolle. „365 Days – Dieser Tag“ setzt ohnehin neu an, Leerstellen zwischen den Filmen werden auf einfallslose Weise abgefrühstückt. Das erste Drittel dieser Romanze kopuliert sich allein um den Verstand.

Zur Erinnerung: Laura wurde vom Mafioso Massimo entführt. Er gab ihr ein Jahr Zeit, sich in ihn zu verlieben und so sollte es natürlich kommen. Was ebenso folgte, war der weltweite Shitstorm, der sich über der romantisierten Missbrauchsgeschichte entlud. Selbstverständlich befeuerte das die Mundpropaganda nur noch weiter, der Film hielt sich wacker in den Netflix-Charts und so warten nun weitere Romanvorlagen der polnischen Autorin Blanka Lipińska auf ihre filmische Adaption.

Fitness-Sex im Neonlicht

Für Erotik interessiert sich auch Teil 2 kaum, ihm geht es – man muss hier zwangsweise diesen drastischen Begriff gebrauchen – um das Ficken. Weil Netflix allerdings von dem Shitstorm und der harschen internationalen Kritik Notiz genommen hat, wird nun alles etwas in den Mantel der Emanzipation gehüllt. Laura übernimmt das Ruder, präsentiert sich als sexpositive Frau, die ihren Massimo auch einmal selbst um den Finger wickelt und sich ihm als „Geschenk“ darbringt.

In dem daran anschließenden, im Schnitt abstrus zerhackstückelten und mit aufpeitschender Musik unterlegten Akt zwischen Vibrator und Doggystyle weiß man nicht mehr, ob die Gesichter vor Lust oder Anstrengung verzerrt sind. Ob man hier noch in einem Sexfilm unterwegs ist oder schon das nächste selbstertüchtigende Fitnessvideo von durchtrainierten Coaches auf YouTube läuft. So oder so: Diese Sexfantasie feiert allein das Mechanische, an ihrem missbräuchlichen Subtext hat sich ebenso kaum etwas verändert.

Von BDSM zur Familienplanung

Interessant erscheint derweil, dass es nach dem ausschweifenden ersten Drittel vor allem darum geht, jenes Ausschweifende, Exzessive, vermeintlich Anrüchige, das gerade auch dem Vorgänger mit seinen Sado-Maso-Szenarien innewohnte, zu zähmen, zu moralisieren. In diesem Zusammenhang erweisen sich die „365 Days“ erneut als enge Verwandte der „Fifty Shades of Grey“-Reihe, welche sich mit ihrem zweiten Teil ebenfalls zur reinen Schmuse-Seifenoper wandelte, in der sich die Dramen von der sexuellen Grenzverschiebung hin zu Nebenbuhlern, Eheproblemen und Kinderkriegen hangelten.

So palavert und menschelt „365 Days“ ein wenig von Kommunikationsproblemen, Verletzung und Familie. Später geht es um eine hanebüchen konstruierte Intrige rund um einen Seitensprung. Laura begibt sich in die Arme des angestellten Gärtners (Simone Susinna), der natürlich ebenfalls wie ein muskelbepacktes Calvin-Klein-Model auf der Bildfläche erscheint. Surfen kann er auch noch! Die Zeitlupen-Bilder können sich kaum sattsehen an diesem Heldenkörper im hautengem Neopren. Man sehnt sich mittlerweile nach dem scheinbar einfachen Leben in all den überinszenierten, künstlichen Protz-Milieus und mafiösen Geschäften, nur um eine weitere Kehrtwende zu unternehmen.

Leeres Gaffen vor dem Fernseher

Ein Erzählmuster zeichnet sich nach zwei Filmen immerhin offen ab: Da finden sich zwei Persönlichkeiten, um ausgiebig in der Kiste zu landen, danach ein wenig über Emanzipation zu grübeln, nur um am Ende die Frau dennoch mit Qualen zu bestrafen und das Publikum auf eine Fortsetzung zu vertrösten. „Dieser Tag“ ist nicht weniger sexistisch und entseelt in seiner Erzählkonstruktion, nicht minder peinlich in all der Ironielosigkeit. Es handelt sich um die ultimative Entkernung, die man mit einem Film noch vornehmen kann.

Demonstrieren, Darstellen, Erfahren verkommt zur bloßen Hintergrundbeschallung, die über den Bildschirm flimmert, während ihre Konsumenten derweil den Abwasch erledigen, ein Buch lesen, verträumt aus dem Fenster schauen oder soziale Netzwerke durchscrollen können. Dieser kalkulierende Geist wohnt „365 Days“ inne. Kurze Blicke zwischendurch, die man auf den Film wirft, sollen ausreichen, um ihn in seinen bloßen Schlagworten, Eindrücken und Empfindungen zu erfassen.

Etwas wahrlich zu besprechen gibt es ohnehin kaum in diesem Streaming-Machwerk, die Songs im Dauer-Shuffle übernehmen alle Arbeit. Wenn es denn wenigstens ein echtes Musical wäre! „365 Days“ nähert sich der Gestaltung eines langen Musikvideos an oder einer musikalisch unterlegten, mit Filter überkleisterten Social-Media-Story aus dem Sommerurlaub. Alles ist Gefühlsteppich ohne Gefühl, alles verschwimmt in purer Zerstreuung: Am Ende dieser 100 Minuten haben sich auch Beziehungen zersetzt, selbst zum Sex hat niemand mehr Lust, die Libido ist verendet und der letzte Rest Leben blutet auf den Boden.  

„365 Days: Dieser Tag“ ist seit dem 27. April bei Netflix zum Streamen verfügbar.

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Bildquelle:

  • 365-days: Netflix/ Karolina Grabowska

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