
Im Juli 2005 ereignet sich in London einer der schwersten Anschläge Europas, mehr als 50 Menschen starben. Eine vierteilige neue Doku auf Netflix zeigt: Auch 25 Jahre später sitzen die Wunden tief.
„Sorry, ich verspäte mich“, tippt der Brite Dan Biddle am frühen Morgen des 7. Juli 2005 in der Londoner U-Bahn in sein Handy. In dem Waggon ist es heiß, die vielen Menschen kleben aneinander, dann verpasst Biddle auch noch seine Station. „Kann dieser Tag noch schlimmer werden?“, hat er sich laut eigener Aussage noch gedacht – unwissend, was passieren wird.
Denn nur wenige Sekunden später verändert eine gewaltige Explosion das Leben Biddles und Tausender anderer Londoner schlagartig. An diesem Tag vor 20 Jahren reißen vier islamistische Selbstmordattentäter in der U-Bahn und in einem Bus 52 Menschen und sich selbst in den Tod. Mehr als 700 werden teils schwer verletzt. Es ist der bisher verheerendste Terroranschlag auf britischem Boden.
Mit viel Glück hat Biddle überlebt. Er hat jedoch beide Beine verloren, wie er in der am 1. Juli erschienenen Netflix-Dokumentation „Terror in London: Die Jagd auf die Attentäter vom 7.7.“ erzählt. „Ich dachte, ich würde sterben.“
Die Serie von Regisseurin Liza Williams erzählt eindrucksvoll aus verschiedenen Perspektiven von der Zeit nach den Anschlägen. Von falschen Fährten, enormer Polizeipräsenz, islamistischer Radikalisierung in heimischen Moscheen und Ermittlungsfehlern, die sogar zum Tod eines Unschuldigen führten.
Es sind oft schwer auszuhaltende Berichte von Augenzeugen. Sie werden mit Originalaufnahmen von Überwachungskameras, TV-Berichten und teils nachgespielten Szenen untermalt.
Zu Wort kommen nicht nur Überlebende, Angehörige, Ermittler und Forensiker, sondern etwa auch der damalige Premierminister Tony Blair. Sie alle lassen den Tag Revue passieren, der Großbritannien in einen Ausnahmezustand versetzte.
„Dein Name sagte aus, wer du bist“
Was die aufwendig produzierte Doku besonders hervorhebt, sind die Erfahrungsberichte britischer Muslime. Nach den Selbstmordattentaten geht die Polizei mit besonderer Härte vor.
Am 21. Juli gibt es erneut Terroralarm – wieder vier Männer, mit Bomben im Rucksack auf dem Rücken, die Dutzende Menschen in den Tod reißen wollen. Ihr Vorhaben scheitert, doch die Täter können flüchten. Die Ermittler setzen alles daran, sie zu finden. Viele Menschen, die nicht der weißen Mehrheitsgesellschaft entsprechen, werden kontrolliert und unter Verdacht gestellt.
„Dein Name sagte aus, wer du bist. Wie man aussah, bestimmte, wie man behandelt wurde“, erinnert sich die Menschenrechtsaktivistin Yasmin Khan. Neben der Sorge um die eigene Sicherheit, die die Londoner mit sich trugen, hätten muslimische Bürger eine weitere Bürde aufgetragen bekommen: die stetige Angst vor Rassismus und Diskriminierung.
Das Ganze gipfelt im Tod des damals 27-jährigen brasilianischen Staatsbürgers Jean Charles de Menezes. Er wird in der U-Bahn mit einem gesuchten Mann verwechselt und von der Polizei erschossen – ein gravierender Fehler in ohnehin schon aufgeheizten Zeiten. Auf den Vorfall folgen Proteste.
Islamfeindlichkeit auch heute noch Problem
„Wir mussten ein Gleichgewicht finden, um zu verhindern, dass die muslimische Gemeinschaft das Gefühl bekommt, dass sie als Ganzes ins Visier genommen wird“, sagt Ex-Premier Tony Blair zum damaligen Vorgehen. Allerdings habe es auch eine „völlig berechtigte Sorge in der breiteren Gemeinschaft vor einem Problem, mit dem wir uns befassen müssen“ gegeben.
Dass antimuslimischer Rassismus heute noch ein Problem in Großbritannien darstellt, zeigt die jüngste Vergangenheit. Für weltweites Aufsehen sorgten etwa die Vorfälle nach der Messerattacke im englischen Southport im Sommer 2024. Getrieben von Falschinformationen über die Herkunft des Täters kam es zu rechtsradikalen und antimuslimischen Ausschreitungen in mehreren britischen Städten.
Wie hoch ist die Terrorgefahr heute?
Als Reaktion auf die oft als „7/7“ bezeichneten Anschläge hat die damalige Regierung reihenweise Gesetze zur Terrorbekämpfung auf die Beine gestellt und auch ein fünfstufiges Bedrohungsszenario eingeführt. Aktuell gilt laut dem britischen Inlandsgeheimdienst MI5 die dritthöchste Stufe. Heißt: Ein Terrorakt gilt in Großbritannien als wahrscheinlich. Über Jahre ist die Metropole von großen Anschlägen verschont geblieben. 2017 wird London jedoch gleich zwei Mal von islamistischem Terror eingeholt, mehrere Menschen sterben.
Am 7. Juli 2025, genau 20 Jahre nach den Anschlägen, wird der Opfer in London mit einer Gedenkveranstaltung gedacht. „Terror in London: Die Jagd auf die Attentäter vom 7.7.“ zeigt, mit welcher Brutalität derartige Anschläge das Leben vieler Menschen zerstören. Dan Biddle beschreibt es so: „Mein Leben war lange Zeit so, als hätte jemand einen Spiegel zerbrochen“, sagt er. Kein Teil habe mehr zum anderen gepasst. „Es spielte keine Rolle, ob ich das Ding zusammenkleben konnte – es würde nie wieder so sein wie vorher.“
Von Patricia Bartos, dpa / Redaktion DF: mw
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