
Medienwandel, Gebührendebatte, NDR-Querelen – als Intendant wurde Joachim Knuth nicht langweilig. Seine Lehre mit Blick auf Meinungen rechts der Mitte: „Totschweigen oder ausblenden ist kein Weg.“
Seit 1985 ist der Norddeutsche Rundfunk (NDR) berufliche Heimat von Joachim Knuth gewesen. Ende der Woche verabschiedet sich der 66-Jährige in den Ruhestand. Sein Haus sieht der scheidende Intendant trotz Medienwandels, Finanzierungs- und Richtungsdebatten für die Zukunft gerüstet. Das liegt auch an dem Mann, der ihm an der Spitze des drittgrößten ARD-Senders folgt, wie Knuth im Interview der Deutschen Presse-Agentur erläutert.
Ihre Amtszeit als NDR-Intendant endet. Wenn man in einer „Tagesschau“-Meldung zusammenfassen müsste, was Sie in den vergangenen knapp sechs Jahren erlebt haben, wie würde diese aussehen?
Knuth: Die Meldung werde ich nicht ad hoc hinbekommen, aber ein paar Adjektive: wechselvoll, herausfordernd, in Teilen auch disruptiv – Stichwort die Geschehnisse beim RBB. Dazu die intensiven Kulturauseinandersetzungen, die wir im Zusammenhang mit den Landesfunkhäusern in Schleswig-Holstein und Hamburg hatten. Darauf fußend haben wir einen Kulturprozess für den ganzen NDR in Gang gesetzt, der bleiben wird. Und wir haben in dieser Zeit viele Dinge produktiv gestaltet. Etwa den Ausbau der Regionalberichterstattung unserer zwölf Regionalstudios sowie die Stärkung von Informationen und Nachrichten in Hamburg-Lokstedt mit der großen Familie von ARD-aktuell. Dort produzieren wir rund um die Uhr Angebote wie „Tagesschau“, tagesschau.de, „Tagesthemen“, „Tagesschau24“ und die ARD-Infonacht im Hörfunk.
Wenn das so ein wechselvoller, interessanter und gestaltender Job ist: Warum war die Nachfolger-Suche trotzdem so schwierig?
Die Suche war nach meinem Eindruck professionell, auch zeitlich komplett geordnet. Wir haben einen Staatsvertrag, der ein Prinzip der Checks and Balances vorsieht mit einem Zweikammersystem. Ein Verwaltungsrat, der vorschlägt, und ein Rundfunkrat, der diesem Vorschlag mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln folgt. Die erste Kandidatin hat diese Mehrheit nicht bekommen, und dann gab es nach sechs Wochen einen zweiten Vorschlag, der mit großer Mehrheit bestätigt wurde.
Ursprünglich war mit Sandra Harzer-Kux das erste Mal eine Frau für die Spitze des NDR nominiert. Nun ist es mit Hendrik Lünenborg wieder ein Mann geworden. Sehen Sie manchmal so ein bisschen grimmige Gesichter bei NDR-Redakteurinnen?
Nein, ich habe keine grimmigen Gesichter gesehen, weil mein Nachfolger Hendrik Lünenborg tief in diesem Haus verwurzelt ist und über eine extrem hohe Akzeptanz verfügt. Er kann gut zuhören, er kann gestalten, er ist durchsetzungsfähig. Ich habe ein sehr positives Feedback auf diese Wahl erlebt.
Die Aufgaben, vor denen er steht, sind gewaltig. Wie wird sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk verändern müssen? Stichwort Medienwandel.
Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Jahren in einem Wechselspiel landen werden zwischen: Wie viel Reichweite haben wir? Wie viel Relevanz? Und wie viel Bindungskraft in Zeiten, in denen unser Kerngeschäft – also lineares Radio und lineares Fernsehen – an Reichweite verliert? Wir werden noch viel stärker als heute darauf achten müssen, dass wir die Audiothek, die Mediathek und unsere Online-Angebote ausbauen, aber auch darauf, wie wir mit Web, Apps und mit Social umgehen. Wenn Sie sich anschauen, wie viel ARD-aktuell im Bereich von Social, Tiktok und Instagram generiert, dann reden wir über Millionenzahlen und nicht mehr über versprengte Zielgruppen. Millionenzahlen von Menschen, die ihre Bindung zu einem Produkt wie der „Tagesschau“ vor allen Dingen über solche Angebotslinien erfahren.
Dafür braucht es genug Geld. Und dies vor dem Hintergrund einer hitzig geführten Debatte über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks…
Wir im NDR haben in den Jahren von 2021 bis 2024 mit einem Defizit umgehen müssen in der mittelfristigen Haushaltsplanung von rund 300 Millionen Euro. Wir mussten also ungefähr 75 Millionen Euro pro Jahr aus einem laufenden Haushalt herausholen. Wir haben schmerzhaft Personal reduziert, ungefähr 180 Stellen. Und wir kooperieren mit anderen Landesrundfunkanstalten in den Bereichen Audio und Video deutlich stärker als noch vor einigen Jahren. Und ich glaube, dass dieser Weg auch so weitergehen wird. Und dann gibt es andere große Bereiche, wo es auch ums Geld geht: bei Produktionsstandards und deren Veränderungen, bei der Vereinheitlichung aller technischen Prozesse. Und was die im Medienänderungsstaatsvertrag geforderten Reformfragen angeht, reden wir konkret über eine Reduktion von Radio- und Fernsehprogrammen.
Müsste es zu einer Einschränkung des Programms kommen, wenn es keine Beitragserhöhungen geben sollte?
Wenn es ab 2027 keine Beitragsanpassung gäbe, werden wir den von mir beschriebenen Weg weiter forcieren müssen. Für alles, was wir tun, ist doch immer wichtig, dass wir das Programm, unser Aushängeschild, unsere Visitenkarte, unseren direkten Draht zu unserem Publikum, so weit es geht unangetastet lassen. Das muss immer über allem stehen.
Wie hoch ist denn das NDR-Budget?
1,2 Milliarden Euro für das Jahr 2025.
Weil wir Gehaltserhöhungen und Kostensteigerungen haben, sind wir darauf angewiesen, dass wir moderate Beitragsanpassungen bekommen
Der scheidende NDR-Intendant Joachim Knuth
Die Beitragszahlerinnen und -zahler werden sagen, das ist doch eine Menge Geld. Warum brauchen Sie mehr?
Weil wir Gehaltserhöhungen und Kostensteigerungen haben, sind wir darauf angewiesen, dass wir moderate Beitragsanpassungen bekommen. Wir arbeiten schon seit Jahrzehnten unterhalb der normalen Kostensteigerungsrate.
Und wo genau liegt dann das Sparpotenzial?
So wie ich es beschrieben habe: Sie können Fixkosten sparen mit weniger Personal. Wir haben 180 Stellen weniger. Das tut weh, das hat auch Auswirkungen. Wir haben – das ist ja unserem Programm in Teilen auch anzuhören und anzusehen – auch Dinge bleibenlassen. Und dafür bekommen sie keinen rauschenden Applaus, weil sie Menschen etwas wegnehmen, was geschätzt ist und was Menschen gewohnt sind. Und wir werden in Zukunft vermehrt im Verwaltungsbereich mit Shared Services arbeiten: Alle machen nicht mehr alles. Häuser teilen sich in ihren Kompetenzen auf und übernehmen für andere Häuser einen Teil der bisher dort angefallenen Aufgaben.
Die RBB-Krise war das Gegenteil einer vertrauensbildenden Maßnahme für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Joachim Knuth, scheidender NDR-Intendant
Wäre die Beitragsdebatte einfacher ohne die ARD-Krise, also die Vorgänge beim Rundfunk Berlin-Brandenburg, wo die Intendantin gehen musste wegen Unregelmäßigkeiten. Sie klagt jetzt auf Zahlung einer Pension von 18.000 Euro im Monat.
Ich will es so sagen: Die RBB-Krise war das Gegenteil einer vertrauensbildenden Maßnahme für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Natürlich ist das für alle ein Einschnitt gewesen – auch übrigens für die zuständigen 16 Bundesländer. Und dass wir jetzt diese Diskussion über die künftige Rundfunkfinanzierung führen und darüber, auch die Gremienaufsicht nochmals neu zu denken, ist durch die Ereignisse des Sommers 2022 sicherlich eher befördert worden.
Sie spielte also den Kritikern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in die Karten?
Ganz am Ende geht es ja um die Frage, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk – und das gilt hier für freie Medien generell – als eine zu schützende und zu bewahrende Institution einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft gewollt ist oder nicht. Und auch da habe ich in den vergangenen Jahren Veränderungen festgestellt. Die Kritik am Journalismus generell, aber besonders an den Öffentlich-Rechtlichen, ist größer geworden und deshalb auch die Ruppigkeit der Auseinandersetzung.
Nun ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk Teil eines größeren medialen Ökosystems. Der neue ARD-Vorsitzende Florian Hager hat in einem Interview von einem „Ende der Massenmedien“ gesprochen. Ist das nicht ein ungeheuerlicher Satz für einen Journalisten wie Sie?
Natürlich haben wir in unseren beiden Hauptausspielwegen Radio und Fernsehen sich reduzierende Reichweiten. Nur man muss sich einmal anschauen, auf welchem Level. Das Erste sehen durchschnittlich 22 Millionen Menschen am Tag. Das NDR-Fernsehen liegt bei 7 Millionen täglich. Unsere Radioprogramme werden schätzungsweise von 6 Millionen Menschen gehört. Das sind massenmediale Zahlen. Das wird sich peu à peu reduzieren, weil lineares Fernsehen Jahr für Jahr pro Abend über alle Anbieter gedacht ungefähr eine Million Menschen verliert. Das bedeutet, dass wir, wenn wir Massenmedium bleiben wollen – und so kenne ich die Interpretation und Argumente von Florian Hager –, uns auf die anderen Ausspielwege konzentrieren müssen.
Was bedeutet das konkret?
Wir werden eine Vielfalt in unserer Ausspielkette haben, die noch mal deutlich höher ist als das, was wir kennen. Wir reden bei der „Tagesschau2 über etwa fünf Millionen Menschen, die im Durchschnitt knapp 30 Jahre alt sind und die bei Insta die „Tagesschau“ verfolgen. Bei Tiktok reden wir auch über siebenstellige Zahlen. Und es wird sich noch etwas gravierend verändern, nämlich die immense Dialog-Affinität unserer Nutzerinnen und Nutzer. Wir haben inzwischen täglich fast 50.000 Responses bei ARD-aktuell. Das hat sich exponentiell entwickelt. Daher haben wir eine Einheit, die sich um den Dialog mit den Nutzern und um Faktenchecking kümmert. Der Sender ist auch Empfänger und muss darauf wieder reagieren – das ist in den vergangenen Jahren deutlich stärker geworden. Massenmedium bleiben bedeutet am Ende, dass wir Reichweite über alle Wege haben, auf denen wir Menschen erreichen.
Eine andere Frage, die die Gemüter bewegt, ist der journalistische Umgang mit Meinungen rechts der Mitte. Auch bei Ihnen im Haus wird zurzeit sehr offen darüber diskutiert, verstärkt seit der Ausstrahlung des Formats „Klar“ der Journalistin Julia Ruhs.
Erstens: Berichterstattung findet nicht im wertfreien Raum statt. Wir sind am Ende weltanschaulich neutral, aber das heißt nicht, dass wir wertneutral sind. Zweitens: Streit ist nicht nur ein Mittel produktiver Gesellschaftsgestaltung, sondern gehört in Redaktionen. Wichtig ist, dass wir Streit austragen und nicht nur auf Schwarz-Weiß-Tönen beharren, sondern auch das Grau dazwischen sehen. Und deshalb würde ich drittens immer sagen: Kontroversen bleiben für alles, was wir journalistisch ausprobieren, der Grundimpuls für guten Journalismus.
Anders gefragt: Tut Julia Ruhs mit ihrem Format und vielleicht auch ihrer Persönlichkeit dem NDR gut? Sollte die Zusammenarbeit fortgeführt werden?
Die Anlage dieses Formats war immer so: Wir machen drei Piloten, dann diskutieren wir darüber und schauen, ob das tatsächlich im Sinne der Perspektiven-Vielfalt ein gutes Angebot ist auch an Menschen, die sich vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr durchgängig angesprochen fühlen. Meine Grundüberzeugung ist, dass wir bestimmte gesellschaftliche Strömungen, die es in diesem Land gibt, nicht totschweigen dürfen, sondern dass wir sie benennen und uns mit ihnen auseinandersetzen müssen. Totschweigen oder ausblenden ist kein Weg.
Sie haben 1985 beim NDR begonnen. Der Intendant hieß Friedrich Wilhelm Räuker, der Kanzler war Helmut Kohl, und bei NDR 2 war einer der meistgespielten Songs Madonnas „Like a Virgin“. Mit welchen Erwartungen ist der junge Joachim Knuth eigentlich damals beim NDR angetreten?
Ich bin mit dem NDR als Schüler in den 70er Jahren in Kiel aufgewachsen. Nach meiner Zeit in München an der Deutschen Journalistenschule und einem Jahr in den USA hatte ich den starken Drang, zurückzukehren in den Norden. Da gibt es eine schöne Anekdote am Anfang: Ich kam in die Nachrichtenredaktion, war 25 und ich hatte einen auf drei Monate befristeten Vertrag, der mir aber erst nach sechs oder sieben Wochen zugestellt wurde. Und mein Impuls damals war: Du brennst so für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und für den NDR. Und es dauert so lange, bis sie dir diese drei Monate bestätigen. Da sind bei mir Zweifel aufgekommen, ob das auf Strecke was wird. Und im Rückblick denke ich heute manchmal, wie man sich irren kann. Ich bin jetzt gut 40 Jahre in diesem Haus, also bin echt lange hier und habe es nie bereut, für den Norddeutschen Rundfunk zu arbeiten.
Was für ein Intendant im Ruhestand werden Sie denn? Der Beratende? Drehen Sie selbst? Senden Sie selbst? Schreiben Sie ein Buch?
Mir gefällt die Idee, Dinge jetzt von der Seitenlinie zu betrachten. Ich werde bestimmt keiner sein, der reinruft. Ich finde, wenn man raus ist, ist man raus, und dann machen es andere, und die werden es gut machen. Und ich werde schauen, ob ich neben den Dingen, die ich jetzt so mache – also Stiftungen und Diakonie – noch Lust auf anderes bekomme.
Zur Person: Joachim Knuth stand dem Norddeutschen Rundfunk seit Januar 2020 als Intendant vor. Der gebürtige Kieler, der bereits 1985 beim NDR anfing, hatte zuvor die Hörfunk-Programmdirektion geleitet. In dieser Funktion war er auch federführend für den Programmbereich Online und Multimedia zuständig. Der Vertrag des 66-Jährigen als Intendant des drittgrößten ARD-Senders wäre ursprünglich bis Mitte Januar 2026 gelaufen. Er hat aber entschieden, bereits zum 1. September 2025 in den Ruhestand zu gehen. Seine Nachfolge tritt der bisherige Chef des Landesfunkhauses in Hamburg, Hendrik Lünenborg, an.
Interview: Sven Gösmann und Benjamin Haller, dpa / Redaktion DF: mw
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