„House of the Dragon“: Folge 4 und der Tod der Queen

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Rhaenyra Targaryen und Alicent Hightower
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Die vierte Episode von „House of the Dragon“ wartet mit Inzest, Intrigen und Frauen im goldenen Käfig auf. Warum ist das alles überhaupt noch interessant?

+++ Der folgende Artikel enthält Spoiler zur Handlung der Episode. +++

Vergangene Woche ist die Queen gestorben. Im Netz reagierte man mit unbändiger Häme und Witzeleien, während für das andere Extrem, die zutiefst Bestürzten, ein Teil der westlichen Welt zu Grunde gegangen zu sein schien. Der riesige Zirkus namens Royals hat seine schillernde Galionsfigur verloren. Die einen werden nicht müde zu betonen, welch große Bedeutung diese Königin doch für die Welt gehabt haben soll, diese ulkige ältere Lady, andere erinnern an die verqueren Ideologien und Ausbeutungsmechanismen in ihrem Namen.

Während man nun in den sozialen Netzwerken wetteifert, ob es überzogen ist, in großem Maße über eine reiche Repräsentantin zu trauern, steht eines fest: Mit dem Tod der Queen hat quasi eine reale Seifenoper ihre zentrale Protagonistin verloren. Königin Elizabeth II. war eine popkulturelle Marke, die sich auch nicht zu schade war, mit Paddington Bär zu posieren, um mediale Aufmerksamkeit zu erhaschen. Sie war auch das Sinnbild einer populären, eskapistischen Glamour-Welt, in die sich Leute hineinsehnen, wenn sie sich mit den Problemen der Welt nicht mehr befassen wollen.

Man tarnt es unter dem vermeintlichen Interesse am menschlichen Verhalten oder irgendwelchen „Werten“. Schließlich sind sie doch alle nur „wie wir“, die da oben. Sie halten irgendetwas symbolisch zusammen. Ihre privaten Konflikte, Fehltritte und Geheimnisse füllen Klatschblätter und werden das auch in Zukunft tun. Im Internet gedenkt man mit Menschelei, anstatt sich mit Hintergründen zu befassen, abzulesen an millionenfach geklickten Videos wie „Der Sinn der Königin für Humor„.

Rhaenyra Targaryen vor dem Eisernen Thron
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Die Bachelorette von Westeros

Was hat das mit „House of the Dragon“ zu tun? Nun, eigentlich eine ganze Menge. Denn hier setzt sie sich doch nur in fiktionaler Weise fort: Die royale Seifenoper, von der wir uns gerne einreden, sie hätte etwas mit den Problemen unserer Zeit zu tun. Sicherlich, das hat sie irgendwie. Aber geschieht das nicht auf denkbar naive, realitätsferne Weise? Vielleicht sollte man all das Lob und die Kritik der letzten Wochen noch einmal ganz neu, grundlegend überdenken.

Wir reden uns gerne ein, dass wir uns in dieser Prinzessin Diana von Westeros wiedererkennen können, die mit der Rolle hadert, die ihr das System diktiert. Dabei ist ihre Lebensrealität im übertragenen Sinne so weit vom Gros der Menschheit entfernt, in dessen hermetische Abriegelung wir uns jede Woche lustvoll hineinbegeben. Gemeint ist Rhaenyra Targaryen, die in dieser Folge auf Männerschau gehen muss. Sie ist quasi die tragische Bachelorette der HBO-Serie. Männer buhlen um ihre Gunst und gehen notfalls auch mit dem Schwert aufeinander los, um ihre Widersacher zu beseitigen.

Das ist eine sehr gelungene Sequenz, mit der die vierte Episode von „House of the Dragon“ einsteigt. Weil sie natürlich das offenlegt, was die Serie ist: eine opulente Soap, Reality-Fernsehen, das seine Charaktere mit allen Facetten ausleuchten will. Edel-Schwulst, hochwertig produziert, mitreißend geschrieben, zweifellos. Übrigens wesentlich stärker als in der vorherigen Episode, die in ihren konstruierten Zeitsprüngen und Schlussstrichen eher an dunkle Zeiten von „Game of Thrones“ erinnerte. In Folge 4 ist alles wieder konzentrierter, auf wenige Eckpunkte konzentriert, die dafür an Stimmung und Leben gewinnen. Es knüpft gekonnt an bereits Angerissenes an. Gerade bei der verführerischen Spannung dieser Folge sollte man jedoch ab und an misstrauisch werden.

Foto: 2022 HBO

Ehepflicht oder freie Lust?

Die Episode erzählt vordergründig von zwei Frauen im goldenen Käfig. Während die eine, Alicent, ihren ehelichen Pflichten nachkommt, das meint in der Welt von „Game of Thrones“ Gebähren, sucht die andere, Rhaenyra, nach einer freien Lustentfesselung. Ihr Onkel Daemon verführt sie im Freudenhaus, wahrscheinlich um eine Intrige zu spinnen. Es ist wieder mal an der Zeit für Inzest! Am Hof wird ihr der Ausflug zum Verhängnis, Spione haben sie gesehen. Letztendlich lebt sie ihre erotischen Sehnsüchte mit ihrer neuen Leibwache aus, Ser Criston Cole. Und doch gibt es kein Entkommen aus diesem erdrückenden patriarchalen Kosmos. Die nächste Zwangsheirat wird bereits angebahnt. Rhaenyra muss die Verfehlungen ihres Vater ausmerzen.

Wie weltverdrossen muss es denn eigentlich sein, dass wir uns Geschichten von Emanzipation und Sexismus immer wieder nur als Spiel der Mächtigen erzählen und vorstellen können? Einmal maskieren sich Daemon und Rhaenyra als arme Leute in Lumpen, um sich unter das Volk zu mischen. Es ist eine erhellende Passage in dieser Folge! Denn da gibt es ja eigentlich gar kein richtiges Volk, gar keine Handlungsträger. Da lauert doch nur eine Ansammlung von Kuriositäten: augenlose Hellseherinnen, Gaukler, ein wollüstiger, identitätsloser Pöbel. Die Ordnung von oben und unten festigt sich auch ästhetisch.

Faszination Adelshäuser

„House of the Dragon“ verpasst dabei, wie bereits „Game of Thrones“, von den Spannungen zwischen den Klassen und Ständen zu erzählen. Da gibt es allein Projektionen, Fantasien zu sehen. Bilder, die sich die Herrschenden machen, wenn sie einmal aus ihrem wohlhabenden Luxus-Gefängnis ausbrechen wollen. Rhaenyra spricht wahr, wenn sie sich enttäuscht davonmacht, als sie von der Menge verschmäht wird: Was interessiert das Königshaus die Meinung des Pöbels? Aber wie weit gehen wir da eigentlich mit? Sind wir insgeheim froh, wenn wir die Straße und Gosse wieder verlassen, um in die edlen Gemächer von Westeros zurückkehren zu können? Weil wir uns erhaben wähnen, bei den Mächtigen einen Blick durchs Schlüsselloch in ihre menschlichen Abgründe erspähen können. Das Fußvolk, gesamtgesellschaftliche Probleme braucht es dazu nicht.

Die Skandale, Zwistigkeiten und Glücksmomente der Royals, seien sie real oder fiktiv, lassen uns gleichzeitig besser und schlechter fühlen. Besser, weil wir um ihre Nutzlosigkeit und (historischen) Verfehlungen wissen. Also weg mit der Monarchie! Warum sollten wir in „House of the Dragon“ überhaupt mitfiebern, ob sich dieser Targaryen-Clan womöglich doch noch an der Macht halten kann? Und schlechter, weil wir genau spüren, wie tief die Gräben zwischen sozialen Schichten sind. Weil wir es mögen, uns lieber mit dem Geplänkel der Wohlhabenden zu beschäftigen als mit ihren Untergebenen. „House of Dragon“ lässt gerade dann über solche Sehgewohnheiten grübeln, wenn sie ganz in ihren Verdichtungen aufgeht, wie in dieser im Netz bejubelten vierten Episode.

Alle Besprechungen zu „House of the Dragon“ im Überblick:

„House of the Dragon“ ist seit dem 22. August bei Sky zum Streamen verfügbar. Jeden Montag erscheint eine neue Episode. Weitere Infos zur Ausstrahlung gibt es hier.

Eine Vorschau zur bevorstehenden fünften Episode gibt es hier:

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Bildquelle:

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