
Forscher haben nachgezählt: Noch nie wurden in Kino und Fernsehen so viele alte Stoffe aus der Schublade geholt wie im vergangenen Jahr. Besonders beliebt bei Neuverfilmungen: Kinderhelden von früher.
‚Retro‘ ist 2025 die große Überschrift über Fernsehen und Kino. Gerade läuft eine Neuverfilmung des Michael-Ende-Klassikers „Momo“ in den Lichtspielhäusern. Kürzlich war „Ronja Räubertochter“ als neu gedrehte Serie im Ersten zu sehen. RTL+ hat derweil „Neue Geschichten vom Pumuckl“ als Staffel zwei in Vorbereitung. Und in der kommenden Woche soll auch noch eine frische Version des Klassikers „Ferien auf Saltkrokan“ präsentiert werden. Geballte heile Welt der Kindertage prägt Bildschirm und Leinwand im Krisenjahr.
Unter dem englischen Titel „Astrid Lindgren’s Seacrow Island“ wird die schwedische Saltkrokan-Serie im französischen Cannes zum ersten Mal einem internationalen Publikum vorgestellt. Programmchefs aus mehr als 100 TV-Märkten versammeln sich dort auf der weltgrößten Fernseh- und Streaming-Messe, der Mipcom. Das Branchentreffen beginnt am Montag (13. Oktober).
Man wirbt mit „existenzieller Tiefe“
Die Geschichten über die Kinder zweier unterschiedlicher Familien, die einen Sommer auf einer Insel nahe Stockholm verbringen, ist wohl eine der erfolgreichsten schwedischen Fernsehserien aller Zeiten. Und auch die neue Version nach der Roman-Vorlage von Astrid Lindgren aus dem Jahr 1964 wird in Cannes als „humorvolle Serie“ mit „existenzieller Tiefe“ angepriesen, die „die Sehnsucht nach Unbeschwertheit“ bediene.

Das Interesse ist jetzt schon riesig, wie die Vertriebsfirma Beta Film berichtete: „Wir sehen insbesondere in Deutschland, Österreich, Schweiz, Benelux, Osteuropa und Japan großes Potenzial und führen bereits Verhandlungen mit allen Partnern.“
Von Heidi bis Flodder: Bekannte Stoffe machen sofort neugierig
Einen weiteren Klassiker, neben vielen anderen, hat das Münchener Unternehmen ebenfalls an der Côte d’Azur im Gepäck, um ihn Sendern und Streamern aus aller Welt vorzustellen: „Momo“. Christian Becker hat die Neuverfilmung von Michael Endes Fantasy–Klassiker produziert.
Becker beschreibt im Interview der Deutschen Presse-Agentur einen klaren Trend: „Gerade in den letzten Jahren werden verstärkt altbekannte „Marken“ genutzt, um einen neuen Film oder eine neue Serie auf den Markt zu bringen – gerade durch den stärkeren Wettbewerb von Fernsehsendern und Streamern untereinander.“
Das Gefühl von früher noch einmal erleben
Es gehe um ein Gefühl, das man selbst als Kind oder Jugendlicher verspürt habe, und dass man noch einmal erleben möchte, vielleicht jetzt mit den eigenen Kindern gemeinsam, vermutet der renommierte Produzent Becker.
Seine Firma Rat Pack Film („Die Welle“) lässt bald auch den Kinderbuch-Bestseller „Lauras Stern“ als Serie mit echten Schauspielern aufleben. Dass der Nostalgie–Effekt in diesen unsicheren, von Krisen geprägten Zeiten für das Publikum eine größere Rolle denn je spielt, davon ist nicht nur Becker überzeugt.
Im vergangenen Jahr gab es fast 100 Remakes
„Bekannte Stoffe und große Marken haben einen entscheidenden Vorteil: Sie erzeugen sofort Wiedererkennung und Neugier, noch bevor das Publikum die erste Minute gesehen hat“, beschreibt es Hauke Bartel. Der RTL-Fiction-Chef verweist dabei auf Erfolge mit „Sisi“, „Heidi“ und „Pumuckl“. RTL will auch den niederländischen Trash-Klassiker „Flodder“ aus den 90er Jahren zurückbringen.

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: 2024 war mit 92 Remake-Veröffentlichungen ein Rekordjahr. So hat es das Marktforschungsunternehmen Glance festgestellt, deren Datenbank 49 Länder erfasst. In diesem Jahr von Januar bis September sind allein in den USA 12 entsprechende TV-Projekte an den Start gegangen, teilt Frédéric Vaulpré, Senior-Vice-President des französischen Unternehmens, auf dpa-Anfrage mit. Media Analyst Guy Bisson von Ampere Analysis in London ergänzt, dass voriges Jahr fast 36 Prozent aller neu ausgestrahlten Formate, Serien und Filme ein Recycling von altbekanntem war.
Auch „Pippi Langstrumpf“ bleibt nicht verschont
Letztlich erscheint das Reservoir unerschöpflich: Allein was die schwedische Kinderbuch-Ikone Astrid Lindgren angeht, befinden sich zahlreiche Projekte in der Pipeline. Der dänische Oscar-Preisträger Thomas Vinterberg etwa arbeitet gerade an einer Fernsehversion der „Brüder Löwenherz“ während Studiocanal die Abenteuer von „Pippi Langstrumpf“ neu inszenieren wird.
Von Wilfried Urbe, dpa / Redaktion DF: mw
Außerdem interessant: