Intendantin: Deutsche Welle soll „führende Stimme der Freiheit“ sein

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Barbara Massing
Archivfoto: Ayse Tasci/DW

Zwölf Jahre leitete Peter Limbourg die Deutsche Welle Seine Nachfolgerin Barbara Massing setzt auf Reichweite in Mittel- und Osteuropa und den arabischen Ländern und spricht vom „Informationskrieg“.

Barbara Massing ist seit dem 1. Oktober Intendantin der Deutschen Welle (DW) – die erste Frau an der Spitze des deutschen Auslandssenders. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur erläutert sie, wie sie die DW in Zeiten von «Informationskrieg», Zensur und digitalem Wandel international sichtbarer machen will. Außerdem spricht sie über journalistische Unabhängigkeit, Unternehmenskultur und den Ausbau von Angeboten in Mittel- und Osteuropa.

Frau Massing, Sie sind die erste Frau an der Spitze der Deutschen Welle. Was bedeutet Ihnen das auch persönlich?

Für mich persönlich bin ich zunächst einmal stolz, dieses erfolgreiche internationale Medienhaus leiten zu dürfen. Aber ehrlich gesagt bedeutet die Tatsache, dass ich eine Frau bin und an der Spitze stehe, für mich nicht so viel, wie es vielleicht für andere bedeutet. Kolleginnen haben mir bei der Ämterübergabe nach der Verabschiedung von Peter Limbourg erzählt, dass es für sie sehr viel bedeutet, und darüber freue ich mich. Ich halte es für wichtig, dass Räume entstehen, in denen Frauen und Mädchen sehen, was möglich ist.

Sie sind seit dem 1. Oktober im Amt, das Haus kennen Sie schon lange. Schließlich haben Sie die DW lange aus der Verwaltung heraus mitgestaltet. Können Sie konkrete große Linien nennen, die Sie weiterverfolgen wollen?

Für uns ist es aktuell wichtig, einen stärkeren Fokus auf die Berichterstattung über Europa zu legen, insbesondere auch für Länder in Mittel- und Osteuropa und in den entsprechenden Sprachen. Im Informationskrieg, in dem wir uns derzeit befinden, spielt die Deutsche Welle eine wesentliche Rolle, etwa in der Berichterstattung über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Wir wollen die europäische und deutsche Perspektive global sichtbar machen, weil andere das nicht so stark tun. Weitere Schwerpunkte sind Digitalisierung und Einsatz von KI sowie der Ausbau strategischer Partnerschaften, hauptsächlich mit westlichen Auslandssendern wie France Médias Monde. Unsere erfolgreiche Kooperation möchte ich in den nächsten Jahren intensivieren.

Das sind herausfordernde Zeiten für die Presse- und Meinungsfreiheit. Wie sicher sind Sie, dass Sie diesen Anspruch erfüllen können – auch in Ländern, in denen Sie nicht senden dürfen?

Die Verantwortung der Deutschen Welle ist umso größer, seit Donald Trump beschlossen hat, die Finanzierung der US-Auslandsmedien nahezu komplett einzustellen.

DW-Intendantin Barbara Massing

Ich bin angetreten mit dem Ziel, die Deutsche Welle zur führenden Stimme der Freiheit aus Europa zu machen, vor allem in Ländern, die die Meinungsfreiheit massiv einschränken, wie in Russland, wo ein Sendeverbot für die Deutsche Welle verhängt wurde. Unsere Glaubwürdigkeit ist unser höchstes Gut. Wir bieten auf unserer Plattform alle Perspektiven an. Unsere Aufgabe ist es, die Medien- und Meinungsfreiheit zu stärken, immer auf Basis unseres Grundgesetzes und unseres Verständnisses von Meinungsfreiheit. Die Verantwortung der Deutschen Welle ist umso größer, seit Donald Trump beschlossen hat, die Finanzierung der US-Auslandsmedien nahezu komplett einzustellen. Unsere Perspektivenvielfalt wird übrigens weltweit geschätzt. So haben wir in den letzten Jahren großes Wachstum in den USA verzeichnet, wo Gesellschaft und Medien stark polarisiert sind.

Wenn Sie sagen, auf der Plattform bilden Sie alle Meinungen ab, heißt das, dass auch Trump-Freunde bei der Deutschen Welle eine Stimme haben und haben werden?

Auf jeden Fall. Wir zeigen unterschiedliche Positionen auf einer Plattform, was in vielen amerikanischen Medien nicht mehr selbstverständlich ist. Öffentlich-rechtliche Sender wie PBS und NPR werden gezielt benachteiligt, sodass es für uns umso wichtiger ist, Perspektivenvielfalt zu bieten.

Sehen Sie Einschränkungen für Ihre Berichterstattung in den USA?

Einschränkungen haben wir nicht. Wir prüfen sorgfältig alle Fakten, unsere Glaubwürdigkeit ist unser höchstes Gut. Wir sind Teil des White House Foreign Correspondents’ Pools und können direkt Fragen an den Präsidenten stellen. Sollten Unstimmigkeiten bestehen – wie jüngst bei der angekündigten Beschränkung der Journalisten-Arbeitsvisa für die USA auf acht beziehungsweise maximal sechzehn Monate -, arbeiten wir weiterhin eng mit anderen Medien zusammen, um diese zu adressieren.

Frage: Wie hilfreich ist der Markenbegriff German TV/Deutsche Welle international?

Wir verwenden nicht „German TV“, sondern DW. In vielen Ländern werden wir neutral und weniger von Interessen gesteuert wahrgenommen, zum Beispiel in Syrien. In anderen Ländern wie Russland arbeiten wir mit Zensur-Umgehungsmaßnahmen, und unsere Reichweite wächst.

Welche Zensur-Umgehungsmaßnahmen gibt es?

Nutzerinnen und Nutzer greifen über verschlüsselte VPN-Verbindungen, speziell eingerichtete Proxy-Seiten oder den Browser Tor auf unsere Angebote zu. Wir kooperieren mit Psiphon, einer App aus Kanada, die Zugriff ermöglicht. Wir entwickeln zudem eine vereinfachte App, um Datenvolumen zu reduzieren. Die Maßnahmen funktionieren gut – in Russland verzeichnen wir sogar steigende Nutzung.

Machen solche Maßnahmen Sie nicht zur Zielscheibe?

Natürlich gibt es Bedrohungen, zum Beispiel DDoS-Attacken, aber wir haben frühzeitig stark in Cyber Security investiert. Vor Ort schützen wir natürlich unsere Journalisten und Journalistinnen bestmöglich, auch beim Einsatz in Kriegs- und Krisenregionen.

Welche Regionen wollen Sie ausbauen?

Mittel- und Osteuropa ist ein Schwerpunkt, ebenso die arabische Welt. Wir beabsichtigen, unsere Präsenz im Ausland etwa mit einem Büro in Damaskus auszubauen, weil wir auf Augenhöhe von vor Ort berichten und zugleich als Einzige die deutsche Perspektive in arabischer Sprache in der Region vermitteln. Afrika bleibt wichtig, und Asien wächst stark, zum Beispiel Indien und Pakistan. Wir bieten regionalsprachige Angebote wie Urdu, Hindi, Bengali oder Tamil an.

Wie sehen Sie soziale Netzwerke wie Tiktok?

Wir waren früh auf Tiktok aktiv, zum Beispiel mit arabischen Angeboten, um die Menschen dort zu erreichen. Wir sind auf Instagram, Telegram und anderen Kanälen präsent, um dort glaubwürdige Informationen anzubieten. Das bleibt entscheidend für unsere Relevanz in den Medienmärkten.

Wie stehen Sie zur Regulierung der Plattformen?

Plattformen sind Gatekeeper, mit erheblichem Einfluss auf Demokratie und Gesellschaft. Ich halte stärkere Regulierung für notwendig, etwa durch den Digital Services Act. Algorithmen müssen verantwortungsvoll eingesetzt werden, Leistungsschutzrechte gestärkt werden, um Inhalteanbieter und ihre Geschäftsmodelle zu schützen. Plattformen sollten haftbar gemacht werden. Wir sitzen hier als öffentliche und private Medien wie Verlage alle in einem Boot. Daher sollten wir unsere Anliegen gemeinsam voranbringen.

Die Deutsche Welle wird aus Steuermitteln finanziert. Für 2025 sind rund 425 Millionen Euro angesetzt. Wie unabhängig sind Sie in Ihrer Rolle, wenn der Bundestag letztlich über den Bundeshaushalt entscheidet – auch wenn im Koalitionsvertrag zugesichert wurde, die DW finanziell zu stärken?

Wir sind unabhängig organisiert. Der Rundfunkrat entscheidet über Programmfragen, nicht die Politik. Natürlich sind wir als öffentlich finanzierte Einrichtung an den Bundeshaushalt gebunden, aber die journalistische und programmliche Unabhängigkeit ist gesetzlich garantiert – und strukturell mit Rundfunk- und Verwaltungsrat organisiert. Finanzielle Planungssicherheit wäre ideal. Aktuell arbeiten wir an der Aufgabenplanung für die Jahre 2026 bis 2029. Der Koalitionsvertrag und auch Äußerungen des Kulturstaatsministers zeigen, dass die Deutsche Welle gestärkt werden soll. Das gibt uns Rückenwind, aber die redaktionelle Freiheit bleibt selbstverständlich unangetastet.

In den vergangenen Jahren gab es in den arabischen und spanischen Redaktionen der Deutschen Welle Berichte über interne Konflikte und Vorwürfe, etwa wegen Antisemitismus. Wie würden Sie die Unternehmenskultur heute beschreiben – hat sich dadurch etwas verändert?

Wir haben in den letzten Jahren intensiv an der Unternehmenskultur gearbeitet. Wir vermitteln die Werte der DW heute stärker und verbindlicher, – und haben den Code of Conduct deutlich nachjustiert. Uns war wichtig, dass alle Mitarbeitenden wissen, wofür die Deutsche Welle steht, welche Werte wir haben. Flankierend haben wir ein Konfliktmanagement eingeführt und viel an Führungswerten gearbeitet – also daran, wie Führungskräfte mit Spannungen umgehen und welche Verantwortung sie in solchen Situationen tragen. Diese Prozesse brauchen Zeit, aber sie zeigen Wirkung: In Befragungen sagen viele Kolleginnen und Kollegen, dass sie sich heute deutlich besser aufgehoben und gehört fühlen als zuvor.

Wie gehen Sie mit Spannungen um, die sich im Zusammenhang mit dem Gaza-Konflikt ergeben?

Wir wissen, dass dieser Konflikt sehr sensibel ist – auch innerhalb unserer internationalen Redaktion, wo viele Kolleginnen und Kollegen persönliche Bezüge haben. Wir haben bereits vor dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ein Kompetenzteam zu Antisemitismus, jüdischem Leben, Israel und den palästinensischen Gebieten eingerichtet. Dieses Team steht den Redaktionen beratend zur Seite, wenn sie über diese Themen berichten, und bietet auch Schulungen an. Außerdem haben wir weitere interne Anlaufstellen geschaffen, an die sich Mitarbeitende wenden können, wenn sie sich unsicher fühlen oder Unterstützung brauchen.

Haben Journalistinnen und Journalisten der Deutschen Welle eigentlich Diplomatenpässe?

Nein, wir haben keinen einzigen Diplomatenpass für Journalistinnen und Journalisten. Unsere Mitarbeitenden sind Journalistinnen und Journalisten, keine Diplomaten – das ist uns sehr wichtig. Unsere Aufgabe ist Berichterstattung, unabhängig und kritisch, auch gegenüber der Bundesregierung, und diese Unabhängigkeit ist ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit.

Wenn Sie nach einigen Jahren auf Ihre Amtszeit zurückblicken – woran würden Sie messen, ob Sie erfolgreich waren?

Ein Erfolg wäre, wenn die Deutsche Welle weltweit als führende Stimme der Freiheit wahrgenommen wird, weiter ausgebaut ist, mehr Reichweite in den Zielregionen erreicht und die Menschen auch hier in Deutschland wissen, was wir tun, weil wir der deutsche Auslandssender sind.

Interview: Sven Gösmann und Stella Venohr, dpa / Redaktion DF: mw

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