Clint Eastwood

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Clint Eastwood, Teil 5

Geläuterter Held

Eine der einschneidenden Zäsuren und einen regelrechten Wendepunkt in seinem filmischen Schaffen stellt zweifelsohne „Erbarmungslos“ aus dem Jahre 1992 dar. Ausgerechnet dieser düstere Spätwestern, der das Genre endgültig von allen romantischen Klischees befreite, markiert einen deutlichen Wandel in der Art und Weise, wie das Phänomen Eastwood von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Im stolzen Alter von 62 Jahren bekam er die Anerkennung, die ihm schon seit Jahren besonders von Seiten des Publikums sicher war, endlich in harter Oscar-Währung ausbezahlt. Unter dem tosenden Applaus des Publikums im Dorothy Chandler Pavilion in Los Angeles – in dem sich im stolzen Alter von 95 Jahren auch Eastwoods überglückliche Mutter Ruth befand – gewann „Erbarmungslos“ vier der begehrten Gold-Jungs, darunter die prestigeträchtigen Kategorien „Bester Film“ und „Bester Regisseur“ des Jahres.
 
Man mag es Zufall nennen oder Ironie des Schicksals: Es hat schon einen gewissen Charme, dass wieder der Western seiner Karriere einen ganz neuen Schub verpasste, dass gerade diese fast klassische Anti-Helden-Story rund um einen Revolverhelden, der seine besten Tage längst hinter sich hat, ihn endgültig zum ernst zu nehmenden und gefeierten Regisseur machte. „Erbarmungslos“ ist aber auch nichts anderes als ein Geniestreich. Eastwood dekonstruiert hier die Mythen eines ganzen Genres, macht es in einem Augenblick obsolet und gebiert es im Nächsten neu, als etwas Größeres, Gewichtigeres, Bedeutenderes. Die Widmung im Abspann, an seine kurz zuvor verstorbenen Regie-Lehrmeister Sergio Leone und Don Siegel, zeugt von Respekt und Dankbarkeit seinen Vorbildern gegenüber. Aber ob er es wahrhaben will oder nicht, mit diesem Film hat er Leone weiter- und zu Ende gedacht, und – noch nicht einmal auf dem Höhepunkt seiner Regie-Karriere angekommen – Siegel bereits weit überflügelt.

Filmstar und Starregisseur

In den Jahren danach vertraute er dann auch voll und ganz auf sein eigenes Potenzial als Filmemacher. Mit Ausnahme von Wolfgang Petersens „In The Line Of Fire“ (1993) stand er bis heute kein einziges Mal mehr als Schauspieler vor der Kamera, wenn er nicht auch als Regisseur des Films die Zügel fest in der Hand hatte. So geschehen beispielsweise in „Perfect World“ (1993), jener psychologisch komplexen Entführungsgeschichte, die in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Neubewertung durch die Kritik erfahren hat – ganz klar ein Tipp zum Neu- oder Wiederentdecken.
 
Eastwood kitzelte hier eine der stärksten Karriere-Leistungen aus seinem Hauptdarsteller Kevin Costner heraus und bewies erneut, dass er ein feines Händchen für die intimen Nuancen seiner selbst gewählten Stories hat. Die formale und thematische Bandbreite seiner Produktionen in den Neunzigern ist groß, sie reicht vom einfühlsamen Melodram („Die Brücken am Fluss“, 1995) über den intensiven politischen Thriller („Absolute Power“, 1997) bis hin zur anspruchsvollen Literaturverfilmung („Mitternacht im Garten von Gut und Böse“, 1997). Selbst für einen vergleichsweise lockeren Gute-Laune-Film wie „Space Cowboys“ (2000) bleibt ab und zu mal Zeit: Der einsame Wolf auf seinem letzen Ritt ins All – hier beweist der große alte Mann des Kinos einmal mehr, dass er sich nicht zu ernst nimmt, indem er seine Trademarks von einst genüsslich gegen den Strich bürstet.
 

Das neue Millennium sah dann Clint Eastwoods endgültigen Aufstieg in die Riege von Regisseuren, die allein mit ihrem Namen jedem neuen Projekt besonderen Glanz verleihen und die Erwartungshaltung von Publikum und Kritik im Vorfeld gehörig in die Höhe schrauben. Das oft zitierte Schlagwort „Filmkunst“ ist für Produktionen wie zum Beispiel „Mystic River“ (2003) sicher nicht zu hoch gegriffen und generell geeignet, um Eastwoods Spätwerk treffend zu charakterisieren. Im Laufe der Jahre hat er inzwischen eine ganz eigene cineastische Handschrift entwickelt. Sein Steckenpferd, das Drama, perfektionierte er Schritt für Schritt, mit unaufdringlichen und doch höchst raffinierten erzählerischen Mitteln; mit Themen, die das Publikum etwas angehen, es einfach packen. Liebe, Hass, moralische Zerwürfnisse – Krieg und Frieden, Leben und Tod: Eastwood backt keine kleinen Brötchen, das ist inzwischen jedem klar. Doch bei aller künstlerischer Ambition schafft er eben immer auch den schwierigen Spagat zwischen großem Anspruch und richtig guter Unterhaltung.

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