Wim Wenders: „Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren!“

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„Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren!“, Teil 2

Zweiter Teil

Sie haben ja verschiedene Kameraaufbauten benutzt. Hat Sie die 3D-Technik zum Beispiel bei den Schwenks eingeschränkt?



Als wir angefangen haben zu drehen, ab Oktober 2009, das war historisch der erste Moment, wo man so etwas überhaupt hätte machen können. Wo es die Software gab und die Kameras, um natürliche Vorgänge, Bewegungen und Menschen vor der Kamera in 3D aufzunehmen, sodass es fließend und elegant aussah. Vorher ging das noch nicht: Die Technik waren noch Prototypen und das war noch recht klobig. Die ersten Aufnahmen haben wir mit einem großen Techno-Crane gemacht. Das ist ein riesiges Ungeheuer, wahnsinnig schwer und groß, um damit die Kamera durch den Raum fliegen zu lassen und auf der Bühne zu sein, bei den Tänzern, ohne ihnen jemals in die Quere zu kommen. Schienen hätte ich da nicht legen können, auch eine Steadycam wäre immer im Weg gewesen. Der zweite Dreh war schon wesentlich leichter, da konnte ich viel flexibler an den verschiedenen Orten auftreten. Und das letzte Mal war dann richtig beschwingt, mit diesem Equipment konnte man tatsächlich jeden Dokumentarfilm bestreiten.





Welche Rolle spielen die Gesichter der Tänzer, die einem im Film ja viel stärker bewusst werden als in einer klassischen Bühnenvorführung?



Ich habe natürlich Porträts gedreht von diesen Gesichtern, weil ich dieses Orchester von Pinas Körper-Stimmen auch vorstellen wollte, zeigen wollte, dass sie es sind, die diese Sprache jetzt weitersprechen und diese Kunst weitertragen, die es ja ohne dieses Ensemble nicht gibt. Tanztheater ist etwas sehr Fragiles, das verschwindet, wenn es nicht aufgeführt wird. Das Ensemble spielt eine ganz wichtige Rolle – es ist sozusagen Pinas Gesicht geworden für mich. Ich wollte auch, dass man jeden sieht, denn es sind ganz besondere Menschen. Pina hat sich mit diesem Ensemble in gewisser Weise ihre eigene Menschheit zusammengestellt: Sie kommen aus aller Herren Länder, sind Dicke und Dünne, Kleine und Große, auch Menschen, von denen man sonst nicht denkt, dass man sie tanzen sehen würde. Das war wichtig, dass jeder sein Gesicht hat. Pina wollte auch nicht, dass sie Charaktere spielen – die sind alle auf der Bühne immer sie selbst, mit ihren eigenen Namen. Deshalb war es wichtig, dass sie selbst vorkommen.





Haben Sie durch die Arbeit an „Pina“ Dinge entdeckt, die Sie sich auch für Ihre Spielfilme vorstellen könnten?



Die sagenumwobene Präsenz eines Filmstars – womit man ja umschreibt, dass einer eine besondere Beziehung zur Kamera hat – man fragt sich immer: Was ist es? Es ist ihre Körpersprache, eine gewisse Offenheit. Ich habe von Pina gelernt, dass das, was wir als Filmregisseure davon wissen – und ich möchte da fast für uns alle sprechen –, nicht das ist, was Pina herausgefunden und gesehen hat.





Sie haben ja Pina Bauschs Arbeitsweise teilweise übernommen – welche Art von Fragen haben Sie den Tänzern beispielsweise gestellt?



Die Frage war die Frage nach Pina: Was ist das stärkste Erlebnis, wo seid ihr euch am intensivsten begegnet? Was hat sie in dir gesehen, wie hat sie dich ermuntert? Die meisten haben mir mehrere Sachen vorgeschlagen und gemeinsam haben wir dann ein Ereignis ausgewählt. Fast immer solche Dinge, wo mehrere sich zusammengefunden haben, um etwas zu zeigen, wo sie der Meinung waren, an dem Punkt sind wir Pina am nächsten gekommen und hier hat sie mir am deutlichsten gezeigt, wer ich bin.





Einige der Tänzer haben ja einen bestimmten Satz im Film, der sie kennzeichnet. Haben Sie auch so eine Art Leitsatz?



Für mich ist dieser Satz in Pinas Augen. Die waren auch immer da, als wir den Film gemacht haben; haben immer mitgeguckt, mich gefragt, ob ich ihr nicht zu viel versprochen hatte, weil ich so begeistert war von 3D. Das, was ich dachte, dass es konnte, konnte ich ihr eigentlich erst dadurch beweisen, dass wir es machten. Ich konnte es ihr nicht zeigen und sagen: So wird das! Es war immer ein Versprechen und Pinas Augen waren immer da und wollten wissen, ob es das jetzt ist, was ich mir ausgemalt hatte.





Vielen Dank für das Gespräch.








(red)

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